Herr Posch, am Montag starben hochrangige Generäle der iranischen Revolutionsgarde bei einem Angriff auf die iranische Botschaft in Damaskus. Iran drohte Israel umgehend mit Vergeltung. Das Regime vermutet Israel hinter der Attacke. Bahnt sich hier ein Krieg zwischen Israel und Iran an?
Walter Posch: Nein, das denke ich eher nicht.
Obwohl der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu am Freitag auf Irans Drohgebärden reagierte, indem er sagte, dass Iran bei einem Angriff auf Israel Konsequenzen drohen würden?
Ja, was sollten Iran und Israel denn sonst in dieser Lage tun? Nichts? Natürlich muss Iran Drohungen aussprechen. Und natürlich muss Israel darauf wiederum mit Drohungen reagieren. Sie müssen schliesslich ihre Anhänger im Inland und ihre Verbündeten im Ausland zufriedenstellen. Aber an einer weiteren Eskalation haben beide Parteien kein Interesse. Israel hat mit dem Kampf gegen die Hamas und die Hisbollah genug zu tun. Und Ali Chamenei, der oberste Führer Irans, meidet seit jeher einen Krieg.
Klingt, als nähmen sie diese Drohungen nicht ernst.
Zwischen Iran und Israel bestehen schon sehr lange grosse Aggressionen. Irans Standardantwort ist immer Drohung. Zum Ausbruch eines Kriegs ist es deshalb aber trotzdem nicht gekommen. Selbst bei israelischen Angriffen, die höhere Verluste für das iranische Regime nach sich zogen. Warum sollte es diesmal anders sein?
Vielleicht, weil Iran argumentiert, dass Israels Angriff auf ihre Botschaft als direkten Angriff auf Iran verstanden werden kann?
Völkerrechtlich ist das auch so. Ein Angriff auf eine Botschaft gilt als Angriff auf einen Staat. Aber Iran ist das letzte Land, das solche Vorwürfe laut machen sollte. Das Regime hat schliesslich selbst schon Angriffe auf Botschaften durchgeführt. Aber das nur am Rande. Ich bin fest davon überzeugt: Solange Netanjahu und Chamenei ihre Nerven behalten, müssen wir nicht mit einem Krieg rechnen. Und ich plädiere darauf, dass man den Angriff auf die iranische Botschaft in Syrien nicht überdramatisiert. Er war schliesslich erwartbar.
Weshalb erwartbar?
Weil bekannt war, dass sich Irans hochrangige Generäle und weitere Schlüsselpersonen in der Botschaft treffen würden. Damit ging Iran ein hohes Risiko ein, angegriffen zu werden.
Hat Iran womöglich bewusst einen Angriff Israels provoziert? Um diesen innen- und/ oder aussenpolitisch zu seinen Zwecken zu nutzen?
Nein, das glaube ich nicht. Dass Iran dachte, ein solches Treffen unbeschadet durchführen zu können, zeigt eher, wie selbstsicher das Regime inzwischen ist. Offensichtlich zu selbstsicher.
Woher kommt dieses Selbstbewusstsein? Innenpolitisch scheint es doch nicht gut auszusehen. Seit September 2022 gehen die Iranerinnen und Iraner auf die Strasse. Protestieren gegen das Regime. Wollen es stürzen. Gehen das Risiko einer Todesstrafe ein.
Klar, Iran hat innenpolitisch einige Probleme. Ökonomische beispielsweise. Und auch die Proteste sorgen für Turbulenzen. Grundsätzlich muss man aber sagen: Das Regime ist relativ stabil. Die Aufstände sind für das Regime keine wirkliche Bedrohung. Dafür fehlt es an einer starken, geeinten, gut organisierten Opposition im Land. Ausserdem ist sich das Regime innenpolitische Krisen gewohnt. Es kann gut mit ihnen umgehen. Das zeigt etwa der Bericht, den Amnesty International kürzlich veröffentlichte: Die Zahl der Hinrichtungen in Iran ist massiv gestiegen.
