Viele User kommentieren: Wer in der Row Zero steht, will doch Sex mit Till Lindemann.
Agota Lavoyer: Einige haben eventuell ein sexuelles Begehren Till Lindemann gegenüber, andere nicht, und trotzdem stehen sie da. Aber wir reden hier über Gewalt, nicht über Sex! Hinter dieser Aussage steht die Annahme, dass Frauen bewusst das Risiko in Kauf nehmen, dass sie, wenn es blöd läuft, vergewaltigt werden. Das ist eine furchtbare Haltung. (Anmerkung der Redaktion: Till Lindemann wurde nicht wegen Vergewaltigung angeklagt oder verurteilt.)
Warum steht man in der Row Zero?
Jedenfalls nicht, weil man damit rechnet, dass Bandmitglieder sexuell übergriffig sind. Hinter Aussagen wie «das Risiko ist doch klar›» steht die Haltung: Die Männer seien halt triebgesteuert, es sei Biologie, dass sie übergriffig werden. Das ist eine falsche Vorstellung. Zudem hat jeder Mensch das Recht, auch mal unvorsichtig, naiv oder dumm zu sein und nicht immer jedes Risiko kommen zu sehen. Aber niemand hat das Recht, sexuelle Grenzen zu verletzen.
Hat das auch mit dem Alter zu tun, dass man ein Risiko nicht sehen kann?
Wahrscheinlich wird man mit mehr Lebenserfahrung in gewissen Situationen vorsichtiger. Trotzdem: Wir haben alle das Recht, Fehler zu machen, aber nicht, jemandem Gewalt anzutun. Trotzdem liegt es nicht an den Frauen, sexualisierte Gewalt zu verhindern. Das ist eine völlige Fokusverschiebung: Statt von den Tätern redet man von den Betroffenen. Man findet es schlimmer, dass jemand vermeintlich naiv war, als dass jemand sexuell übergriffig war.
Solche Zuschriften stammen fast ausschliesslich von Männern. Auch von Jüngeren. Weshalb fühlen sie sich von solchen Fällen provoziert?
Das betrifft nicht alle Männer. Aber es gibt welche, die sich und ihr Männerbild nicht hinterfragen wollen. Sich zu hinterfragen, ist schmerzhaft, nicht alle sind bereit, von ihrer Machtposition abzurücken. Auch ich habe noch nie so viele Hassreaktionen erhalten wie auf meine Tweets zu Rammstein.
Hat es nicht auch damit zu tun, dass sich diese Männer nicht vorstellen können, wie es ist, eine Frau zu sein, also jene, die körperlich unterlegen ist und nicht konstant an Sex denkt?
Nur, wenn man sich nicht hinterfragt. Im toxischen Männerbild erobern Männer Frauen. Aber wann redet man von erobern? Im Krieg! Und wer etwas erobert hat, dem gehört es. Das ist dieses toxische Narrativ, dass die Frau verfügbar ist und man sich nehmen kann, was man will, solange sie nicht ‹Nein› sagt. Und diesen Männern ist oft auch das ‹Nein› egal. Sie glauben, die Frau gehöre ihnen.
Leser schrieben genau dies: «Es mag nicht einfach sein, aber man kann immer ‹Nein› sagen.»
Eine Person, die so etwas sagt, hat keine Ahnung, was Macht und Machtmissbrauch ist. Und wie gross der Machtunterschied zwischen einem millionenschweren, berühmten Mann in einem gewissen Alter ist und einem Fan. Es wurde mit Separieren der Frauen, Handy wegnehmen, Alkohol verabreichen und anderen Substanzen klar darauf hingearbeitet, es den Frauen zu erschweren, Nein zu sagen. Die Verantwortung liegt immer bei der Person, die übergriffig ist. Sonst macht man eine Täter-Opfer-Umkehr. Der Täter entscheidet: Ich ignoriere die Grenzen des Gegenübers. Das Opfer entscheidet nichts.
Kann es sein, dass er die Grenzen nicht wahrgenommen hat?
Einerseits traut man Männern in unserer Gesellschaft sehr viel zu. Sie sollen die besseren Politiker oder die besseren Chefs sein – aber wenn es um Grenzverletzungen geht, sind sie wie kleine Jungs und wissen es nicht besser? Das ist ein zentraler Bestandteil der Vergewaltigungskultur.
Im Zuge von «MeToo» wurden Machtmissbrauch und Sexismus breit diskutiert. Wie ist es möglich, dass ein Lindemann weitermacht und niemand aus der Branche, seitens der Veranstalter oder der Band das Schweigen bricht?
Weil eine Mehrheit der Gesellschaft sexualisierte Gewalt verharmlost und toleriert. «MeToo» hat aufgezeigt, dass wir ein strukturelles Problem haben – und nicht Einzelfälle. Dessen muss man sich annehmen, und diesbezüglich sehe ich sehr wenige Bestrebungen. Was macht denn die Schweiz dagegen, dass Geschlechterstereotype aufgeweicht werden? Was wird unternommen, damit sexualisierte Gewalt nicht länger verharmlost und den Frauen eine Mitschuld zugesprochen wird?
Was bräuchte es?
Eine grosse Kampagne und entsprechende Aufklärung in den Schulen und verpflichtende Schutzkonzepte, zum Beispiel für Konzertveranstalter. Für eine nationale Kampagne gegen sexualisierte Gewalt sprach der Bund im vergangenen Jahr zwei Millionen Franken. Damit lassen sich ein paar Plakate aufhängen. Schaut man das Ausmass des Problems an, steht dieser Betrag in keinem Verhältnis. Immerhin: Mit Müh und Not haben wir das Sexualstrafrecht reformiert.
Zurück zur Musikbranche: Was raten Sie jungen Fans, wenn sie zu einem Backstage-Besuch eingeladen werden?
Ich habe ganz viele Ratschläge – aber nicht für junge Frauen, die sich korrekt verhalten. Sonst würde ich die Vergewaltigungskultur stützen. Die besagt, dass männliches Verhalten unveränderbar sei und deshalb Frauen dafür verantwortlich sind, dass ihnen keine sexualisierte Gewalt angetan wird.
Was zum Teufel ist das für ein plumpes Vorurteil der Männer?
Komisches Interview.
Wurde dieser unterschied mit Studien erforscht, denke Frauen weniger an Sex ? Was ist das für ein komisches Männerbild, Männer denken doch nicht ständig an Sex?
In meinen Augen ist Jemand ein Experte der sich in seinem Gebiet auskennt und auf Fakten stützt, bevor er spricht.
Zum Fall Rammstein gibt's stand jetzt nur Anschuldigungen, die erst mal bewiesen werden müssen. Also keine Fakten.
Versteht mich nicht falsch, ich will weder Lindemann noch sein Team verteidigen. Falls die ganze Story wahr ist, gehören fiese Leute bestraft. Aber diese ungerechte Berichterstattung ist eine Schande. Stand jetzt gilt die Unschuldsvermutung.