Schon seit einem halben Jahr lassen die einstigen Siegermächte des Zweiten Weltkrieges Kremlchef Wladimir Putin warten. Es war im Januar, als der russische Präsident bei Gedenkfeiern in Israel ein neues Treffen der Grossmächte vorschlug.
Seine Idee: die fünf ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat – die Atommächte USA, Grossbritannien, Frankreich, China und Russland – an einen Tisch bringen, um die Probleme der Menschheit zu diskutieren.
Wenn nun Russland am 17. Juli mit einer Sonderschau an den 75. Jahrestag der Potsdamer Konferenz zur Neuordnung der Welt erinnert, ist Putins Sehnsucht nach einem neuen Treffen dieser Art weiter brandaktuell.
Es gebe so viele Unwägbarkeiten heute, «die die ständige Aufmerksamkeit der führenden Staaten der Erde, der offiziellen Atommächte erfordern», sagte Putin erst in einer am Sonntag ausgestrahlten Sendung des russischen Staatsfernsehens. Deshalb sei ein solches Treffen wichtig, meinte er auch mit Blick auf die «bedauernswerte» Lage in den USA.
Putin, der schon den 75. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Hitler-Deutschland ohne die Staatschefs der einstigen Alliierten gefeiert hatte, hätte gern frische Fotos mit den «Anführern der Welt» für sein Publikum zuhause. Gerade hat der 67-Jährige die Verfassung ändern lassen, um im Fall einer Wiederwahl noch bis 2036 an der Macht zu bleiben. Doch in der Corona-Pandemie fehlen Putin, der traditionell innenpolitisch auf den Glanz der Aussenpolitik setzt, die Auftritte auf internationalem Parkett.
Russische Diplomaten versuchen deshalb seit Monaten, einen Termin samt Tagesordnung abzustimmen. Vor allem mit den USA als wichtigsten Partner. Bisher ohne Erfolg. Das Gipfel-Thema sei «vom Radar verschwunden», sagte der Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen, Wassili Nebensja, der Staatsagentur Tass.
Der Diplomat sah sein Land zuletzt massiver Kritik ausgesetzt, weil die Vetomacht Russland im UN-Sicherheitsrat neue Resolutionen für humanitäre Hilfe in Syrien verhinderte. Seit Jahren schon ist die Rolle Russlands – als Rechtsnachfolger der Sowjetunion im UN-Sicherheitsrat – umstritten.
Zum Selbstbild Russlands gehört es, sich als Schutzmacht in Konflikten in Szene zu setzen. Vorwürfe, Kriege wie in Syrien und Libyen zu schüren oder gar wie in der Ukraine eine Besatzungsmacht zu sein, weist das Land zurück.
Die Sonderschau im Moskauer Sieges-Museum erinnert nun stolz an die Potsdamer Konferenz, als Sowjetdiktator Josef Stalin vom 17. Juli bis 2. August 1945 im Schloss Cecilienhof Gastgeber eines der wichtigsten politischen Treffen des 20. Jahrhunderts war. Er empfing damals unter anderem US-Präsident Harry S. Truman und Grossbritanniens Premier Winston Churchill.
Die Ausstellung sei hochaktuell, weil sie gegen Versuche gerichtet sei, die Geschichte des Zweiten Weltkrieges umzudeuten, sagt Museumschef Alexander Schkolnik.
«Mit der Konferenz wurde das Besatzungsregime gesichert, die deutsche Teilung eingeleitet, die Welt zwischen Sozialismus und Kapitalismus aufgeteilt und der Grundstein für den Kalten Krieg gelegt», meint der Experte Matthias Uhl vom Deutschen Historischen Institut in Moskau. «In Potsdam wurde aber auch der Sieg der Sowjetunion und ihr Status als Supermacht verankert.» Bis dahin sei das Land auf internationaler Bühne kaum wahrgenommen worden.
Daran wolle Putin heute anknüpfen. Uhl bezweifelt aber, ob solch ein Gipfel der Atommächte das richtige Format zur Lösung globaler Probleme sein kann. «Fragen etwa der atomaren Abrüstung sind sicher wichtig. Ich habe aber meine Zweifel, ob ein Denken in diesen Machtkategorien des 20. Jahrhunderts Erfolg haben kann.»
Ein wichtiges Ziel Putins sei es heute auch, die Erinnerung an den heroischen Sieg als verbindendes nationalpatriotisches Element in seinem Land wachzuhalten. Mit 27 Millionen Toten habe die Sowjetunion die Hauptlast im Zweiten Weltkrieg getragen, sagt Uhl. Doch zeigt er sich skeptisch, ob sich das Land mit einem Verharren in der Vergangenheit in die Zukunft führen lässt. «Drängende Zukunftsfragen, aber auch die Probleme des Alltags lassen sich mit historischem Gedenken nur begrenzt lösen», sagt er.
Nach der grossen Militärparade im Juni auf dem Roten Platz, der Einweihung eines Denkmals für die Schlacht bei Rschew geht der Erinnerungsreigen an das Ende des Zweiten Weltkrieges auch in den kommenden Monaten weiter. Russland, das sagte Putin bei den Veranstaltungen zuletzt immer wieder, habe die Pflicht, die vielen Opfer und die heute noch lebenden Kriegsveteranen zu ehren.
Niemand habe das Recht, die Verdienste der Roten Armee bei der Befreiung Europas vom Hitler-Faschismus zu verhöhnen. In einem grossen Geschichtsaufsatz schrieb Putin im Juni, es sei feige und ekelhaft, wenn heute die zu Ehren der Kämpfer gegen den Nationalsozialismus errichteten Denkmäler in Osteuropa abgerissen würden. (sda/dpa)