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Über hundert Tote nach Ansturm auf Hilfslieferungen in Gaza

In this screen grab taken from video and released by the Israeli army on Thursday, Feb. 29, 2024, Palestinians surround aid trucks in northern Gaza in what officials described the day before as the fi ...
Screenshot aus einem Video der IDF, das den Ansturm auf die Hilfslieferung zeigen soll, der sich am Donnerstagmorgen in Gaza-Stadt ereignet hat, 29. Februar 2024.Bild: keystone

«Eine Tragödie» – über hundert Tote nach Ansturm auf Hilfslieferungen in Gaza

29.02.2024, 17:2201.03.2024, 07:53
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In Gaza-Stadt ist es am Donnerstag rund um eine Lieferung von Hilfsgütern zu Gewalt gekommen, wie mehrere Medien berichten. Gemäss der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sollen dabei über hundert Menschen getötet und 760 weitere verletzt worden sein. Die Angaben liessen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Ein Überblick:

Was ist passiert?

Die Beschreibungen von dem, was sich am Donnerstag in Gaza-Stadt abgespielt hat, gehen weit auseinander. Klar ist: Beim Eintreffen von Hilfslieferungen in Gaza-Stadt ist es zu tumultartigen Szenen mit Dutzenden Todesopfern gekommen.

Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde soll die israelische Armee 104 Menschen getötet und 760 verletzt haben, als diese auf einfahrende Hilfsgüter gewartet hätten. Sie sprechen von einem Massaker an der Bevölkerung. Die Angaben liessen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Der US-amerikanische Nachrichtensender CNN berichtet ausserdem von Panzern und Drohnen, die auf die Menschenmenge geschossen haben sollen. Mehrere Personen sollen ausserdem von den Lastwagen überfahren worden sein.

Die israelische Armee teilte derweil mit, dass sich Anwohnende um die einfahrenden Hilfsgüter gedrängt und diese geplündert hätten. Im Gedränge der Menschenmenge seien Dutzende Palästinenserinnen und Palästinenser gestorben. Der Vorfall werde noch überprüft.

Mehrere israelische Medien berichteten unter Berufung auf Armeekreise, dass Angehörige der israelischen Armee das Feuer auf eine Gruppe von Personen eröffnet hätten, nachdem sich diese den Soldaten genähert hatten. So berichtete die israelische Zeitung Haaretz, dass am frühen Donnerstagmorgen 30 Lastwagen mit Hilfsgütern in die Stadt eingefahren seien. Beim Passieren des Rimal-Viertels habe es Berichte gegeben, wonach es zu Plünderungen der Wagen gekommen sei. Dabei sollen bewaffnete Personen, auf die Lastwagen geschossen haben.

Haaretz zitiert das israelische Militär, wonach sich eine Gruppe von Menschen den Soldaten der israelischen Armee genähert habe. Die Soldaten hätten zuerst Warnschüsse in die Luft abgegeben und danach auf die Beine derjenigen geschossen, die sich weiter genähert hätten. Auch diese Angaben liessen sich nicht unabhängig überprüfen.

Ein Augenzeuge sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Menschen hätten am frühen Donnerstagmorgen Lastwagen mit Hilfsgütern aus dem Süden des Küstengebiets in Empfang nehmen wollen, um Mehl und weitere Lebensmittel zu bekommen. Es sei noch dunkel gewesen, so der Anwohner. Plötzlich sollen Schüsse gefallen sein. Nach Darstellung des 27-jährigen Augenzeugen sollen auch Granaten abgefeuert worden sein. Der Anwohner sei zunächst geflohen, bei Tagesanbruch aber zurückgekommen, berichtete er weiter. Bei seiner Rückkehr habe der Palästinenser etliche Leichen auf dem Boden gesehen. Anwohner hätten Verletzte unter anderem auf Eselskarren in ein Krankenhaus transportiert. Entsprechende Videos zirkulieren auf X.

Was sind die Reaktionen?

Die Hamas drohte nach dem Vorfall am Donnerstag, die Verhandlungen zu einer möglichen Feuerpause und der Freilassung der israelischen Geiseln zu beenden. Ein hochrangiges Mitglied der Hamas, Izzat Al-Risheq, äusserte sich in einer entsprechenden Stellungnahme auf Telegram.

