Er dokumentiert Österreichs Perversionen. Die Kellerspiele nostalgischer Nazis («Im Keller»), eine sexhungrige Afrikareisende («Paradies: Liebe»), Menschen, die ihr Haustier begehren («Tierische Liebe»). Jetzt ist er erneut nach Afrika gereist, mit reichen Landsleuten, die in ihren Ferien gerne Tiere töten und sich dafür die abwegigsten Theorien zurecht legen. «Safari» ist ein grausamer, immer wieder verblüffender Dokfilm mit verwirrend erhabenen Momenten. Am Zurich Film Festival nahm sich Ulrich Seidl Zeit für uns.
Herr
Seidl, was für ein grossartiger Film! Mein Reflex danach war: So ein schönes
Steak vom Eland-Rind hätte ich jetzt auch gern!
So hungrig waren Sie?
Nein,
aber ich ess gerne Fleisch, und die Beschreibung war äusserst Appetit anregend.
Naja, es ist nicht immer gut.
Das
heisst, Sie sind während der Dreharbeiten schon zum einen oder andern Stück
Wildbret gekommen?
Sicher, sicher, ich hab ja auch dort gelebt,
auf den Farmen. Da ist man abhängig von der jeweiligen Verpflegung und kriegt
halt jeden Tag Fleisch. Auch die ganzen Jagdhelfer, die dort wohnen und
arbeiten, ernähren sich davon.
Aber
kann man so eine Giraffe essen?
Ich hab keine gegessen, aber man kann sie
schon essen. Man kann eigentlich alle Tiere essen. In der Mehrzahl war’s
allerdings nicht so gut, weil es hart oder zäh war, aber es ist halt nicht gut
gemacht, nicht lange genug abgehangen. Man ist dort
nicht so zimperlich.
Wird da
nicht viel mehr Fleisch geschossen, als eigentlich gebraucht wird?
Natürlich. Da schiessen ja verschiedene Leute
den ganzen Tag. In der Regel wird am Vormittag und am Nachmittag was erlegt.
Man
schiesst also am Vormittag was für 1000 Euro und am Nachmittag nochmals?
Das kommt drauf an, das ist ja sehr
individuell. Die meisten Leute, die zur Jagd nach Afrika fahren, machen sich eine
Wunschliste. Es geht ja auch um die Trophäen. Da hat man zuhause schon die und die und die Trophäe, und
dann braucht man noch...
... ein
Zebra. Und eine Giraffe.
Genau. Das ist wie bei Bergsteigern, die sich
sagen: Diesen Gipfel haben wir noch nicht, besteigen wir ihn!
In
ihrem Film zeigen sie eine vierköpfige Familie, alle sind leidenschaftliche
Jäger. Haben die zuhause einen Saal voll mit ausgestopften Trophäen?
Ja. Sie sind
wohlhabend, sie besitzen zuhause in Österreich
ein Gut und Wälder und gehen dort auch ganz normal Hirsche und Rehe schiessen.
Wann
haben denn die Kinder mit Schiessen angefangen?
Als ich gedreht habe, waren sie 17. Ich würde
meinen, mit 12 haben sie angefangen. Aber ich
habe noch ganz was Anderes erlebt: Ich hab in Namibia eine Familie aus
der Steiermark kennen gelernt, die hatten zwei Buben. Der eine Bub war 4 Jahre
alt, der andere 6, und der 6-Jährige hat geschossen. Hat mit der Schrotflinte auf
Perlhühner geschossen. Leider wollten sie beim Film nicht mitmachen.
Schade!
Sehr interessant ist ja auch die Sache mit der Erziehung zum Töten. Die Mutter
verlangt von der Tochter, dass sie jetzt endlich mal lernt, so ein Gnu richtig
zu schiessen, sonst ist die Tochter im Familienverbund nichts wert.
Ja, das Töten der Tiere schafft eine
Verbindung zwischen den Familienmitgliedern. Das habe ich selbst auch erst bei
den Dreharbeiten gelernt. Plötzlich entsteht zwischen Vater und Sohn und
zwischen Mutter und Tochter eine ganz neue Beziehung, eine Nähe und Intimität
aufgrund des Schiessens des Tieres.
Für die
Mutter ist es ja auch immer ein erotisches Erlebnis. Wenn der Schuss abgeht,
stöhnt sie nur noch.
Das ist für sie
wie beim Orgasmus.
Size
matters. So scheint es jedenfalls. Je grösser das Tier, desto grösser der
Lustgewinn.
Je grösser die Ehrfurcht, je grösser die
Anspannung und die Herausforderung, desto grösser auch der Stolz. Je höher der
Gipfel ...
Was war
für Sie als Filmemacher der Reiz? Etwa die Fotos, die wir alle kennen, wo
Menschen wie die Trump-Söhne neben erlegten Tieren posieren?
Jagd war für mich immer schon ein Thema,
obwohl ich selbst kein Jäger bin. Ich bin auch nicht in einem Jagdmilieu aufgewachsen.
