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Interview

Uni-Proteste werden US-Präsident Biden gefährlich

Interview

Werden die Gaza-Proteste für Biden zur Gefahr? Eine Expertin über die Lage an den US-Unis

Studentinnen und Studenten distanzieren sich zunehmend vom Präsidenten. Claudia Brühwiler erklärt, wieso die Alternative für Progressive nicht besser ist und wie das Chaos Donald Trump hilft.
27.04.2024, 20:2027.04.2024, 21:05
Natasha Hähni / ch media
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George Washington University students demonstrate on the street after police close the student plaza during a pro-Palestinian protest over the Israel-Hamas war on Friday, April 26, 2024, in Washington ...
An Universitäten im ganzen Land protestieren Studentinnen und Studenten. Hier an der George-Washington-Universität.Bild: keystone

Präsident Joe Biden und Herausforderer Donald Trump liefern sich in den Umfragen aktuell ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Bis zur Präsidentschaftswahl am 5. November dauert es zwar noch eine Weile, für die beiden Kandidaten lauern aber noch gefährliche Fallen. Bei Trump sind es seine zahlreichen Gerichtsfälle.

Joe Biden kämpft immer noch um den Zuspruch der jungen Wählerschaft, die ihm vor vier Jahren zum Sieg verholfen hat. Viele von ihnen sind mit seinem Umgang mit dem Krieg in Gaza nicht zufrieden. Seit rund einer Woche besetzen Tausende Studentinnen und Studenten die Gelände von mehreren Elite-Universitäten in den USA. Sie fordern unter anderem das sofortige Ende des Krieges. Dabei kommt es regelmässig zu Ausschreitungen und antisemitischen Vorfällen.

Claudia Franziska Brühwiler
Claudia Franziska Brühwiler ist Dozentin für Amerikanistik an der Universität St. Gallen.Bild: zvg

Wie gefährlich ist die aktuelle Protestwelle für Präsident Biden?
Claudia Brühwiler: Die Proteste sind zwar sehr sichtbar, aber sie finden in einer privilegierten Schicht statt. Die Demonstrationen sind vor allem an Universitäten und nicht im ganzen Land. Es ist keine Massenbewegung.

In den Vorwahlen haben wir dennoch gesehen, dass propalästinensische Proteste und arabischstämmige oder muslimische Wählerinnen und Wähler in gewissen Regionen einen Einfluss auf die Wahlen haben können. Vor allem, wenn der Kampf sehr knapp ausfällt. Danach sieht es im Moment aus. Joe Biden wird die Proteste also ernst nehmen müssen.

Waren Sie erstaunt vom Ausmass der Universitäts-Proteste?
Wir wissen seit Jahren, dass das palästinensische Volk unter amerikanischen Studenten grosse Unterstützung geniesst. Es gibt zahlreiche Organisationen und Vereine, die propalästinensisch und antiisraelisch ausgerichtet sind. Das ist nichts Neues. Gerade an Spitzenuniversitäten wie Harvard und Columbia werden oft Anlässe organisiert, die nicht einfach antiisraelisch sind, sondern die eine klar antisemitische Ausrichtung haben. Zum Beispiel gibt es die Bewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions), die zum Ziel hat, Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch zu isolieren. Die Bewegung ist durch viele kleinere Organisationen an diesen Universitäten vertreten.​

Auch gab es gleich nach dem Anschlag am 7. Oktober sehr heftige Reaktionen – zum Beispiel an der Harvard-Universität, wo sich zahlreiche Vereine ein Stück weit mit den Attentätern solidarisiert haben. Dass es jetzt zu Zeltstädten kommen würde, das konnte man aber nicht ahnen.

Biden weiss, dass es sich bei den Demonstrierenden um politisch aktive junge Menschen handelt, die eigentlich zu seinen logischen Wählern gehören.

