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Wegen Patriarchat: Autorin Emilia Roig fordert Ende der Ehe

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Emilia Roig findet nicht, dass eine romantische Beziehung die Ehe braucht.Bild: www.imago-images.de
Interview

Nach der Hochzeit kickt das Patriarchat: Autorin Emilia Roig fordert Ende der Ehe

21.06.2023, 17:2621.06.2023, 17:30
Julia Jannaschk / watson.de
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Emilia Roig war selbst verheiratet – Traumhochzeit inklusive. Heute ist sie geschieden, in einer Beziehung mit einer Frau und davon überzeugt: Die heterosexuelle Ehe sorgt dafür, dass Frauen ausgenutzt und unterdrückt werden.

In ihrem Buch «Das Ende der Ehe. Für eine Revolution der Liebe» plädiert sie dafür, Frauen aus der Abhängigkeit von Männern zu befreien, in die sie durch die Heirat oft geraten.

Im Gespräch mit watson erzählt sie, wieso Menschen trotzdem noch heiraten und warum es für manch eine Ehe doch noch Hoffnung geben könnte.

Kommen wir gleich zum provokativen Titel deines Buches «Das Ende der Ehe»: Zerstört die Ehe deiner Meinung nach die Liebe?

Emilia Roig:
Ich würde nicht pauschal sagen, dass die Ehe die Liebe zerstört. Aber die Institution Ehe zerstört viele Formen der Liebe oder macht es schwieriger, andere Formen der Liebe zu leben und zuzulassen. Und die Liebe braucht definitiv nicht die Ehe, um sich zu entfalten.

Der Statistik nach wird jede dritte Ehe geschieden. Warum heiraten Menschen überhaupt noch?

Würde es Prognosen für den Kauf einer Wohnung geben, dass sie mit 30-prozentiger Wahrscheinlichkeit nach zehn Jahren nicht mehr bewohnbar ist, dann würde niemand mehr Wohnungen kaufen. Aber bei der Ehe geht es anders. Menschen gehen die Ehe mit der Überzeugung ein, dass es bei ihnen anders sein wird. Dass bei ihnen die Liebe stärker sein wird als bei anderen Menschen und dass ihre Beziehung die Ausnahme ist.

«In welcher Gesellschaft ist die Heirat die einzige Möglichkeit für Frauen, finanziell abgesichert zu sein?»

Ausserdem gibt es viele, auch steuerliche, Begünstigungen, denen zufolge es sinnvoll ist, zu heiraten. Deswegen heiraten auch weiterhin noch Menschen. Dann gibt es dieses Phänomen, dass man den anderen folgt: Wenn im Freundeskreis die ersten heiraten, dann heiraten auch alle anderen Paare. Wenn das erste Kind kommt, bekommen die anderen auch alle ein Kind. Durch diese Nachahmung reproduzieren sich gesellschaftliche Normen.

Die Ehe kann aber auch Vorteile haben. Sie ist ja dazu gedacht, dass Frauen, vor allem mit Kind, finanziell abgesichert sind.

Vielen Frauen in der jetzigen Situation würde ich auch trotzdem empfehlen, zu heiraten, weil sie dann abgesichert sind. Doch diese Vorteile sind für mich etwas bizarr: In welcher Gesellschaft ist die Heirat die einzige Möglichkeit für Frauen, finanziell abgesichert zu sein? Das zeigt, wie zutiefst ungerecht und ungleich unsere Gesellschaft ist.

Oft bedeutet dafür eine Scheidung für Frauen auch grosse finanzielle Probleme ...

Wir sollten schauen: Was können wir tun, damit Frauen nicht darauf angewiesen sind, finanziell abhängig von einem Mann zu sein? Für mich ist es absurd, wie sehr die finanzielle Abhängigkeit der Frauen in unserer Gesellschaft normalisiert ist. Wir halten das für komplett normal, selbst im 21. Jahrhundert. Wir denken, wir sind sehr modern, aber die Männer würden niemals akzeptieren, von Frauen kollektiv finanziell abhängig zu sein. Warum? Finanzielle Macht ist in unserer Gesellschaft allgemeine Macht. Männer haben durch finanzielle Macht auch die strukturelle, politische und wirtschaftliche Macht. Viele Frauen merken das nicht und normalisieren es zudem.

Was müsste sich ändern, um Frauen aus dieser Abhängigkeit von Männern zu befreien?

Frauen sollten sich selbst befreien und nicht erwarten, dass jemand anderes es tut. Die Frage nach der Absicherung im Falle einer Trennung schafft eine grosse Hemmung, sich zu trennen oder überhaupt darüber nachzudenken. Eine Anforderung wäre, diese finanzielle Ungleichheit innerhalb von Ehen zu thematisieren. Das ist zum Beispiel die Person, die zu Hause bleibt oder weniger Lohnarbeit nachgehen kann, weil sie sich um die Kinder kümmert. Ihr sollte ein Teil des Gehalts der anderen Person zustehen, die mehr verdient. Aber während der Ehe und nicht danach.

«Wenn Männer nicht verstehen, was emotionale Arbeit ist, dann sollten wir aufhören, sie zu leisten.»

Man sollte sagen: Wie viel Care-Arbeit hat diese Person geleistet, damit die andere Person arbeiten konnte – und dann steht ihr dieses Geld zu. Und der Versorgungsausgleich für die Rente sollte auch schon innerhalb von der Ehe stattfinden. Damit wenn die Frau sich trennen will, sie das auch tun kann, ohne Angst zu haben. Viele Frauen wissen oft nicht genau, was ihr Mann verdient oder wie viel ihnen im Falle einer Trennung zusteht. Es darf kein Tabuthema sein.

