Als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in der Pariser Vorstadt Conflans-Sainte-Honorine vor die Kameras tritt, ist ihm anzusehen, dass er gerade Furchtbares erfahren hat. Dass ein Lehrer auf barbarische Weise getötet wurde. Dass er enthauptet wurde.
All das sagt Macron nicht. Er weigert sich, diese grausigen Details zu nennen. Was er aber sagt, ist deutlich: Das war ein islamistischer Terroranschlag. Und: «Sie werden damit nicht durchkommen.» Sie - damit meint er am Freitagabend radikalisierte Islamisten.
Das Problem ist in Frankreich nicht neu. Zu viele Terroranschläge hat es in den vergangenen Jahren gegeben. Dass nun aber ein Lehrer auf derart grausame Weise getötet wird, weil er Mohammed-Karikaturen im Unterricht gezeigt hat - das ist eine neue Dimension. Ausgerechnet Meinungsfreiheit war das Thema seiner Unterrichtsstunde. Der 18-Jährige Angreifer mit russisch-tschetschenischen Wurzeln, der als Flüchtling ins Land kam, wurde kurz nach der Tat erschossen. In Frankreich wird nun erwartet, dass der Präsident hart durchgreift.
Der Kampf gegen die Radikalisierung treibt den Staatschef schon länger um. Und er ist auch ein Drahtseilakt - bei dem nicht alle Muslime stigmatisiert werden dürfen. So hat Macron erst vor wenigen Wochen eine Rede gehalten, in der er die Probleme sehr genau beschrieben hat - und ausgerechnet die Bildung als Schlüssel im Kampf gegen Radikalisierung definiert hat.
«Das Problem ist diese Ideologie, die behauptet, ihre eigenen Gesetze seien denen der Republik überlegen», sagte er damals in Les Mureaux über den radikalen Islam. Les Mureaux, auch das ist ein symbolträchtiger Ort in Frankreich. In der Pariser Vorstadt wurde vor vier Jahren ein Polizistenpaar von einem Islamisten ermordet.
Macron zeichnet in dieser Rede ein düsteres Bild von Frankreich. Er spricht von geheimem Schulen, in denen siebenjährige Mädchen vollverschleiert sind. Von verlorenen Stadtvierteln, in denen Jugendliche von der Botschaft des Hasses angezogen werden. Von Eltern, die ihre Töchter mit einem Attest über eine Chlorallergie vom Schwimmunterricht abmelden. Von Sportclubs, geleitet von religiösen Extremisten. Kurzum: von Parallelgesellschaften, in die der Staat nicht mehr vordringt - in denen sich Menschen unbemerkt radikalisieren.
Macrons Antwort: Verschärfte Kontrollen in Problemvierteln. Und vor allem: die Schule. Denn sie, so sagt er, mache aus Kindern freie Bürger. Er will, dass vom kommenden Sommer an alle Kinder ab dem Alter von drei Jahren die Schule besuchen müssen. Der Heimunterricht soll stark eingeschränkt werden, damit die Kinder nicht indoktriniert werden. Die Schule sei das Herz des Laizismus, so Macron.
Die Trennung von Staat und Kirche ist Teil der nationalen Identität in Frankreich. Diesem Prinzip ist auch Lehrer Paty gefolgt, als er seinen Schülerinnen und Schülern die Meinungsfreiheit nahebringen wollte. Dafür wurde er im Netz von einem Vater an den Pranger gestellt. Es gab Drohungen. Viele fragen sich: Wurde nicht genug getan, um den Lehrer zu schützen?
Macron hat im Sommer einen Hardliner zum Innenminister gemacht. Gérald Darmanin ist der Inbegriff einer Politik von Recht und Ordnung. Und so will er nun auch nach der brutalen Attacke durchgreifen. Er will etwa zwei grosse Islam-Vereine auflösen. Sie seien «Feinde der Republik». Hass-Nachrichten im Netz sollen stärker verfolgt werden. Kommt das zu spät?
Berichten zufolge wurde der Twitter-Account des Angreifers bereits im Sommer auf einer Regierungsplattform für Auffälligkeiten im Netz gemeldet. Gesperrt wurde er erst am Freitag - nach einem schrecklichen Post, in dem der der Mann mit seiner Tat prahlte. Und: Den Geheimdiensten war der 18-Jährige vorher nicht aufgefallen.
Macrons Gegenspielerin Marine Le Pen greift nun von rechts an - und wirft der Regierung vor, nicht genug zu tun. Die Rechtsaussen-Politikerin legte am Montag vor der Schule in Conflans-Sainte-Honorine Blumen nieder. Sie will nach der Ermordung von Paty eine Untersuchungskommission. Was passiert sei, sei keine Überraschung, sondern eine neue Verschlechterung der Situation.
Macron hat den Kampf gegen Radikalisierung schon vor der grausamen Ermordung zur Chefsache erklärt. Klar ist, dass dieser Kampf wohl nur gewonnen werden kann, wenn in Frankreichs tristen Vorstädten der radikale Islam für junge Menschen nicht als einziger Ausweg erscheint. (aeg/sda/dpa)