Mit den jungen Menschen hat er im Moment aber ein Problem.
Ja, vor allem mit den progressiven. Sie sind enttäuscht, dass der Präsident nicht ihre Linie fährt. Das hätte er aber sowieso nie getan. Joe Biden ist ein moderater Demokrat. Trotz ihrer Abneigung gegen Biden wissen viele der jungen, politisch aktiven Menschen dennoch, dass sie Donald Trump indirekt unterstützen, wenn sie nicht für den Präsidenten stimmen. Bei so knappen Wahlen zählt jede Stimme.​

Trotzdem haben sich viele junge, progressive Wählerinnen und Wähler von Joe Biden distanziert. Gibt es für sie eine bessere Option?
Nein. Die amerikanischen Präsidentschaftswahlen sind ein Entweder-oder-Spiel. Es gibt keine Alternativen.​

Kann Donald Trump von der aktuellen Situation profitieren?
Er kann die Bilder der Campus-Proteste vor allem dazu nutzen, zu zeigen, wie chaotisch die Zustände unter Biden sind. Laut Umfragen haben zwar rund die Hälfte aller Amerikanerinnen und Amerikaner ein Problem mit der israelischen Kriegsführung in Gaza, die Grundhaltung der konservativen und republikanischen Wähler ist und war aber schon immer proisraelisch. Das Hauptthema für die Trump-Kampagne bleibt die Situation an der Grenze.​

Gegen Donald Trump laufen Dutzende Gerichtsverfahren. Aktuell berät das Oberste Gericht darüber, ob er für Taten, die er während seiner Zeit als Präsident begangen hat, belangt werden kann. In New York muss er sich wegen Schweigegeldzahlungen an eine Pornodarstellerin verantworten. Welche Auswirkungen haben die Gerichtsverfahren auf seinen Wahlkampf?
Bisher haben ihm Gerichtsverfahren vor allem zusätzliche Werbung eingebracht. Das hat ihm immer geholfen. Das Urteil am Obersten Gericht wird historisch sein, egal, wie es ausfällt. Die Aufmerksamkeit bleibt also weiterhin bei ihm. Ausserdem diskutieren Oberste Richter – zwei der konservativen – jetzt auch über die Frage, ob die Strafverfolgung für politische Zwecke missbraucht werde. Trump behauptet schon lange, dass dies der Fall ist.

Viele seiner Wähler interessieren sich aber nicht wirklich für die Verfahren. Einerseits sind sie teils schwierig zu verstehen, andererseits halten seine Unterstützer jeden der Prozesse gegen den Ex-Präsidenten für illegitim und reine Politik.

Trumps Wählerinnen und Wähler sind also überzeugt von ihrem Kandidaten. Was muss Joe Biden tun, um seine potenziellen Unterstützer zu gewinnen?
Auch in seinem Wahlkampf ist Israel sicherlich nicht das wichtigste Thema - das ist die Wirtschaft. Er wird die Errungenschaften seiner Regierung besser verkaufen und sich stärker um eine Lösung bei den undokumentierten Migrantinnen und Migranten bemühen müssen. Die Grenze interessiert alle. (aargauerzeitung.ch)​

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106 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Geläutert
27.04.2024 22:23registriert April 2020
Für die Hamas zu sein soll progressiv sein… yeah right! Ein Meisterstück sowjetischer Propaganda, wie man es schafft die Hamas bei Linken als Symbole für Widerstand und Freiheit zu zeigen
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Turicensis
27.04.2024 21:11registriert Januar 2021
Ich verstehe wirklich nicht, was die Kongruenz von 'woken', liberalen gescheiten Leuten mit einer Hamas-wählenden Bevölkerung ist. Wie kann man Frauenunterdrückung, Illiterazütät etc. pp. unterstützen?
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Knäckebrot
27.04.2024 23:45registriert Juni 2017
"In den Vorwahlen haben wir dennoch gesehen, dass propalästinensische Proteste und arabischstämmige oder muslimische Wählerinnen und Wähler in gewissen Regionen einen Einfluss auf die Wahlen haben können."

Danke, ein weiterer leicht dosierter Hinweis, dass Libanons Geschichte nicht einzigartig ist, sondern ein Prinzip.

Der Westen wird mal gewaltig heulen, wenn er merkt, welcher giftigen Ideologie er die Tore geöffnet hat und davor Warnende einst als Hetzer beschimpfte.

Schade, dass an Unis kein emanzipiertes Denken gelehrt wird, sondern trivialste Täter/Opferweltbilder übernommen werden.
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