Shelby Lynn hat eine neue Welle ausgelöst, die stark an den Beginn der #MeToo-Bewegung in Hollywood erinnert.
Die Irin erhob schwere Vorwürfe gegen Rammstein-Frontsänger Till Lindemann. Seither ist die 24-Jährige im Netz massivem Hass ausgesetzt. Ihre Glaubwürdigkeit wird stark angezweifelt. Fans der Rockband setzten gar ein Kopfgeld auf die junge Frau aus.
Inzwischen steht Lynn mit ihren Anschuldigungen aber nicht mehr alleine da. Dutzende Frauen berichten von einem mutmasslichen System, bei dem es zu Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen gekommen sei.
Die neuesten Entwicklungen im Fall Till Lindemann:
Von einem angeblich «perversen Groupie-System» berichtet unter anderem der Spiegel. Das Magazin sprach mit mehreren Personen aus dem engeren Arbeitsumfeld von Rammstein sowie mit Frauen, die Zugang zu Pre- und After-Partys im Backstage-Bereich der Rockband gehabt hätten.
Die Aussagen zeichnen ein perfides und wiederkehrendes Muster: Alena Makeeva, die «Casting-Direktorin» der Rockband, soll für den 60-jährigen Frontsänger Sexualpartnerinnen rekrutiert haben. Die Russin soll insbesondere über die sozialen Medien junge Frauen angeschrieben und auf Konzerte in die sogenannte «Row Zero», den abgegrenzten Bereich direkt vor der Bühne, eingeladen haben. Einzige Anforderung: Die Frauen sollen sich möglichst aufreizend kleiden.
«Die Frauen, die Makeeva aussuchte, haben immer sehr jung ausgesehen, nicht älter als Ende zwanzig, und entsprachen dem Typ Metal- oder Goth-Girl», berichtete eine Zeugin, die zum Inner Circle von Rammstein gehört haben soll, dem «Spiegel». Sie wolle, dass man den Frauen glaubt, deshalb habe sie auch eine eidesstattliche Versicherung abgegeben.
Wie Frauen systematisch für Lindemann ausgewählt worden seien, davon berichtet auch die YouTuberin Kayla Shyx. Die 21-Jährige war eine der Ersten, welche die Vorwürfe öffentlich stützten. In einem 30-minütigen Video erzählt sie, wie sie von Makeeva zu einer After-Party eingeladen und in einen Hinterraum geführt worden sei. «Wir wurden da einfach reingeholt, damit sich Lindemann welche aussuchen kann.»
Weiter sagt Shyx: «Alles, was in diesem Raum war, waren Alkohol und zwei Couches. Und auf diesen Couches sassen so acht Mädchen. Manche von denen waren auch wirklich etwas benommen.» Genauso wie Shelby Lynn ist auch Kayla Shyx im Netz enormem Hass ausgesetzt.
Nach den Konzerten seien die Frauen auf After-Show-Partys eingeladen worden, mit dem Versprechen, Lindemann persönlich zu treffen. Eine junge Frau berichtet gegenüber dem Spiegel, wie sie nach einem Konzert als 21-Jährige gemeinsam mit anderen Frauen in ein Taxi gesetzt und in ein Hotel gebracht worden sei. Ihr sei bewusst gewesen, dass es «sexuelle Komponenten» gegeben habe, sie sei aber trotzdem mitgegangen. Alle Frauen hätten Wodka mit dem Musiker getrunken. Dann sei ihre Erinnerung verschwommen, bis sie aufgewacht sei und Lindemann auf ihr gelegen habe. «Als er gemerkt hat, dass ich aufgewacht bin, hat er gefragt, ob er aufhören soll», zitiert die Zeitung.
Eine andere junge Frau berichtet davon, dass Lindemann sie zweimal gefragt habe, ob es okay sei, wenn sie gemeinsam die Nacht verbringen. Auch ihre Erinnerungen seien verschwommen. Geblieben seien ihr «brutale Szenen» sexueller Gewalt.
Makeeva soll nicht nur Lindemann, sondern auch anderen Crew-Mitgliedern Frauen indirekt zugeführt haben, berichtet die Quelle aus Rammsteins Umfeld. Von der After-Party seien Frauen auf eine After-After-Party gebracht worden – intern angeblich als «Schlampenparade» bekannt – bei der es dann zum Sex gekommen sei.
Als Sänger und Gedichteschreiber ist Till Lindemann für Provokationen und Grenzüberschreitungen seit jeher bekannt. Zuletzt für Kritik sorgte er mit einer lyrischen Vergewaltigungsfantasie. In der Poesie heisst es unter anderem: «Ich schlafe gerne mit dir, wenn du träumst. Und genau so soll das sein (so soll das sein, so macht es Spass). Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas).» Bei dem Arzneimittel Rohypnol handelt es sich um ein Schlafmittel – ausgerechnet.
