Seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober geht Israel mit aller Härte gegen die Hamas im Gazastreifen vor. Seit fast fünf Monaten wird der schmale Küstenstreifen – mit Ausnahme einer kurzen Feuerpause – täglich beschossen.
Dabei sind laut Hamas-Führung bisher fast 30'000 Menschen gestorben. Seit Wochen schleicht sich nun noch ein viel langsamerer Tod heran: der Hungertod.
Der zwei Monate alte Mahmoud Fattouh liegt blass und reglos in eine Decke eingewickelt, während ein Arzt ihn untersucht. Im Hintergrund ist das Weinen seiner Mutter zu hören. Sie wisse nicht, wohin sie mit ihrem Kind gehen soll. Es gebe kein Essen mehr und ihr Sohn sei so erschöpft.
Die Hilfe kam für den kleinen Mahmoud zu spät. Über den toten Körper gebeugt, wendet sich sein weinender Vater an die Kamera:
Babys leiden ganz besonders unter der Hungersnot. Da die Mütter aufgrund des Hungers keine Muttermilch mehr produzieren und es nirgends Muttermilchersatz gibt, können sie ihren Kindern nichts mehr anbieten. So auch Warda Matter, wie sie gegenüber Al Jazeera erzählt. Das Einzige, was ihr übrig bleibt, ist ihrem zwei Monate alten Sohn eine Dattel zum Nuckeln hinzuhalten.
Im Norden Gazas ist die Lage besonders schlimm. Der einzige geöffnete Grenzübergang im Gazastreifen liegt im Süden und die wenigen Hilfsgüter, die dort über die Grenze gelangen, schaffen es meist nicht bis in den Norden. Die zivile Ordnung droht laut dem UNO-Nothilfebüro OCHA zusammenzubrechen. Wie OCHA-Sprecher Jens Laerke am Dienstag mitteilte, gebe es Hinweise auf «Elemente krimineller Aktivität».
#Palestinians collecting spilled flour from the ground, some even attempting to fill their pockets with flour. Starvation and hunger is rampant in #Gaza with food aid scarce and only enters when #Israel permits. #GazaGenocide #israelterroriststate #Palestine pic.twitter.com/qPxSvH079F
— Fatimah J (@fatimah_j_) February 20, 2024
Immer öfter komme es vor, dass Hilfsgüter nur wenige Meter hinter Grenze angehalten und geleert würden. Offenbar gebe es auch Banden, welche die Hilfsgüter an sich rissen, um sie später auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen.
Dort, wo die Hilfsgüter hingelangen, spielen sich dramatische Szenen ab. Ein Video von CNN zeigt, wie verzweifelte Menschen auf dürftigen Flössern ins Meer paddeln, nachdem Hilfsgüter per Flugzeug zu weit vor der Küste abgeworfen worden waren. Diejenigen, die sich eines der kostbaren Pakete ergattern konnten, mussten dieses im entstehenden Handgemenge an Land mit Stöcken und Peitschen verteidigen. Es ist ein Kampf ums Überleben.
Throwing the food aid of human rights organizations into the sea by the Jordanian government and the efforts of the people of #Gaza to save what is left.
— Negin🌷 (@negin_m1358) February 28, 2024
😥😥🥺🥺💔💔
These oppressed people lived with dignity and independence. But the Zionist took them all #GazaMassacare… pic.twitter.com/KQ9aEsbUyp
Die Verzweiflung und die Wut unter den Menschen im Gazastreifen sei so gross, dass man die Hilfslieferung habe einstellen müssen, verkündete das UN-Welternährungsprogramm am 20. Februar. Dem vorausgegangen war die Plünderung zweier Konvois:
Polizeipräsenz, um die Konvois zu schützen, gibt es im Gazastreifen praktisch keine mehr. Zu gross ist die Gefahr, in der Polizeiuniform und bewaffnet, für einen Hamas-Terroristen gehalten und getötet zu werden.
Ein Grund für den Mangel an Hilfsgütern ist die Blockade von Hilfskonvois – so etwa beim Nitzana-Übergang zwischen Ägypten und Israel. An dieser Stelle werden die Hilfsgüter aus Ägypten kontrolliert, bevor die Lastwagen weiter nach Gaza fahren. Aktivistinnen und Aktivisten verhindern allerdings immer wieder, dass die Lastwagen nach Israel einreisen können. Ganze Familien versammeln sich beim Grenzübergang, wo sie mit ihren Kindern spielen, Zuckerwatte essen und Seifenblasen in die Luft blasen.