Ein Sprecher der israelischen Regierung, Avi Hyman, äusserte sich am Donnerstag gegenüber den Medien zum Vorfall in Gaza-Stadt:

«Es ist offensichtlich eine Tragödie, aber wir wissen noch nicht genau, was passiert ist.»
Avi Hyman

Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA sprach von einem «schwerwiegenden Vorfall» und gab eine Untersuchung der Umstände durch das Weisse Haus bekannt. In einer Stellungnahme liess das Weisse Haus zudem weiter verlauten:

«Wir trauern über den Verlust von unschuldigen Menschenleben und sind uns der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen bewusst, wo unschuldige Palästinenser nur versuchen, ihre Familien zu ernähren. Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, den Zustrom humanitärer Hilfe in den Gazastreifen auszuweiten und aufrechtzuerhalten, auch durch eine mögliche vorübergehende Feuerpause. Wir arbeiten weiterhin Tag und Nacht, um dieses Ziel zu erreichen.»

Die Vereinten Nationen fordern eine Untersuchung zum Tod Dutzender Menschen bei der Ankunft von Hilfsgütern im Gazastreifen. Das sagte ein Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres am Donnerstag in New York. «Es wird eine Zeit der Verantwortung geben», fügte Stephane Dujarric hinzu. Mitarbeiter der Vereinten Nationen seien bei dem Vorfall nicht anwesend gewesen, man kenne nicht alle Fakten und sei sich bewusst, dass es unterschiedliche Darstellungen gebe. UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte den Vorfall. «Die verzweifelten Zivilisten in Gaza brauchen dringend Hilfe, auch die im belagerten Norden, wo die Vereinten Nationen seit mehr als einer Woche keine Hilfe leisten konnten», hiess es.

Wie ist die humanitäre Lage in Gaza?

Der Vorfall um die Hilfslieferungen ereignete sich vor dem Hintergrund einer katastrophalen humanitären Lage, wie verschiedene Hilfsorganisationen vor Ort berichten.

Die Menge der Hilfslieferungen hat sich UN-Angaben zufolge im Februar im Vergleich zum Vormonat halbiert. Vertreter der Vereinten Nationen warnen vor einem Hungertod Tausender Zivilistinnen und Zivilisten. Bereits zuvor hat es Berichte über heftige Rangeleien um Hilfsgüter gegeben.

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, sprach am Donnerstag vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf von einem «Gemetzel» an der palästinensischen Bevölkerung. Seit Beginn der israelischen Militäroffensive im Oktober seien 30'035 Menschen getötet und 70'457 verwundet worden. Die Hamas-Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Vereinten Nationen und andere Beobachter weisen aber darauf hin, dass sich die Zahlen der Behörde in der Vergangenheit als insgesamt glaubwürdig herausgestellt hätten. Türk verurteilte erneut die Anschläge der Hamas vom 7. Oktober auf die israelische Bevölkerung, die dem Gaza-Krieg vorausgegangen waren, verurteilte aber ebenfalls «die Brutalität der israelischen Reaktion».

(hah / mit Material der sda/dpa)

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107 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Aspirin
29.02.2024 20:14registriert Januar 2015
Egal ob klar ist, ob geschossen wurde, oder nicht. Egal wer geschossen hat… Israel, Hamas, Warlords?!?
Mehr als 2 Mio Menschen verhungern lassen, ist nicht mehr Selbstverteidigung von Israel, resp eine ganz schlechte Regierungsstrategie der Hamas. Letztlich disqualifizieren sich hier die Führungskräfte beider Seiten identisch, mit dem was sie tun resp. nicht tun. Leidtragend sind unschuldige Menschen beider Seiten. Entschuldigungen gibt es für keine Seite mehr, weder Hamas noch Bibi und Co!
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Randy Orton
29.02.2024 17:40registriert April 2016
Wieso in aller Welt ist die Reaktion der Hamas, die Gespräche zur 40-tägigen Waffenruhe, täglichen Lieferung von 500 Lastwagen an Hilsfgütern und Reparation sowie Aufrüstung aller Spitäler in Gaza einfach abzubrechen? Es scheint als profitiere die Hamas zu sehr vom Leid der palästinensichen Zivilbevölkerung.
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Livelifelike
29.02.2024 19:00registriert Juli 2014
Krass was in Gaza abgeht. Ein echter Tiefpunkt in der jüngeren Menschheitsgeschichte :-(
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