Die umstrittenen Gedichte sind jeweils vom Verlag Kiepenheuer & Witsch veröffentlicht worden. Dieser hat auf die Anschuldigungen bereits mit einer Beendigung der Zusammenarbeit reagiert.
Was für eine Rolle Sex in Lindemanns Leben spielt, zeigt auch ein Blick auf «Doctor Dick». Neben seiner Tätigkeit als Künstler betreibt Lindemann einen Onlineshop – unter dem Namen «Doctor Dick». Die Marke kommt mit einem Penis- und Spritzenlogo daher und vertreibt unter anderem Sextoys, T-Shirts und Bier.
Über seine Presseanwälte lässt Till Lindemann mitteilen, dass die Vorwürfe, die Frauen mit Alkohol oder K.-o.-Tropfen betäubt zu haben, um sexuelle Handlungen an ihnen vorzunehmen, «ausnahmslos unwahr» seien. In einem öffentlichen Statement schreibt die Band: «Wir verurteilen jede Art von Übergriffigkeit und bitten euch: Beteiligt euch nicht an öffentlichen Vorverurteilungen jeglicher Art denen gegenüber, die Anschuldigungen erhoben haben.» Alena Makeeva ist Berichten zufolge offenbar entlassen worden.
Shelby Lynn sei fünf Stunden lang von der litauischen Polizei verhört worden, wie sie selbst berichtet. Wie die litauische Zeitung «Lietuvos rytas» schreibt, hat die Polizei kein Ermittlungsverfahren gegen Till Lindemann eingeleitet, da keine Beweise für eine Straftat vorliegen. Diese Entscheidung müsse noch von der Staatsanwaltschaft in Vilnius genehmigt werden.
Gegenüber NDR und SZ sagt die Irin, dass sie eine Unterlassungsaufforderung von Lindemanns Anwalt erhalten habe. Unterkriegen lassen wolle sie sich aber nicht: «Macht mich bankrott. Ist mir egal. Bringt mich vor Gericht. Ich habe keine Angst. Sie haben viel zu verlieren und eine Menge zu verbergen. Ich habe nichts zu verbergen.» Sie sei sich sicher, dass sie unter Drogen gestanden habe. «Ich habe mich in meinem Leben noch nie so gefühlt.»
Nachdem sie die Polizei informiert hatte, dass ihr eine Substanz verabreicht worden sei, habe die Polizei ihr mitgeteilt, sie solle selbst einen Drogentest durchführen. Dieser sei negativ ausgefallen. Der Verdacht lag auf K.-o.-Tropfen. Diese lassen sich jedoch im Urin nach zwölf Stunden und im Blut nach etwa sechs Stunden nicht mehr nachweisen.
*Mit dem Fall beschäftigt sich inzwischen die Berliner Justiz. Wie die Staatsanwaltschaft mitteilte, ist ein Ermittlungsverfahren aufgrund von mehreren Anzeigen Dritter gegen Till Lindemann eingeleitet worden. Es lägen Tatvorwürfe «aus dem Bereich der Sexualdelikte und der Abgabe von Betäubungsmitteln» vor.
Rammstein befindet sich derzeit auf Europa-Tournee. Bislang ist es trotz Protesten noch zu keinen Konzertabsagen gekommen. Kommenden Samstag und Sonntag wird die Metalband im Berner Wankdorf auftreten. Die Juso hat gemeinsam mit Campax eine Petition lanciert, um die Konzerte zu verhindern.
«Solche Vorwürfe von sexualisierter Gewalt müssen ernst genommen werden! Die Veranstalter müssen das einzig Richtige machen und die Konzerte absagen», lässt sich Nicola Siegrist, Präsident der Juso Schweiz, zitieren.
Absagen möchte der Schweizer Konzertveranstalter Gadget abc Entertainment die Konzerte aber nicht. Die Begründung: «Gadget kann und will sich nicht an Vorverurteilungen beteiligen. Wir haben keine Kenntnis darüber, dass der Band oder einem Bandmitglied strafbare Handlungen nachgewiesen wurden», sagen die Veranstalter gegenüber «20 Minuten».
Fest steht: Hinter der Band steht ein Millionengeschäft. Der amerikanischen Fachzeitung «Pollstar» zufolge sollen alleine die zwölf umsatzstärksten Konzerte einen Ticketumsatz von mehr als fünf Millionen US-Dollar pro Auftritt eingespielt haben.
*Dieser Absatz ist aufgrund neuen Entwicklungen angepasst worden.
Auch bin ich bei dem ganzen Thema etwas skeptisch. War es nicht schon vor 20 Jahren bekannt, was auf den privaten Aftershowparties oder hinter der Bühne läuft?