International
Iran

So geht Irans Regime gegen die eigene Bevölkerung vor

Waffenstillstand Israel Iran
Sicherheitsbeamte kontrollieren eine Menschenansammlung zur Feier des Waffenstillstands zwischen Israel und dem Iran.Bild: Nurphoto

«Jeder kann der Spionage beschuldigt werden»: So geht Irans Regime gegen die eigene Bevölkerung vor

Seit dem israelischen Angriff auf iranische Militärziele greift das Regime hart durch - und sucht nach Verrätern im eigenen Land. Hunderte wurden verhaftet, einige hingerichtet. Wer verdächtigt wird, mit Israel zu sympathisieren, lebt gefährlich.
07.07.2025, 21:3507.07.2025, 21:35
Natasha Hähni / ch media
Mehr «International»

«Die Situation hat sich so zugespitzt, dass ich unsere Nachrichten jeweils schnell von meinem Handy löschen muss», schreibt Leila in ihrer Nachricht Anfang Juli. Seit Israel Mitte Juni den Iran mit Luftschlägen angegriffen hat, suchen die Mullahs nach Verantwortlichen.

Das Ausmass und die Präzision des Angriffs auf hochrangige Kommandeure von Elitetruppen der Islamischen Revolutionsgarden und Atomwissenschafter sei nur dank der Weitergabe von Informationen an Israel möglich gewesen, sind sich die Herrscher in Teheran sicher.

Mit Verweis auf den Schutz der nationalen Sicherheit geraten deshalb immer mehr Menschen ins Visier der Behörden. Schon während des 12-Tage-Krieges wurden laut iranischen Nachrichtenagenturen über 900 Menschen verhaftet, die unter Verdacht standen, dem «israelischen Spionagenetzwerk» nahezustehen. Mindestens ein halbes Dutzend Menschen wurde seither hingerichtet.

Leila lebt in Teheran. Ihren richtigen Namen will sie aus Sicherheitsgründen nicht nennen. Sie wurde schon mehrmals festgenommen. Seit ihrer Jugend protestiert sie regelmässig gegen das iranische Regime – dieser Tage bleibt sie aber zu Hause. «Die Strassen sind voller Checkpoints. Jeder, der ein Foto oder Video vom Krieg macht, wird sofort festgenommen», so die 31-Jährige. Die Anzahl Verhaftungen sei in letzter Zeit dramatisch gestiegen.

Unterscheiden würde sich die aktuelle Situation von den grossen Protesten vor drei Jahren vor allem in einem Punkt: «Jetzt kann jeder der Spionage beschuldigt werden», so Leila. Das wiederum kann wegen eines neuen Notstandgesetzes mit dem Tod bestraft werden.

Im Staatsfernsehen werden zurzeit angebliche Geständnisse von inhaftierten Personen gezeigt, in denen sie die Zusammenarbeit mit dem Mossad gestehen. Menschenrechtsgruppen kritisieren schon länger, das iranische Regime erzwinge Geständnisse. Auch faire Gerichtsverfahren sind oft nicht gegeben. Das iranische Geheimdienstministerium begründet sein hartes Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung mit dem «unerbittlichen Kampf» gegen westliche und israelische Geheimdienste.

Der grosse Aufstand blieb aus

«Je unsicherer sich unser Regime fühlt, desto mehr werden wir unterdrückt. Unsere Lage hat sich nach dem Krieg deutlich verschlechtert», sagt Leila zu CH Media. In den letzten Monaten wurden Verbündete des iranischen Regimes, wie die Hamas, die Hisbollah und das Assad-Regime, stark geschwächt.

Während des Krieges rief der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu das iranische Volk dazu auf, die Regierung zu stürzen. Auch Oppositionsgruppen im Exil hatten zum Teil die Hoffnung geäussert, Israels Militärkampagne würde einen Massenaufstand und den Sturz des Mullah-Regimes auslösen. Bis jetzt gibt es trotz Wut auf die Islamische Republik keine Anzeichen dafür.

Gegenüber der deutschen Nachrichtenagentur Reuters sagte ein iranischer Sicherheitsbeamter jedoch, dass sich die Behörden auf mögliche innere Unruhen, «insbesondere in den kurdischen Gebieten», konzentrieren.

Die grossen Proteste bleiben vorerst aus

Aus Angst, die Regierung könne die Situation als Vorwand nutzen, sie festzunehmen, halten sich viele Aktivistinnen und Aktivisten derzeit bedeckt. Gegenüber «BBC Persian» berichten Iranerinnen und Iraner von SMS, in denen sie vom Geheimdienstministerium gewarnt werden, dass ihre Telefonnummer auf Social-Media-Seiten aufgetaucht sei, die im Zusammenhang mit Israel stünden. Sollten sie diese nicht verlassen, drohe ihnen strafrechtliche Verfolgung.

Eine Moderatorin des persischsprachigen Senders Manoto TV in London wurde laut dem Newsportal «Iran International» von der Revolutionsgarde wegen ihrer Berichterstattung über den Iran-Israel-Konflikt zur Kündigung gedrängt. Ihre Eltern und ihr Bruder seien als Druckmittel festgenommen worden. Ihr Vater forderte sie dann auf Anweisung eines Sicherheitsbeamten dazu auf, zu kündigen, und warnte sie vor weiteren Konsequenzen.

Die Einschüchterung funktioniert – zumindest im Moment. Die vom Regime befürchteten Massenproteste während des Krieges sind zwar ausgeblieben, nicht zuletzt, weil die Mullahs zur Kontrolle gezielt Internet-Blackouts einsetzen. Doch das bedeutet nicht, dass solche Proteste in den kommenden Monaten oder Jahren ausgeschlossen sind. Trotz allem haben die israelischen Angriffe in den vergangenen Wochen das Bild der iranischen Regierung und ihrer Geheimdienste als unantastbar sichtbar bröckeln lassen.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die Gesichter des Protestes gegen das Regime in Iran
1 / 19
Die Gesichter des Protestes gegen das Regime in Iran
Der Auslöser für die Proteste war der Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini. Die 22-Jährige starb wohl, weil sie ihr Kopftuch nicht so getragen hatte, wie die iranischen Mullahs und das iranische Gesetz es für Frauen vorsehen. Die genauen Umstände ihres Todes sind noch unklar. Amini wurde zu einer Ikone im Kampf für Freiheit.
quelle: keystone / abedin taherkenareh
Auf Facebook teilenAuf X teilen
So reagiert Trump auf den Bruch der Waffenruhe zwischen Israel und dem Iran
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
46 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
46
Neue Vorwürfe gegen Schweizer AfD-Pfarrer wegen Facebook-Posts – was ihm nun droht
Der Diessenhofer Pfarrer Gottfried Spieth politisiert für die «Alternative für Deutschland» in Frankfurt an der Oder. Jetzt gibt es neue Anschuldigungen gegen den 64-Jährigen, weil er auf Facebook Fremdenhass verbreitet hat. Der Kirchenrat kündigt Konsequenzen an.
Sein Büro ist schon zu Teilen geräumt, vor dem Pfarrhaus steht ein grosser Container. Gottfried Spieth packt grad die Zügelkisten für seine Familie, die ihre Siebensachen aufs neue Schuljahr hin nach Frankfurt an der Oder zügelt. Im brandenburgischen Städtchen an der Grenze zu Polen hat der Diessenhofer Pfarrer seit Juni 2024 ein politisches Amt für die AfD inne.
Zur Story