Mit der Sichtbarmachung und Aufteilung von Mental-Load hadern viele Frauen, wie es scheint ...

Bei Mental-Load ist es das Gleiche wie bei Care-Arbeit. Das ist Arbeit, die erst bemerkt wird, wenn sie nicht geleistet wird. Diese Arbeit wird nicht gewürdigt oder anerkannt – nicht nur in romantischen Beziehungen, sondern auch innerhalb der Gesellschaft. Emotionale Arbeit, auch in Freundschaften, bei der Arbeit und der Familie, ist meist unsichtbar. Doch es sind meistens die Frauen, die darauf achten, dass alle Bedürfnisse erfüllt werden und Harmonie herrscht. Dass der Vater nicht schlecht gelaunt ist und die Mutter nicht zu viel zu tun hat. Und diese Arbeit wird nicht sichtbar gemacht. Wenn Männer nicht verstehen, was emotionale Arbeit ist, dann sollten wir aufhören, sie zu leisten. Und dann werden sie wohl merken, was es heisst.

Du forderst, dass Care-Arbeit entlohnt werden muss. Das finde ich auch. Aber das wäre doch unbezahlbar ...

Es muss irgendeine Art der Bezahlung geben, als Teil des Daseins. Klar, Care-Arbeit ist so wertvoll, dass man sie nicht in Geld fassen kann. Aber wie viele andere Sachen sind im Kapitalismus nicht «greifbar» und werden dennoch bezahlt, und zwar sehr gut? Ausserdem kann man nicht nur von Liebe leben. Deshalb müssen wir einen Weg finden, dass sie bezahlt wird.

Welche Fragen sollte man sich als Frau stellen, bevor man heiratet?

Die erste Frage wäre: Könnt ihr sachlich, ehrlich und auf Augenhöhe über Geld und Care-Arbeit sprechen? Ohne dass es schambehaftet ist oder zu emotional wird? Fühlst du dich in der Lage, Geld zu verlangen für die Arbeit, die du leistest? Die zweite Frage ist: Wie ist die Arbeit bei uns aufgeteilt, wenn noch keine Kinder da sind?

Warum sollte man sich gerade diese Frage stellen?

Es ist knifflig, denn manchmal denkt man, alles ist gut. Und ab dem Moment, wo Kinder da sind, ändert sich alles und Care-Arbeit wird multipliziert. Man sollte sich fragen: Wie sollen wir das regeln, damit keine*r von uns schlechter aufgestellt ist? Wenn eine Frau sagt: Ich würde gerne zu Hause bleiben und mich um die Kinder kümmern, dann darf sie dafür nicht schlechter finanziell aufgestellt sein als ihr Mann, denn es handelt sich auch um seine Kinder. Und das sollte möglich sein, ohne finanziell bestraft zu werden. Und die allerwichtigste Frage: Warum wollen wir überhaupt heiraten?

Wenn man nun aber schon geheiratet hat: Kann man die Beziehung noch verändern, ohne dass sie zerbricht?

Es gibt viele Männer, die sich wirklich bemühen und daran ein Interesse haben, das sollte auch nicht verschwiegen werden. Aber das heisst auch, dass man wirklich ein Stück weit auf bestimmte Begünstigungen verzichten muss. Das Problem ist: Sind Menschen als Paar bereit, auf diese steuerlichen Vorteile zu verzichten und die Care-Arbeit egalitär zu organisieren? Sofern beide das wollen.

Der zweite Teil deines Buchtitels heisst: «Für eine Revolution der Liebe». Wie sähe so eine Revolution für dich aus?

Freundschaften müssen mehr Platz einnehmen, weil sie so wichtig sind. Wir würden ohne sie nicht überleben. Freundschaften brauchen mehr Anerkennung, mehr Zeit und mehr Platz in unseren Leben. Und das fehlt in unserer Gesellschaft, weil die Übermacht der Paare so stark ist. Romantische Paare werden als beste und glücklichste Art der Beziehung angesehen. Das heisst, Freundschaften oder andere Beziehungsarten dürfen aufgeopfert werden für diese eine Beziehung. Das halte ich für falsch.

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212 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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In per tuts, tuts per in
21.06.2023 17:45registriert Juli 2020
Klar muss man provozieren, um die Diskussion anzustossen und ins Gespräch zu kommen, aber diese Pauschalisierung ist ungesund.
Insbesondere in der heutigen Zeit, in der Männer nicht mehr schräg angeschaut werden, wenn sie mit dem Baby im Tragetuch unterwegs sind oder immer mehr Partner sich auf Augenhöhe begegnen, sind solche kategorischen Kampfansagen verstörend.
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FACTS
21.06.2023 18:08registriert April 2020
Nicht die Ehe, sondern die traditionelle eheliche Rollenverteilung macht Frauen von ihren Ehemännern abhängig (gilt übrigens in vielerlei Hinsicht auch in die umgekehrte Richtung).

Und für diese Rollenverteilung sind beide Eheschliessenden verantwortlich. Weshalb man jetzt die Ehe statt die Fehlentscheidungen der Eheleute verteufeln sollte, erschliesst sich mir nicht!
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son.see
21.06.2023 18:05registriert November 2022
Ich kann verstehen, dass die Frau in ihrer Ehe traumatische Erfahrungen gemacht hat, aber hat sie nicht selber diesen Mann gewählt? Und natürlich kann sich eine Partnerschaft auch verschlechtern, aber von ihrem Einzelfall auf alle Ehen zu schliessen ist doch auch konstruiert. Ausserdem hat Heiraten ja auch Vorteile wie Absicherung der Frau und der Kinder, Absicherung im Alter (Witwenrente) oder wesentliche Steuererleichterungen.
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