Herr
Pörksen, wer ist Donald Trump?
Donald Trump ist eine Medienfigur der alten
und der neuesten Welt, eine Art Mischwesen aus Reality-TV-Star und
Internet-Troll. Das macht ihn, bei aller Schockiertheit über seinen Sieg,
analytisch interessant.
Ist das
Fernsehen tatsächlich noch so wirkungsmächtig?
Sein Triumph zeigt dies. Denn es gab eine
verborgene Komplizenschaft zwischen Trumps agressivem Populismus und dem
Spektakelfernsehen mit seinem latenten Extremismus. Wir wissen, dass Trump,
wenn er auf Sendung ging, die Einschaltquoten um bis zu 170 Prozent gesteigert
hat.
Der Traum jedes Medienmachers!
Wir wissen, dass ein CBS-CEO gesagt hat: «Donald Trump mag schlecht sein
für Amerika, aber er ist verdammt gut für CBS.» Wir wissen, dass mit der von
ihm orchestrierten Dauererregung die Werbeerlöse sprudelten und die
Einschaltquoten stiegen.
Aber es
gab auch noch andere mediale Wahlkampfhelfer.
Unbedingt. Sein Fall zeigt auch: Wir müssen im
digitalen Zeitalter lernen, in Wirkungsnetzen zu denken. Da ist der geschwächte
Journalismus und die Medienverdrossenheit, die Trump erlaubt, sich gegen Kritik
zu immunisieren. Und da sind die neuen Möglichkeiten, sich über die sozialen Netzwerke
direkt und barrierefrei an das eigene Publikum zu wenden, eigene Medienkanäle
zu erschaffen und eigene Selbstbestätigungs-Milieus zu kreieren. Milieus, in
denen sich Gleichgesinnte finden, in denen sie ihre Isolationsfurcht
abstreifen. In denen sie sich versichern, wir sind im Recht, Hillary Clinton
gehört ins Gefängnis und Amerika ist im Niedergang und nur die Gestalt eines
mächtigen Führers kann uns retten.
Er
beschuldigt einerseits die Medien, verlogen zu sein, andererseits kamen ihm
gerade die verlogensten Schlagzeilen zugute. Jene nämlich, die von
irgendwelchen Teenagern in Mazedonien frei erfunden wurden.
Manches wird ihm auch geschadet haben. Aber
die Fake-News, die satirischen Nachrichten, die neuen Wendungen und Soundbites
und Skandälchen, die Trump selber geliefert hat, haben in der Summe ein
konstantes Stakkato der Enthüllungen, der grösseren und kleineren Dramen und der
immer neuen Überraschungseffekte geschaffen.
Trotzdem bleibt eine Lüge eine Lüge, oder nicht?
In einem derart toxischen
Kommunikationsklima wird dann die einzelne Unwahrheit, die einzelne Verdrehung
unwichtig. Dauererregung im Verbund mit der neuartigen Hektik und Plötzlichkeit
neutralisiert die Wirkung einer konkreten Enthüllung.
Chaos
als Wahlkampfstrategie?
Das Internet war einmal als ein grosses
Geschenk gedacht, als der Beginn einer neuen Informationsfreiheit. Natürlich
profitieren wir alle nach wie vor unendlich von diesem Informationsreichtum. Und
doch zeigt sich gegenwärtig – dies ist mein reichlich sperriger
Begriffsvorschlag – eine Art Informations-Desinformations-Paradox
der digitalen Zeit.
Das klingt erklärungsbedürftig!
Die Menschen fragen sich: Sind es Bots
oder russische Hacker, die regieren? Ist es die Wahlkampfhilfe, die ein Julian
Assange mit seinen neuen E-Mail-Enthüllungen leistet? Sie sind
verunsichert. Sie sehnen sich nach der
Klarheit, nach festen Wahrheiten, nach einem Schema der Einordnung in einem
Trommelfeuer verstörender Nachrichten. Und da hatte Trump dann seine grosse
Chance. Er gebrauchte als Meister der simplen Symbolkommunikation einfache Formeln («Make America great again»), sofort verständliche, plakative Bilder («die Mauer»).
