Netanjahu erkennt türkischen Völkermord an Armeniern an
Als erster Regierungschef Israels hat Benjamin Netanjahu den Völkermord an den Armeniern vor 110 Jahren anerkannt.
Der Interviewer Patrick Bet-David, ein US-amerikanischer Geschäftsmann, fragte ihn in seinem Podcast, warum gerade Israel «den türkischen Völkermord an den Armeniern, Assyrern und Griechen» bisher nicht anerkannt habe. Netanjahu antwortete daraufhin: «Habe ich soeben getan. Bitte sehr.»
Rund 1,5 Millionen Armenier starben 1915 und 1916 – im Ersten Weltkrieg – nach Forschungen von Historikern durch die systematischen Tötungen im Osmanischen Reich. Die Türkei als Rechtsnachfolgerin weist den Begriff Völkermord – auch Genozid genannt –, also die gezielte Auslöschung des armenischen Volkes mit systematischen Tötungsmethoden, zurück. Zugegeben werden Massaker an 300'000 bis 500'000 Menschen.
Auch die aramäischen und assyrischen Christen in Südostanatolien und in der persischen Provinz Aserbaidschan wurden im gleichen Zeitraum Opfer eines Völkermordes. Täter waren das Osmanische Reich und einzelne kurdische Stämme. Opferzahlen schwanken, Historiker gehen von 250'000 bis 275'000 aus. In gewissen Regionen wurden 50 bis 90 Prozent der aramäischen oder assyrischen Bevölkerung getötet. Die Türkei bestreitet, dass es sich dabei um einen Genozid gehandelt habe.
Weiter kam es während des Ersten Weltkriegs und bis 1922 im Osmanischen Reich und in der Republik Türkei zu einem Völkermord an den Griechen. Dieser forderte Hunderttausende Tote und führte dazu, dass seit einem Bevölkerungsaustausch mit Griechenland 1923 die griechische Präsenz in der Türkei fast gänzlich verschwunden ist. Die Türkei bestreitet auch in diesem Fall die Einstufung als Genozid.
Reaktion der Türkei
Die Türkei verurteilte die Erklärung. «Netanjahu, der wegen seiner Rolle beim Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung angeklagt ist, versucht, die von ihm und seiner Regierung begangenen Verbrechen zu vertuschen», hiess es in einer Erklärung des Aussenministeriums in Ankara.
Israel hatte eine offizielle Anerkennung bisher vermieden. Es gab verschiedene Vorstösse im Parlament, die aber nie in einer formellen Abstimmung endeten.
Verschlechterte Beziehungen zur Türkei
Als Grund für die Zurückhaltung galt Rücksichtnahme auf die Beziehungen mit der Türkei. Diese haben sich jedoch in den letzten Jahren immer weiter verschlechtert, vor allem vor dem Hintergrund des israelischen Vorgehens gegenüber den Palästinensern. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warf Israel 2023 einen Genozid im Gazastreifen vor.
Der US-Kongress hatte die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkrieges 2019 als Völkermord anerkannt. Der Deutsche Bundestag hatte dies bereits 2016 getan – dies belastete damals die deutsch-türkischen Beziehungen schwer.
In der Schweiz hat der Nationalrat den Völkermord an den Armeniern bereits 2003 anerkannt.
(rbu) mit Material von sda und dpa
