Die Absichten sind augenscheinlich: Saudi-Arabien versucht seinen Einfluss auf dem Globus auszubauen und sich als neue Weltmacht zu positionieren. Besonders deutlich, weil medienwirksam, wird das im Weltfussball, wo es den Saudis dank ihrer schier unendlichen finanziellen Mittel gelang, zahlreiche Stars aus Europa in die Wüste zu lotsen. Doch auch auf anderen, weniger offensichtlichen Ebenen feilt das saudische Königreich an seinem Einfluss.
So beispielsweise in der Medienbranche: Der saudi-arabische Medienkonzern MBC, der grösste im Nahen Osten, arbeitet seit Januar 2023 mit dem einst so populären US-amerikanischen Magazin Vice zusammen.
Doch von einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe kann nur bedingt die Rede sein. Denn Vice befindet sich seit längerem in finanzieller Schieflage und profitiert vom Deal mit MBC wohl vorwiegend in monetärer Hinsicht – auch wenn die offizielle Begründung für die Kooperation lautete, man wolle das aufstrebende und interessierte junge Publikum im arabischen Raum ansprechen.
Nun wird aber je länger desto deutlicher, dass Vice mit dem Deal ein Stück weit seine journalistische Unabhängigkeit aufgibt – ausgerechnet das Portal, das mit einer besonders schonungslosen und teilweise schockierenden Art der Berichterstattung in der Vergangenheit für Furore gesorgt hatte.
Bereits im August berichtete der britische «Guardian» unter Berufung auf Insider, dass bereits öfters kritische Artikel über Saudi-Arabien bei Vice zurückgehalten wurden. Bei Vice angestellte Journalisten hatten bei der Bekanntgabe des Saudi-Deals Befürchtungen geäussert, wonach die Unabhängigkeit und Integrität der journalistischen Arbeit des Magazins in Mitleidenschaft gezogen werden könnte.
Nun gibt es ein konkretes, jüngstes Beispiel. Die zwei Vice-Journalisten Bradley Hope und Justin Scheck, der auch für das «Wall Street Journal» arbeitet, haben ein kritisches Video über den saudi-arabischen Kronprinzen, Premierminister und de-facto-Machthaber Mohammed bin Salman aufbereitet.
Allerdings war dieses Video nur kurzzeitig auf den Vice-Plattformen zugänglich – gerade einmal für vier Tage. Dann wurde der Status des Videos auf privat gesetzt, es war damit nicht mehr öffentlich zugänglich, wie die Enthüllungswebseite «The Intercept» berichtet. Zu diesem Zeitpunkt hatten rund 750'000 Menschen das Video gesehen.
Via Archivierungswebseiten ist das knapp neunminütige Filmchen allerdings immer noch online abrufbar. Hier geht es zum gelöschten Vice-Video.
In diesem wird bin Salman durchaus kritisch beäugt – unter anderem wird seine zentrale Rolle bei der Ermordung des kritischen Journalisten Jamal Kashoggi angesprochen. Er soll den Mord persönlich in Auftrag gegeben haben.
Oder auch die sogenannte «Ritz-Säuberung» wird thematisiert: Im Jahr 2017 ging bin Salman rigoros gegen vermögende und einflussreiche saudische Geschäftsleute vor, indem er sie ins Riader Nobelhotel Ritz-Carlton bestellte und dieses kurzzeitig zum Luxusgefängnis umfunktionierte. Laut den Journalisten wurden die Eingesperrten massiv unter Druck gesetzt, teilweise auch geschlagen: Sie sollten sich zu Korruptionsdelikten bekennen und beträchtliche Strafzahlungen dem saudischen Staat entrichten. Auch vor Mitgliedern seiner eigenen Familie machte bin Salman nicht halt.
Die Vice-Journalisten benennen im Video offen, was die Weltöffentlichkeit seit jeher vermutet hatte: Die Ritz-Säuberung diente bin Salman unter dem Deckmantel einer Anti-Korruptions-Kampagne dazu, allfällige Kontrahenten und Gegner im Kampf um die Thron-Nachfolge im Königreich aus dem Verkehr zu ziehen, damit seinen Einfluss zu erweitern und finanzielle Mittel zu generieren.
Doch auch von angeblichen persönlichen Details aus bin Salmans Leben erzählen die Journalisten: So soll der Kronprinz trotz seiner mächtigen Position im System Saudi-Arabien «eine Menge Zeit» mit Videospielen, dem Treffen von Freunden und als DJ auf seinen eigenen Partys verbringen. Zudem ernähre er sich mehrheitlich von Junk-Food.
Wieso Vice das besagte Videomaterial innert kürzester Zeit wieder von seinen offiziellen Kanälen nahm, ist nicht abschliessend geklärt. Eine Stellungnahme des Unternehmens steht aus, eine Anfrage der Enthüllungsplattform «The Intercept» wurde nicht beantwortet. Die Guardian-Insider erklärten nach den ersten Berichten über nicht veröffentlichte kritische Artikel im August, dass diese intern mit Sorgen um die Sicherheit von Mitarbeitenden im Land begründet wurden.
Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass das Vorgehen mit dem Einfluss des neuen Partners MBC zu tun hat – dieser gehört nämlich zu 60 Prozent dem saudischen Staat und damit faktisch dem Königshaus um Mohammed bin Salman persönlich.
So oder so: Vice sieht in der Angelegenheit nicht gut aus. Das Unternehmen musste im Mai trotz saudischer Unterstützung Insolvenz anmelden. Wie es mit dem einst populären Magazin weitergeht, ist noch unklar. Sinnbildlich für die jüngsten Entwicklungen steht eine Stellungnahme der Mitarbeitervereinigung von Vice:
(red)