Aber wie vermochte die Klarheit der Bilder darüber hinwegzutäuschen, dass seine Botschaften inhaltlich
sehr konfus und widersprüchlich waren?
Auf die Inhalte kam es im Falle von Donald
Trump kaum an, sie taugten ihm nur als ein beständig variierbares Material, das
aber in einem einzigen grossen Versprechen des Epochenbruchs gipfelte: «Ich
werde ziemlich hartes Zeug machen. Ich lasse mich von niemandem einschüchtern,
ich bin bereit zu jeder Grenzüberschreitung!» Im Gegensatz zu Hillary Clinton
hat er nicht mehr primär inhaltlich argumentiert, sondern metakommunikativ.
Haben
Sie als Medienwissenschaftler sowas schon mal erlebt?
Nein, denn hier zeigt sich eine neuartige
Kombination von Person und medialer Situation. Zum einen war dies der erste
Wahlkampf, der unter den Bedingungen des digitalen Kontrollverlustes stattfand.
Wir hatten geleakte E-Mails, ein zufällig entstandenes Handyvideo von Hillary
Clintons Schwächeanfall, eine Tonaufzeichnung aus dem Archiv, die Trumps
Frauenverachtung zeigte. Sichtbar wurde ein hochnervöses Wirkungsnetz der
Medien, das geeignet ist, jede Information sofort in fiebrige Erregungsschübe
zu verwandeln.
Und daraus ergab sich ein Match made in hell ...
Diese mediale Situation traf dann auf die skrupellose Person
von Donald Trump, der mit Genuss attackiert hat. Gestützt haben ihn bei seinem
Ego-Feldzug Menschen, die sich womöglich sehr zu Recht abgehängt und missachtet
fühlen.
Ich
wette, dass hinter den Kulissen enorm viele Chefredakteure jubeln, weil Trump
im Gegensatz zu Clinton Einschaltquoten bedeutet. Nicht nur bei CBS. Was war
ihr – vielleicht unbewusster – Beitrag zu seinem Erfolg?
Selbst hervorragende Zeitungen in den USA haben
eine entscheidende, Trump nützende Entpolitisierung der Berichterstattung mit
voran getrieben, indem sie von Anfang an politischen Journalismus als eine Form
von Charaktertest betrieben haben. Das Motto dieser Form der schmutzigen
Psychologie: Wir analysieren die Privatsphäre eines Kandidaten; wir mutmassen
über seine seelische Verfassung, seine Gesundheit, seinen Charakter – und
entscheiden dann, ob dieser Kandidat als Präsident taugt oder nicht.
Das klingt nach ganz normalem Medienalltag.
Das
Problem ist: Hier wechselt man ganz grundsätzlich
die Sphäre, hier überschreitet man eine Grenze – von der Politik zur
Psychologie, von der Ideologie zur Frage der persönlichen Integrität.
Also
auch hier Trash statt Seriosität?
Bis hin zur «Washington Post» und zur «New
York Times» lauteten die Fragen immer wieder auch: Argumentiert Hillary Clinton
nicht ein bisschen zu steif und spröde? Warum kann sie nicht mal lächeln?
Welche Narzissmusprobleme hat Donald Trump? Das Nachrichtenmagazin «Atlantic
Monthly» hat sich auf Dutzenden von Seiten nur mit dem Geisteszustand von
Donald Trump befasst und im Ernst eine Schimpansenforscherin gefragt, ob sie
das Dominanzverhalten von Donald Trump erklären kann. Und so schafften es auch
die klassischen Medien, ihre Berichterstattung zu entpolitisieren.
Hätte
man Trump ohne Küchenpsychologie-Boulevard verhindern können?
Ich behaupte, in einem scharf geführten,
politisch informierten Diskurs kann ein Donald Trump nicht gewinnen. In dem
Moment, indem wir vor allem darüber reden, was die Abschaffung von Obamacare
bedeutet, was es heisst, Millionen Menschen zu deportieren, den Klimawandel als
eine Erfindung zu begreifen und den Kurs des ökonomischen Isolationismus zu wählen
– in diesem Moment haben wir eine andere Matrix der Berichterstattung.
