Einsperren, abschieben - auf Nimmerwiedersehen! Wer ohne Erlaubnis nach Grossbritannien kommt, soll schnell wieder weg. So hat es die konservative Regierung ihren Wählern versprochen und dafür einen umstrittenen Pakt mit dem ostafrikanischen Ruanda getroffen.
Doch der Plan von Premierminister Rishi Sunak und Innenministerin Suella Braverman geht nicht so einfach auf wie dargestellt. Denn das Vorhaben, Asylsuchende ungeachtet ihrer Herkunft und ihres persönlichen Hintergrunds in das ostafrikanische Land abzuschieben, ohne Recht auf Rückkehr, ist gesetzeswidrig. Das entschied das Berufungsgericht in London am Donnerstag - und versetzte damit Sunak einen Rückschlag.
Konservative Kräfte in Grossbritannien klagen seit langem, die Zahl der irregulär eingereisten Migranten sei viel zu hoch. 2022 kamen nach offiziellen Angaben mehr als 45 000 Menschen meist in kleinen Booten über den Ärmelkanal ins Land, ein Rekord. Das liegt auch daran, dass es nach Angaben von Bürgerrechtlern so gut wie keine offiziellen Einreiserouten für Flüchtlinge etwa aus Syrien gibt.
Ausserdem hat das Vereinigte Königreich nie grössere Kapazitäten zur Aufnahme von Migrantinnen und Migranten aufgebaut. Das war lange nicht nötig, denn als EU-Mitglied konnte London die unerwünscht Eingereisten einfach aufs Festland zurückgeben. Doch seit dem Brexit gibt es kein Rücknahmeabkommen mehr mit der EU. Zahlreiche Menschen sind deshalb in Hotels untergebracht, das kostet die Steuerzahler täglich mehrere Millionen Pfund. Zwar hat London die Zusammenarbeit mit Paris verstärkt und zahlt den Franzosen viel Geld für zusätzliche Patrouillen an den Stränden. Doch das stoppt die Überfahrten nicht.
Da eine Abmachung mit der EU nicht in Sicht ist, setzt die Regierung auf den umstrittenen Deal mit Ruanda. Die autoritäre Führung in Kigali, der Kritiker Menschenrechtsverletzungen vorwerfen, war bisher die einzige, die sich auf eine Abmachung eingelassen hat. Vorher hatten Berichten zufolge unter anderem Albanien sowie die britischen Überseegebiete Gibraltar und Ascension abgelehnt. Vorbild ist das international kritisierte Vorgehen Australiens, Migranten in Papua-Neuguinea oder auf der Pazifik-Insel Nauru zu internieren.
Für Premier Sunak ist das Thema heikel. Die Regierung hatte versprochen, mit dem Brexit werde Grossbritannien endlich selbst entscheiden, wer ins Land kommt. «Take back control», die Kontrolle zurückholen, hiess die Parole, die Viele vom EU-Austritt überzeugte. Nun lautet Sunaks populistisches Versprechen: «Stop the boats», stoppt die Boote. Doch solange er das nicht umsetzt, dürfte ihn der rechte Flügel seiner Konservativen Partei vor sich her treiben.
Tatsächlich kommen die Pläne nicht voran. Im Sommer 2022 stoppte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den einzigen bisher geplanten Flug nach Ruanda per einstweiliger Verfügung. Zwar entschied der High Court zugunsten der britischen Regierung, doch gegen das erstinstanzliche Urteil legten Aktivisten Berufung ein - und erhielten nun Recht. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Schutzsuchende von Ruanda aus wieder in ihre Heimatländer abgeschoben würden, obwohl sie einen Asylanspruch hätten, so die Richter.
Der Justizstreit geht weiter, die Regierung will Berufung beim obersten britischen Gericht einlegen. «Obwohl ich das Gericht respektiere, bin ich mit seinen Schlussfolgerungen grundsätzlich nicht einverstanden», sagte Sunak. Er steht auf dem Standpunkt, dass solche Entscheidungen nur von gewählten Volksvertretern und nicht von Richtern getroffen werden dürfen.
Auch die ruandische Regierung kritisierte die Entscheidung. «Wir widersprechen dem Urteil, Ruanda sei kein sicheres Land für Asylbewerber und Flüchtlinge», teilte die Regierungssprecherin mit. «Ruanda ist eines der sichersten Länder der Welt, und wir wurden vom UN-Flüchtlingskommissar und anderen internationalen Institutionen für unsere vorbildliche Behandlung von Flüchtlingen anerkannt.» Trotz des Urteils wolle Ruanda an der Partnerschaft festhalten. Für Kigali ist das äusserst lukrativ: Für das Abkommen wurde zunächst eine einmalige Zahlung von 140 Millionen Pfund (rund 159 Millionen Franken) vereinbart. Für jeden Abgeschobenen kommt noch mehr hinzu.
In London dürften Forderungen nach der «nuklearen» Option, wie der ITV-Moderator Robert Peston sie nennt, nun zunehmen - dass Grossbritannien die Europäische Menschenrechtskonvention (ECHR) verlässt, die es 1951 selbst mitgegründet hatte. Ein solcher Schritt aber, warnen Experten, hätte unabsehbare Folgen, nicht nur für die Migrationspolitik. So ist die ECHR ein grundlegender Pfeiler für das Friedensabkommen in Nordirland. (sda/dpa)