Herr Schmid, die G7 haben erneut Sanktionen gegen Russland beschlossen. Wie viel Einfluss auf den Kriegsverlauf hat das?
Ulrich Schmid: Die Sanktionen sind als Statement wichtig. Damit wird gezeigt: Wir reagieren auf den russischen Angriffskrieg. Inzwischen hat sich leider aber gezeigt, dass die Sanktionen leicht umgangen werden können. Technologieimporte finden indirekt über ehemalige postsowjetische Staaten statt.
Konkret haben sich die G7 auf Importverbote für russische Diamanten geeinigt. Inwiefern erschwert das Russlands Kriegsfinanzierung?
Der Löwenanteil des russischen Staatshaushalts kommt nach wie vor aus dem Erdölhandel. Trotzdem: Diese Sanktion wird weh tun. Auch wenn es die russische Politik nicht ändern wird. Ich glaube, Präsident Wladimir Putin hat hinlänglich klargemacht, dass er unternimmt, was immer es kostet, um seine russische Position in der Ukraine zu halten.
Wie sieht es beim Erdöl genau aus?
Das Erdöl ist wichtig, weil es einen grossen Teil der russischen Einkünfte ausmacht. Es gibt keine offiziellen Rohstoffsanktionen gegen Russland, stattdessen haben viele europäische Staaten von sich aus aufgehört, russisches Öl und Gas zu kaufen. Aber: Indien beispielsweise kauft sehr viel günstiges russisches Erdöl, raffiniert es und verkauft es zurück nach Europa. Wir haben also trotzdem russisches Benzin in unserem Auto.
Was tun dagegen?
Es wird immer Schlupflöcher geben. Es wäre illusorisch zu glauben, Sanktionen könnten lückenlos durchgesetzt werden.
Die Wirkung von Sanktionen ist also begrenzt?
Die Sanktionsforschung zeigt: Sanktionen haben dann eine politische Wirkung, wenn sie erst angedroht, aber noch nicht in Kraft sind. Dem von Sanktionen bedrohten Staat muss auch ein gesichtswahrender Rückzug angeboten werden.
Die Finanz- und Militärhilfe aus dem Westen stockt. Die vom US-Kongress bewilligten Mittel dürften bis Ende Jahr aufgebraucht sein. Was, wenn das westliche Geld fehlt?
Das Geld ist für das militärische Überleben der Ukraine entscheidend. Die westliche Militärhilfe darf nicht abnehmen, sondern muss auch im neuen Jahr auf dem gleichen Niveau fortgeführt oder sogar gesteigert werden. Nur so hat die Ukraine eine Chance, die russische Aggression abzuwehren. Im Moment sieht es allerdings nicht sehr gut für die Ukraine aus.
US-Präsident Biden hat den US-Senat erneut zur Zahlung gedrängt. Besteht die Gefahr, dass andere Staaten ohne die USA auch nicht mehr zahlen würden?
Ja, es könnte einen Demoralisierungseffekt geben. Die USA haben bisher am meisten Militärhilfe geleistet, wenn dort Sand ins Getriebe kommt, könnte das einen verheerenden Effekt auf die Militärhilfe anderer Länder haben. Im Moment hört man in vielen europäischen Ländern ja, dass man jetzt auch an die eigene Verteidigung denken müsse. So jüngst etwa in Polen und Deutschland.
Welche militärischen Probleme haben die Kriegsparteien?
Auf beiden Seiten sieht es schwierig aus. Russland fehlt es an zusätzlichen Soldaten, um die erschöpften Männer an der Front durch frische auswechseln zu können. Seit der Teilmobilmachung Russlands im September 2022 ist über ein Jahr vergangen. Diese Soldaten müssten nach Hause zurückkehren dürfen. Der gesellschaftliche Druck der russischen Bevölkerung auf Putin, dass dies passiert, nimmt zu. Innerhalb der ukrainischen Armee wird die Kampfkraft durch innere politische Trennlinien unterminiert.
Und jetzt wird es Winter.
Der Winter erschwert die Lage für beide Seiten.
Ist ein Ende des Krieges absehbar?
Nein. Der Krieg wird weitergehen. Russland hat in seinem Staatshaushalt enorme Mittel bereitgestellt für Militärausgaben. Das werden sechs bis sieben Prozent des Bruttoinlandprodukts sein. Zum Vergleich: Wir reden bei den NATO-Mitgliedstaaten jeweilen davon, dass sie das ambitionierte Ziel von zwei Prozent erreichen.
Eben. Russland muss es günstig abgeben.
Somit landet eben doch weniger Geld in der Kriegskasse.
Das passt schon.