Die heute 53-jährige Beata Halassy hatte den Brustkrebs schon zweimal besiegt. Doch dann kehrte er ein drittes Mal zurück: Ein 2 Zentimeter grosser Tumor der besonders aggressiven Form, der aber glücklicherweise noch nicht gestreut hatte.
Halassy, Virologin an der Universität Zagreb, beschloss, in ihrem Labor Viren herzustellen, die sie direkt in den Tumor injizieren würde. Die Viren sollten sich in den Krebszellen so stark vermehren, bis sie platzen und gleichzeitig das Immunsystem dazu bringen, die infizierten Zellen zu attackieren. Und tatsächlich: Der Tumor von Halassy schrumpfte so stark, dass er operativ leicht entfernt werden konnte. Seit fast vier Jahren ist sie nun krebsfrei. Diesen Selbstversuch beschreibt Halassy im Fachblatt «Vaccines».
Beata Halassy ist nicht die erste Wissenschafterin, die ihre eigene Forschung an sich selbst ausprobiert. Ein prominenter Fall ist derjenige von Barry Marshall, einem australischen Arzt, der 1984 eine Lösung mit dem Bakterium Helicobacter pylori trank. Damit wollte er beweisen, dass es tatsächlich dieses Bakterium ist, dass Magengeschwüre verursachen kann – eine bis dahin stark umstrittene These. Doch prompt entwickelte Marshall eine schwere Gastritis und konnte das Bakterium in seinem Magen nachweisen. Mit Antibiotika heilte er sich selbst. Dieser mutige Versuch brachte Marshall 2005 den Nobelpreis ein.
Tragischer erging es dem britischen Arzt Andrew White, der nach einer Impfung gegen die Pest suchte. Um sein Immunsystem gegen den Pesterreger zu wappnen, rieb er sich Eiter einer an der Pest erkrankten Frau auf den Oberschenkel und in eine Wunde am Arm. Er bekam hohes Fieber, die Lymphknoten schwollen an. Eine Woche später starb er im Spital.
Trotz der Risiken von Selbstversuchen erachtet eine Mehrheit von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern diese als wertvoll. Das ergab eine Umfrage, die im Fachblatt «Rejuvenation Research» erschienen ist. Die Autoren der Studie plädieren dafür, Selbstexperimente nicht zu verbieten, da sie wichtige Erkenntnisse lieferten und historisch bedeutende Fortschritte ermöglicht hätten.
Auch Professor Reinhard Dummer, Hautkrebsspezialist am Unispital Zürich, findet Selbstversuche wie diejenigen von Beata Halassy «durchaus okay und in der Eigenverantwortung des Wissenschaftlers». «Wenn man an etwas glaubt, dann ist es der logische Schritt, es auch selbst auszuprobieren», sagt er.
Diese Meinung teilt Roger von Moos, Direktor Tumor- und Forschungszentrum am Kantonsspital Graubünden, grundsätzlich. Jeder und jede dürfe selbst entscheiden, was er oder sie mit seinem Körper machen möchte. Jedoch unterstütze er es nicht prinzipiell.
Ausserdem gibt der Onkologe zu bedenken: «Aus meiner Sicht ist sehr fraglich, ob der Selbstversuch einen substanziellen Erkenntnisgewinn bringt.» Dies, weil Beata Halassy viel auf einmal ausprobiert habe: Sie spritzte sich zwei verschiedene Viren, liess sich operieren und machte danach noch eine Behandlung mit Trastuzumab, einem zugelassenen Brustkrebsmedikament. Man weiss zwar, dass der Krebs nach der Virentherapie zunächst geschrumpft war. Aber habe man keine Ahnung, wodurch der Krebs letztlich besiegt wurde, so von Moos.
Er verfolgt die Forschung zur Virotherapie aufmerksam und weiss daher auch von einer früheren klinischen Studie, in der die Sterblichkeit bei der Gruppe, die die Virotherapie erhielt, höher war als in der Placebo-Gruppe.
Die Idee, Viren zur Bekämpfung von Krebs einzusetzen, gibt es seit über 100 Jahren. Obschon derzeit einige klinische Studien in der frühen Phase laufen, beispielsweise gegen Hirntumore, Leberkrebs oder Brustkrebs, wurde bislang lediglich eine sogenannte onkolytische Virotherapie zugelassen: T-Vec. Das ist ein Medikament gegen schwarzen Hautkrebs, das aus genetisch veränderten Herpesviren besteht. «Bei dieser Form von Tumor funktioniert die Virotherapie teilweise recht gut», sagt Reinhard Dummer. Denn weil sich die Geschwüre an oder nahe der Körperoberfläche befänden, seien sie für Injektionen leicht zugänglich.
Bei anderen Tumoren, zum Beispiel einem Lebertumor, ist es deutlich schwieriger an die Krebszellen zu kommen. «Dabei kann es sogar zu lebensbedrohlichen Blutungen kommen», sagt Dummer. Am besten wäre es, wenn man die Viren in die Blutbahn spritzen und sie den Tumor sowie mögliche Ableger selbst finden könnten. Nur: «Das körpereigene Immunsystem bekämpft die Viren unmittelbar, sodass sie nach kurzer Zeit zerstört sind – und deshalb auch keine Krebszellen mehr bekämpfen können.» Das sei bislang die grosse Schwäche der Virotherapie: «Zumal ein oberflächig gelegener Tumor nur selten tödlich ist. Tödlich sind fast immer die Metastasen.»
Zudem sei es bislang nicht gelungen, die Viren genetisch so zu manipulieren, dass sie sich ausschliesslich in Krebszellen, nicht aber in gesunden Zellen vermehren. «Auch bei T-Vec finden wir die gespritzten Viren in gesunden Zellen, wo sie aber wahrscheinlich weniger aggressiv sind als in den Krebszellen», sagt der Zürcher Mediziner.
Die Schwierigkeiten mit der Virotherapie beobachtet auch Roger von Moos. Ausserdem ist die Handhabung mit den Viren aufwendig: Um eine Ansteckung mit dem zu verabreichenden Virus zu verhindern, müsse sich das ganze medizinische Personal in Schutzkleidung hüllen. «In der Zeit, in der sie einen Patienten mit einer Virotherapie behandeln, könnten sie fünf Patienten mit einer der heute sehr wirksamen Immuntherapien behandeln», sagt der Onkologe. Und ergänzt: «Damit sich die Virotherapie durchsetzen können wird, muss man es schaffen, die Viren genetisch noch viel besser zu manipulieren.»
Und wer weiss: Vielleicht kommt die zündende Idee dafür doch noch aus dem Labor der kroatischen Virologin Halassy. Beschäftigte sie sich zuvor hauptsächlich mit der Entwicklung von Impfstoffen, Antikörpertherapeutika sowie Mitteln gegen Schlangengifte, gilt ihr Forschungsinteresse nun aufgrund ihres positiv verlaufenden Selbstversuchs laut der Website «SciProfiles» «der Nutzbarmachung der Kraft von Viren zur Krebsbekämpfung». (aargauerzeitung.ch)