«Die Situation hat sich so zugespitzt, dass ich unsere Nachrichten jeweils schnell von meinem Handy löschen muss», schreibt Leila in ihrer Nachricht Anfang Juli. Seit Israel Mitte Juni den Iran mit Luftschlägen angegriffen hat, suchen die Mullahs nach Verantwortlichen.
Das Ausmass und die Präzision des Angriffs auf hochrangige Kommandeure von Elitetruppen der Islamischen Revolutionsgarden und Atomwissenschafter sei nur dank der Weitergabe von Informationen an Israel möglich gewesen, sind sich die Herrscher in Teheran sicher.
Mit Verweis auf den Schutz der nationalen Sicherheit geraten deshalb immer mehr Menschen ins Visier der Behörden. Schon während des 12-Tage-Krieges wurden laut iranischen Nachrichtenagenturen über 900 Menschen verhaftet, die unter Verdacht standen, dem «israelischen Spionagenetzwerk» nahezustehen. Mindestens ein halbes Dutzend Menschen wurde seither hingerichtet.
Leila lebt in Teheran. Ihren richtigen Namen will sie aus Sicherheitsgründen nicht nennen. Sie wurde schon mehrmals festgenommen. Seit ihrer Jugend protestiert sie regelmässig gegen das iranische Regime – dieser Tage bleibt sie aber zu Hause. «Die Strassen sind voller Checkpoints. Jeder, der ein Foto oder Video vom Krieg macht, wird sofort festgenommen», so die 31-Jährige. Die Anzahl Verhaftungen sei in letzter Zeit dramatisch gestiegen.
Unterscheiden würde sich die aktuelle Situation von den grossen Protesten vor drei Jahren vor allem in einem Punkt: «Jetzt kann jeder der Spionage beschuldigt werden», so Leila. Das wiederum kann wegen eines neuen Notstandgesetzes mit dem Tod bestraft werden.
Im Staatsfernsehen werden zurzeit angebliche Geständnisse von inhaftierten Personen gezeigt, in denen sie die Zusammenarbeit mit dem Mossad gestehen. Menschenrechtsgruppen kritisieren schon länger, das iranische Regime erzwinge Geständnisse. Auch faire Gerichtsverfahren sind oft nicht gegeben. Das iranische Geheimdienstministerium begründet sein hartes Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung mit dem «unerbittlichen Kampf» gegen westliche und israelische Geheimdienste.
«Je unsicherer sich unser Regime fühlt, desto mehr werden wir unterdrückt. Unsere Lage hat sich nach dem Krieg deutlich verschlechtert», sagt Leila zu CH Media. In den letzten Monaten wurden Verbündete des iranischen Regimes, wie die Hamas, die Hisbollah und das Assad-Regime, stark geschwächt.
Während des Krieges rief der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu das iranische Volk dazu auf, die Regierung zu stürzen. Auch Oppositionsgruppen im Exil hatten zum Teil die Hoffnung geäussert, Israels Militärkampagne würde einen Massenaufstand und den Sturz des Mullah-Regimes auslösen. Bis jetzt gibt es trotz Wut auf die Islamische Republik keine Anzeichen dafür.
Gegenüber der deutschen Nachrichtenagentur Reuters sagte ein iranischer Sicherheitsbeamter jedoch, dass sich die Behörden auf mögliche innere Unruhen, «insbesondere in den kurdischen Gebieten», konzentrieren.
Aus Angst, die Regierung könne die Situation als Vorwand nutzen, sie festzunehmen, halten sich viele Aktivistinnen und Aktivisten derzeit bedeckt. Gegenüber «BBC Persian» berichten Iranerinnen und Iraner von SMS, in denen sie vom Geheimdienstministerium gewarnt werden, dass ihre Telefonnummer auf Social-Media-Seiten aufgetaucht sei, die im Zusammenhang mit Israel stünden. Sollten sie diese nicht verlassen, drohe ihnen strafrechtliche Verfolgung.
Eine Moderatorin des persischsprachigen Senders Manoto TV in London wurde laut dem Newsportal «Iran International» von der Revolutionsgarde wegen ihrer Berichterstattung über den Iran-Israel-Konflikt zur Kündigung gedrängt. Ihre Eltern und ihr Bruder seien als Druckmittel festgenommen worden. Ihr Vater forderte sie dann auf Anweisung eines Sicherheitsbeamten dazu auf, zu kündigen, und warnte sie vor weiteren Konsequenzen.
Die Einschüchterung funktioniert – zumindest im Moment. Die vom Regime befürchteten Massenproteste während des Krieges sind zwar ausgeblieben, nicht zuletzt, weil die Mullahs zur Kontrolle gezielt Internet-Blackouts einsetzen. Doch das bedeutet nicht, dass solche Proteste in den kommenden Monaten oder Jahren ausgeschlossen sind. Trotz allem haben die israelischen Angriffe in den vergangenen Wochen das Bild der iranischen Regierung und ihrer Geheimdienste als unantastbar sichtbar bröckeln lassen.