Leider
hat diese den Qualitätsjournalismus nicht interessiert.
So scharf würde ich nicht formulieren. Aber er
hat die Figur Trump mitbefördert, indem er, selbst geschwächt, kein System von
Fragen mehr propagiert hat, das es erlaubt hätte, diesen Mann zu stellen. Dazu
gehört auch, dass man ihn lange nicht ernst genommen hat.
Ehrlich?
Der Effekt war, dass die erste Garde der amerikanischen
Investigativ-Journalisten sich überhaupt erst in der Schlussphase des
Wahlkampfs in der nötigen Schärfe mit Trump auseinandergesetzt hat.
Gerade
schreiben alle, dass sich die Welt in den Klauen von zwei Irren – Trump und
Putin – befindet. Und wer soll’s richten? Eine Frau! Angela Merkel mit ihrer
Nüchternheit wird ja jetzt allgemein zur Lichtgestalt hochgeschrieben, die den
Westen retten soll. Fällt Ihnen dazu was ein?
Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Aber
mir scheint: Man sucht jetzt ganz schlicht jemanden, den man als Gegenhelden
aufbauen kann. Trump ist ja ein «Held» neuen Typs. Es gibt den Helden, der den
klassischen Erwartungen, den
Erwartungen des Establishments, des gesellschaftlichen
Mainstreams genügen will. Hillary Clinton wollte das.
Und Trump ist konsequenterweise der heldenhafte Antiheld?
Donald Trump imponiert seinen Anhängern genau deshalb, weil er die
Massstäbe, nach denen man ein Vorbild oder Rollenbewusstsein definiert,
überhaupt nicht mehr akzeptiert. Weil er sie mit jeder einzelnen Äusserung,
jeder einzelnen Entscheidung verletzt. Und das scheint etwas zu sein, was Menschen durchaus anzieht.
Wieso?
Wir können auf die brutale Transparenz der
gegenwärtigen Medienepoche und den digitalen Kontrollverlust mit Anpassung
reagieren, frei nach dem Motto: «Bloss keine Fehler machen, am besten ein
perfektes Leben führen von Kindesbeinen an, niemals etwas Dümmliches oder
Plumpes in irgendein Mikrophon sagen!» Oder
wir sagen mit Trump: «Eure Massstäbe interessieren mich nicht, ich verachte
sie, ich werde mich ihnen nicht unterwerfen.» Eine solche Ansage begründet eine
eigene Form von scheinbar heldenhafter Selbstpräsentation in einer medial total
ausgeleuchteten Welt.
Und
Angela Merkel?
Sie setzt eher auf Verzögerung, das Abwarten
und Abperlenlassen, sie versucht, die Transparenzforderung zu ignorieren, um
sich Spielräume zu erhalten. Trump ist derjenige, der seine Anhänger dazu
bringt, dieses totale Egal gegenüber den etablierten Massstäben zu feiern.
Es
scheint gerade, als befänden sich die Medien an einem Nullpunkt. Wie sollen wir
weitermachen?
Die Schwierigkeit und das Dilemma wird jetzt
sein: Wie geht man mit populistischen Führungsfiguren um, wie kritisiert und
attackiert man sie, ohne gleichzeitig die Anhänger zu diffamieren und pauschal
zu stigmatisieren? Wie schafft man die Balance zwischen der unbedingt gebotenen
Konfliktbereitschaft und der auch notwendigen Empathie für das Anliegen von
Verzweifelten, denen kaum einer zuhört? Diese Fähigkeit zur Differenzierung ist
für den kommunikativen Klimawandel entscheidend.
Bernhard Pörksen, 47, ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Zuletzt schrieb er gemeinsam mit Friedemann Schulz von Thun das Buch «Kommunikation als Lebenskunst» (Carl Auer-Verlag). In der «Zeit» schrieb er den Essay «Die Schuldfrage» zu den US-Wahlen.
Gab es nicht während einer Fussball-EM einen Ausblende-Button? Würde ich auch zum Ausblenden von Trump-Artikeln begrüssen.