Aber mich beschäftigt die Frage: Was treibt Menschen an, dies zu tun? Und dann
auch noch in Kombination mit Urlaub. Sie fahren
alle in den Urlaub und verbringen ihn damit, Tiere totzuschiessen. Das ist
nochmal was anderes, als wenn der Jäger frühmorgens in den heimischen Wald
geht.
Wo es
ja eh zu viele Rehe gibt.
Wenn man sich die Frage nach der Nützlichkeit
und der Ethik stellt, gibt’s nicht so viele Unterschiede. Die Behauptung, es
gebe zu viele Hasen, Füchse, Rehe und Wildschweine kommt ja immer von den
Jägern selbst. Sie müssen sich dauernd
rechtfertigen.
In
ihrem Film behaupten sie auch, sie würden in Afrika Naturschutz betreiben. Ist
das so oder ist das bloss eine wundersame Ausrede?
Teils, teils. Es gibt die sogenannten
«Fleischabschüsse», mit denen gewisse Populationen bewusst dezimiert werden.
Sind keine Gäste da, erledigen das irgendwelche Leute im Auftrag des
Farmbesitzers. Als Jagdurlauber identifiziert man sich natürlich sehr gern
damit und sagt sich: Dieser alte Bulle da, der stört nur in der Herde.
Ist ein
alter Bulle überhaupt attraktiv?
Schon. Sie reden ja immer von «kapital». Bei uns hat ein «kapitaler» Hirsch ja auch
ein gewisses Alter und ein irrsinnig grosses Geweih. Natürlich gibt’s in Afrika
noch was Anderes, aber das ist nicht Thema meines Films: Die afrikanische
Elefantenpopulation etwa nimmt rapide ab, weil auf dem asiatischen Markt ein
riesiger Bedarf nach Elfenbein besteht. Es gilt dort ja immer noch als
Potenzmittel und so weiter, das ist ein Milliardengeschäft. Und da geschehen
fürchterliche Dinge.
Ihre
netten Jäger behaupten ja auch gern, dass sie in Afrika Entwicklungshilfe
machen. Weil sie so viel Geld ins Land bringen.
Das ist auch eine Mär. Denn wer verdient das
Geld? Der weisse Farmer! Die Schwarzen kriegen ihren Wochenlohn, der natürlich
sehr niedrig ist, man sieht im Film ja auch, wie die Schwarzen wohnen. Gerade
im Tourismus benutzen viele Leute dieses Argument gern. Dabei geht das meiste
Geld wieder zurück zu den Investoren und Konzernen, das kommt nicht dem Land
zugute, höchstens in Form von Korruptionsgeldern für gewisse Politiker.
Was ich
nicht verstanden habe, ist die Sache mit dem Gemüse: Wenn das Tier tot ist und
fürs Foto hergerichtet wird, steckt man ihm was Grünes ins Maul. Wozu?
Das ist der «letzte Biss». Eins von vielen
Ritualen. Man entschuldigt sich damit quasi beim Tier. In dieselbe Kerbe
schlägt die Versachlichung der Tiere. Fürs Foto «wäscht» man das Blut mit Sand weg. Alles, was mit Blut zu tun hat, gilt als
unangenehm, als Tabu und wird den Einheimischen überlassen. Die ganze
Schlachterei, das Häuten und Ausweiden.
Wie
müssen wir uns eigentlich die Dreharbeiten vorstellen?
Mein Kameramann Wolfgang Thaler und ich waren immer mit den
Jägern. Unser Ziel war nicht zu zeigen, was mit
den Tieren passiert, sondern, was mit den Menschen passiert. Mit ihren
Gesichtern, ihren Emotionen. Wir mussten also ganz dicht dran sein. Das war
nicht einfach. Wir durften die Tiere ja weder durch Lärm noch durch unseren Geruch
stören.
Fühlen
sich die Menschen in Ihren Filmen nie ausgestellt?
Die Beurteilung oder Verurteilung der Darsteller liegt allein im Ermessen des
Zuschauers. Meine Protagonisten haben kein Problem damit, sich in meinen Filmen
zu sehen, viele begleiten mich seit Jahren und kommen in mehreren meiner Filme
vor.
Und wie
gehen sie mit den Zuschauermeinungen um?
Ich sage ihnen
im voraus: Ihr müsst damit rechnen, dass eine Debatte in der Öffentlichkeit
stattfindet, dass ihr angegriffen werdet ...
...
dass Tierschützer Farbbeutel gegen die Schlossmauern schmeissen ...
Ja, klar. Ich will sie ja nicht hinters Licht
führen. Natürlich haben sie auch bei «Safari» ihre Befürchtungen gehabt, aber
dann haben sie gesehen, dass ich nur das zeige, was sie tun und sagen.
Und?
Sind Sie der Frage auf den Grund gekommen, was die Leute dazu bewegt, ihren
Urlaub mit Töten zu verbringen?
Nein.
«Safari» läuft ab 8. Dezember im Kino.