In den letzten Wochen äusserten die USA zunehmend Kritik an Netanjahus Umgang mit Zivilisten im Gazastreifen. Eine UNO-Resolution, die eine Waffenruhe fordert, kam zustande. Und am Freitag forderte der UNO-Menschenrechtsrat auch noch ein Waffenembargo gegen Israel. Hat das einen Zusammenhang mit Irans starken Selbstbewusstsein?
Sicher. Iran sieht es besonders gerne, dass die USA Israel kritisiert. Ebenfalls kommt dem Regime gelegen, dass die Palästina-Frage wieder auf dem Tisch ist. So ist Israel mit anderem beschäftigt, während Iran seine Standardsprüche gegen Israel klopfen kann.
Ganz unbeteiligt daran, dass die Palästina-Frage wieder auf dem Tisch ist, ist Iran ja aber nicht. So wird stark vermutet, dass Iran die Hamas unterstützt. Wie sehen Sie das? Welche Rolle spielt Iran in diesem Konflikt?
Wissen Sie, wenn man will, kann man im Nahen Osten jeden Konflikt mit jedem in Verbindung bringen. Das Schwierigste im Nahen Osten ist immer, etwas mit Sicherheit zu wissen. Die eine Seite sagt das, die andere das Gegenteil. Das ist auch für mich – auch nach so vielen Jahren, in denen ich mich mit dieser Weltregion beschäftige – noch schwierig. Alles, was Analysten wie ich tun können, ist beobachten und vermuten.
Und was vermuten Sie?
Iran hat die Hamas unterstützt. Etwa mit Waffenlieferungen. Deshalb hat die Hamas nach dem 7. Oktober darauf gehofft, dass Iran im Krieg mit Israel für sie seinen Kopf hinhalten wird. Aber so weit geht die Unterstützung Irans eben doch nicht. Iran könnte einen solchen Konflikt rein strategisch gar nicht stemmen. Irans nächsten Verbündeten in Gaza waren seit jeher die Dschihadisten.
Iran soll auch noch andere terroristische Organisationen unterstützen. Etwa die Hisbollah im Libanon oder die Huthi-Rebellen im Jemen. Mit welchem Ziel?
Das iranische Regime will den Einfluss des Westens im Nahen Osten zerstören. Aus ihrer Sicht steht Israel für die westliche Kolonialisierung des Nahen Ostens.
Die Geschichte zeigt aber: Das Verhältnis zwischen Israel und Iran war nicht immer so angespannt. Im Gegenteil. In den 1950er-Jahren pflegten die beiden Staaten sogar freundschaftliche Beziehungen.
Ja, diese Nähe war aber mit ein Grund für die Iranische Revolution 1979. Der iranische Revolutionsführer Ayatollah Ali Chamenei war sein Leben lang gegen die Staatsgründung Israels und damit für den bewaffneten Widerstand der Palästinenser. Deshalb ist die Zerstörung Israels seit der Revolution Staatsdoktrin. Irans Verfassung hält sogar fest, dass es sich zur Unterstützung revolutionärer Befreiungsbewegungen weltweit – ungeachtet ihrer religiösen Zugehörigkeit – verpflichtet.
Das würde ja wieder dafür sprechen, dass ein Krieg zwischen Israel und Iran bevorstehen könnte.
Eine Eskalation ist theoretisch immer möglich. Wahrscheinlich wissen wir am Freitag in einer Woche mehr. Dann ist der letzte Tag des Fastenmonats Ramadan. An diesem hält Chamenei jeweils eine Rede an sein Volk, in der er besonders hart gegen Israel austeilt. Gut möglich, dass er, wenn er einen Krieg wollen würde, diesen dann ausrufen würde. Aber ich bin, wie gesagt, skeptisch, dass er mehr als Drohgebärden verlauten wird. Der Iran-Irak-Krieg in den 1980er-Jahren liess Iran stark geschwächt zurück. Diese Erfahrung liess das iranische Regime seine geopolitische Strategie ändern. Seither zeigt Iran seinen Widerstand, indem es die westlichen Mächte als geduldiger Provokateur herausfordert. Das iranische Regime will es aber nie so weit kommen lassen, dass ein effektiver Krieg in ihrem Land ausbricht.
Heisst das, das der Iran gemäss ihrer Doktrin eigentlich die Ukraine unterstützen müsste? Wer sagts ihnen?