So schnell kann es gehen. Am Freitagabend stellte ein Video die Wiener Politik auf den Kopf. Darin erklärten sich die FPÖ-Spitzenpolitiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus im Rausch dazu bereit, Wahlunterstützung gegen Staatsaufträge zu tauschen. Am Dienstag fahren vor den FPÖ-Ministerien schon die Umzugswagen vor.
Und gestern Mittwoch gegen Mittag macht dann bereits ein erstes Foto mit den neuen Ministern die Runde. Vier sogenannte Experten sollen bis zu den Neuwahlen im September anstelle der zurückgetretenen Minister der Freiheitlichen regieren. Alle vier haben im Bereich des jeweiligen Ministeriums bereits Erfahrung und stellen für keine Partei ein rotes Tuch dar.
Vorgeschlagen hatte sie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der mit der geschickten Auswahl verhindern will, dass er anlässlich eines für Montag anberaumten Misstrauensvotums ebenfalls abgesetzt wird. «Angelobt», wie man in Österreich die Vereidigung nennt, hat die vier Minister Bundespräsident Alexander van der Bellen.
Bei den Österreichern löste der Skandal und das schnelle Krisenmanagement je nach politischem Lager unterschiedliche Reaktionen aus. Mancher FPÖ-Wähler ist grenzenlos enttäuscht von seinen Politikern, die ihm ja gerade versprochen hatten, anders zu sein als das angeblich korrupte Establishment.
Andere verweisen trotzig auf die schmutzige Methode, mit der Strache und Gudenus hereingelegt wurden. «Und warum erscheint denn das Video erst zwei Jahre später genau vor der Europawahl?», fragt ein Taxifahrer misstrauisch. Es ist die Frage, die kein Journalist und auch keiner der vielen Experten, die sich täglich zu Wort melden, beantworten konnte. Ein Bericht von «Die Presse» bringt das Video in Zusammenhang mit einer Wiener Anwaltskanzlei und einer Münchner Detektei, nennt aber keine Auftraggeber.
Linke und Linksliberale, die in den letzten Wochen und Monaten gegen die Regierung der konservativen Österreichische Volkspartei (ÖVP) und der rechtsnationalen Freiheitlichen Partei (FPÖ) auf die Strasse gingen, sind erleichtert über das Ende dieser Koalition. Auch wenn es viele lieber gesehen hätten, wenn Kanzler Kurz schon nach dem Auftauchen von antisemitischem Liedgut im Umkreis der Freiheitlichen oder nach Ausfällen des gestürzten Vizekanzlers Strache gegen einen Journalisten des öffentlichen Rundfunks ORF die Reissleine gezogen hätte. Doch es passierte erst, nachdem «Der Spiegel» und die «Süddeutsche Zeitung» ein Video veröffentlichten, das im Sommer 2017 in einer Villa auf der Party-Insel Ibiza heimlich aufgezeichnet wurde.
Darin skizziert eine vermeintliche russische Oligarchin Pläne, die österreichische Boulevard-Zeitung «Krone» zu kaufen, um den Freiheitlichen kurz vor den Wahlen im Oktober 2017 publizistische Schützenhilfe zu leisten. Heinz Christian Strache schlägt darauf vor, sie solle doch ein Bauunternehmen wie die Strabag von Hans Peter Haselsteiner gründen. Dann bekomme sie nach einem späteren Wahlsieg der Freiheitlichen dessen Aufträge.
Am Mittwoch sitzt Hans Peter Haselsteiner in seinem Büro im 12. Stock des Strabag-Hochhauses an der Donau-City-Strasse. Spannteppich und durch die Glasfassade ein freier Blick über Donau-Insel und die historische Altstadt. Haselsteiner nimmt einen Schluck Kaffee und kann seine Zufriedenheit nicht verbergen.
Mit viel Geld und Engagement bekämpft der Unternehmer seit Jahren die Freiheitlichen, die er als Rechtsextreme bezeichnet. Als der FPÖ-Mann Norbert Hofer und der ehemalige Grüne Alexander Van der Bellen um das Amt des Bundespräsidenten kämpften, setzte Haselsteiner alles daran, dass die Freiheitlichen verlieren. Dass Kanzler Kunz mit der FPÖ im Jahr 2017 eine Koalition bildete, kritisierte er scharf. Nun ist der Spuk vorbei.
Mit seinem Engagement hat sich Haselsteiner bei FPÖ-Politikern unbeliebt gemacht. Daher zeigt sich der Unternehmer wenig erstaunt, dass die Freiheitlichen ihm eins auswischen wollen. Dass diese sich aber bei Korruptionsfantasien filmen lassen, erstaunt ihn dann doch.
Auf der anderen Seite der Donau, in einer heruntergekommenen Industrie-Gegend steht das Gebäude der «Krone». Sie ist eine Institution in Österreich, weil sie von etwa jedem vierten Österreicher gelesen wird. Wegen ihres grossen Einflusses gerät sie immer wieder in Verdacht, diesen oder jenen Politiker bevorzugt zu behandeln. Etwa den einstigen SPÖ-Kanzler Werner Faymann oder den verstorbenen Kärntener Landeshauptmann Jörg Haider von der FPÖ.
Dass die Zeitung im Ibiza-Video nun von FPÖ-Mann Heinz Christian Strache so dargestellt wird, als könne man sie kaufen, empört die Journalisten auf der Redaktion. Sie reagieren mit Galgenhumor. Der Ausruf «Zack, zack, zack!» mit dem Strache im Film untermalt, wie die Redaktion durch Personalwechsel auf Linie gebracht werden soll, ist in den letzten Tagen zum geflügelten Wort geworden. Chefredaktor Klaus Herrmann zeigt sich in einem Kommentar konsterniert. «Ja, es trifft uns, dass gerade wir von der «Krone» zum Ziel übler Machtübernahmegelüste der benebelten freiheitlichen Spitzenpolitiker ausgewählt wurden. Ausgerechnet die «Krone»-Zeitung, die sich über die Jahre um ein korrektes Verhältnis zu den Freiheitlichen bemüht hat.»
Nun wartet Herrmann auf eine Entschuldigung von Strache. Diese blieb bisher aus, obwohl er sich bei den österreichischen Unternehmern René Benko, Gaston Glock, Heidi Goëss-Horten öffentlich entschuldigt hat. Im Video behauptet er, diese würden über einen Verein indirekt Geld an die FPÖ spenden. Er insinuierte damit, dass sie österreichische Gesetze umgingen. Später tat Strache dies als Imponiergehabe seinerseits ab.
Während in der «Krone»-Redaktion über der Schlagzeile vom nächsten Tag gebrütet wird, zeigt sich am Trafik (Kiosk) bereits eine gewisse Übersättigung. «Anfangs liefen die Zeitungen sehr gut. Alle wollten das Neuste über den Ibiza-Skandal wissen. Nach der Dauerbeschallung in Radio und Fernsehen der letzten Tage sind die Menschen des Themas aber schon überdrüssig», sagt die Zeitungsverkäuferin.
Sie interessieren sich nun mehr für die Nachrufe auf Niki Lauda. Der österreichische Formel-1-Weltmeister starb am Montag. Sowohl Bundeskanzler Kurz als auch Bundespräsident Van der Bellen gedachten seiner, als sie sich mit Ansprachen zur Krise an die Bevölkerung wandten.