Seit dem Völkermord in Ruanda hat es nicht mehr so viele Tote durch kriegerische Auseinandersetzungen wie im vergangenen Jahr gegeben. Das geht aus dem Global Peace Index der Denkfabrik Institute for Economics and Peace (IEP) hervor, der am Mittwoch in London veröffentlicht wurde. Demnach starben im vergangenen Jahr 238 000 Menschen weltweit infolge von Kampfhandlungen. 1994 hatte der Genozid in Ruanda allein 800 000 Menschen das Leben gekostet.
Im Global Peace Index bewerten die Experten des IEP das Mass an Frieden in 163 Ländern der Welt anhand von 23 qualitativen und quantitativen Indikatoren. Daraus erstellen sie eine Rangliste der Länder vom friedlichsten Land zu dem mit dem geringsten Mass an Frieden.
Insgesamt wurde die Welt 2022 zum neunten Mal in Folge weniger friedlich, wie aus dem Index hervorgeht. In 79 Ländern verzeichneten die Experten eine Zunahme von Konflikten, unter anderem in Äthiopien, Myanmar, der Ukraine, Israel und Südafrika. Zudem werden bewaffnete Konflikte wieder zunehmend grenzüberschreitend. Im vergangenen Jahr waren dem Bericht zufolge 91 Länder in externe Konflikte verwickelt - 2008 waren es noch 58 Staaten.
Der Konflikt mit den meisten Opfern im vergangenen Jahr war bei Weitem der Tigray-Konflikt in Äthiopien. Dort kamen dem Bericht zufolge im Jahr 2022 mehr als 100 000 Menschen bei Kämpfen ums Leben. Mindestens doppelt so viele starben zudem durch Krankheiten und Hunger infolge der Auseinandersetzungen zwischen äthiopischen und eritreischen Regierungstruppen und den Rebellen der TPLF (Tigray People's Liberation Front).
An zweiter Stelle steht der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Dort verloren im vergangenen Jahr nach IEP-Angaben zufolge mindestens 82 000 Menschen ihr Leben. Die IEP-Experten schätzen zudem, dass 65 Prozent der ukrainischen Männer im Alter zwischen 20 und 24 Jahren entweder geflohen sind oder im Krieg getötet wurden. Mehr als 30 Prozent der ukrainischen Bevölkerung wurden entweder im eigenen Land oder im Ausland zu Flüchtlingen.
Dass der Tigray-Konflikt im Vergleich zum Krieg in der Ukraine kaum wahrgenommen wird, liegt laut IEP-Gründer Steve Killelea unter anderem daran, dass er aus europäischer Sicht geografisch weiter entfernt ist. Zudem habe die äthiopische Regierung die Berichterstattung durch Medien unterdrückt und den Zugang zum Internet stark eingeschränkt.
Zu den Indikatoren, die beim Global Peace Index betrachtet werden, gehören neben der Zahl der Toten durch interne und internationale Konflikte beispielsweise auch die Mordrate, Grad der Militarisierung, Waffenexporte, Terrorismus, politische Instabilität und die Zahl der Gefängnisinsassen.
Zudem schätzen die Experten auch die wirtschaftlichen Kosten von bewaffneten Konflikten. Diese beliefen sich demnach im vergangenen Jahr auf 17.5 Billionen US-Dollar (etwa 16 Billionen Euro). Das entspricht 13 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts.
Bei den ökonomischen Folgen wagten die IEP-Experten auch eine Prognose für ein hypothetisches Szenario: Eine wirtschaftliche Blockade Taiwans durch China hätte demnach doppelt so schwere Auswirkungen auf die Weltwirtschaft wie die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008. Unter anderem Deutschland wäre als wichtiger Handelspartner beider Länder davon stark betroffen, so die Einschätzung.
«Nach Afghanistan, dem Irak, Syrien und nun der Ukraine ist es offensichtlich, dass sich selbst die mächtigsten Armeen nicht gegen eine gut ausgestattete Bevölkerung vor Ort durchsetzen können», sagte Killelea einer Mitteilung zufolge. «Krieg ist inzwischen so gut wie nicht mehr zu gewinnen und zu einer wachsenden wirtschaftlichen Belastung geworden», sagte der IEP-Gründer.
Die Bundesrepublik sticht in dem Bericht auch als wichtiger Waffenexporteur hervor. Drei Viertel aller globalen Waffenexporte entfallen demnach auf fünf Länder: Die USA, Russland, Deutschland, Frankreich und China.
Die drei friedlichsten Länder der Welt sind dem Index zufolge Island, Dänemark und Irland. Die Schlusslichter bilden in aufsteigender Reihenfolge Afghanistan, der Jemen und Syrien. Deutschland belegt Rang 15 und hat sich damit um zwei Plätze verbessert im Vergleich zum Vorjahr. Die Schweiz liegt auf Platz zehn und Österreich nimmt den fünften Rang ein. (sda/dpa)