Today at the Nitzana border crossing Israeli citizens are bringing their machine guns and small children to block all humanitarian aid from entering Gaza. The military is having fun. The kids are cooking cotton candy. pic.twitter.com/3r0GeEzZrW
— Megatron (@Megatron_ron) February 27, 2024
Eine Besserung der Lage ist für die Menschen im Gazastreifen nicht in Sicht. Vertreter der Vereinten Nationen haben im Weltsicherheitsrat vor dem Hungertod Tausender Zivilisten im Gazastreifen gewarnt. 576'000 Menschen in der Region – ein Viertel der Bevölkerung – seien «nur einen Schritt von einer Hungersnot entfernt» sagte Ramesh Rajasingham, ranghoher Vertreter des UN-Nothilfeprogramms Ocha, am Dienstag im mächtigsten UN-Gremium. Er fügt an:
#Gaza: "Food security experts warn of complete agricultural collapse in northern Gaza by May if conditions persist, with fields and productive assets damaged, destroyed, or inaccessible" (1/2)- @UNOCHA Head in Geneva, Ramesh Rajasingham pic.twitter.com/FMrADNuban
— UN News (@UN_News_Centre) February 27, 2024
Maurizio Martina, stellvertretender Direktor der FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) führt aus, dass, Stand 15. Februar, 46,2 Prozent aller Anbauflächen im Gazastreifen als beschädigt eingestuft würden. Die landwirtschaftliche Infrastruktur sei verwüstet – insbesondere Schaf- und Milchviehbetriebe hätten grosse Zerstörungen zu verzeichnen.
Am härtesten leiden darunter die Kinder. Carl Skau vom Welternährungsprogramm (WFP) warnt:
Eines von sechs Kindern unter zwei Jahren sei akut mangelernährt.
"#Gaza is seeing the worst level of child malnutrition anywhere in the world. One child in every six under the age of two is acutely malnourished"-@WFP Deputy Executive Director, Carl Skau pic.twitter.com/UICCL8RBNN
— UN News (@UN_News_Centre) February 27, 2024
Wie Skau weiter ausführt, liessen die Bedingungen im Gazastreifen humanitäre Lieferungen kaum zu. Helfer würden behindert und Konvois geplündert. Während die Plünderungen den verzweifelten Palästinenserinnen und Palästinensern zuzuschreiben sind, wird Israel im Sicherheitsrat für die Behinderung der Hilfsgüter verantwortlich gemacht.
Bereits vergangene Woche äusserte die medizinische Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen scharfe Kritik an Israel: Das Muster von Angriffen israelischer Streitkräfte auf Krankenhäuser und andere zivile Gebäude sowie auf humanitäres Personal und Konvois sei «entweder vorsätzlich oder ein Zeichen rücksichtsloser Inkompetenz».
Testimony from Doctors Without Borders:
— IfNotNow🔥✡️ (@IfNotNowOrg) February 22, 2024
"Israeli forces have attacked our convoys, detained our staff, bulldozed our vehicles... For a second time, one of our staff shelters has been hit. This pattern of attacks is either intentional, or indicative of reckless incompetence." pic.twitter.com/6aM4baRSER
Auch der algerische Botschafter Amar Benjama warf Israel am Dienstag vor, den Hunger als Kriegsmittel einzusetzen.
Der Vertreter Israels, Brett Jonathan Miller, wollte nichts davon hören. Es gebe keine Grenze für die Menge an Hilfsgütern, die in den Gazastreifen geschickt werden können, betonte er.
Andere Behauptungen vor dem Sicherheitsrat seien bloss ein Versuch, Lügen der Hamas zu verbreiten und von der Unfähigkeit abzulenken, die Hilfe effizient zu verteilen. Er widersprach Aussagen, wonach Israel Lastwagen mit Hilfsgütern vor der Grenze aufhielt. Die Verzögerung bei der Lieferung der Hilfsgüter sei eindeutig die Schuld der UNO. Seine Delegation setze sich weiterhin für die Verbesserung der humanitären Hilfe im Gazastreifen ein, zudem seien weitere Öffnungen der Grenzübergänge im Gespräch, so Miller.
Die Mehrheit der Vertreterinnen und Vertreter im Weltsicherheitsrat sieht nur eine Lösung zur Verbesserung der Lage: ein Waffenstillstand.
Ramesh Rajasingham, der Vertreter von Ocha, rief die gesamte internationale Gemeinschaft zum Handeln auf:
Zudem sei angesichts der andauernden Feindseligkeiten sowie der drohenden Gefahr, dass sich diese auf die überfüllten Gebiete im Süden des Gazastreifens ausbreiten würden, sehr wenig möglich.
Verhandlungen über eine Waffenruhe laufen zwar, Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu treibt die Bodenoffensive im Gazastreifen dennoch voran und lässt humanitäre Hilfe einschränken. Solange kein Waffenstillstand eintritt, werden die Menschen im Gazastreifen – insbesondere im Norden – weiter hungern müssen.
Die Diskussion muss ausserhalb der antisemitischen Frage geführt werden, denn diese Aktion geht weit über den Schutz Israels hinaus. Es geht um unschuldige Menschen, die getötet werden und seit langem nicht mehr als Kollateralschaden bezeichnet werden können.
Israel muss Einhalt geboten werden!
Israel züchtet hier gerade die neuen Extremisten / Terroristen heran.
Die Überlebenden dieses menschenverachtenden Aushungerns werden wohl nicht Freunde Israels werden.
furchtbaren Krieges sind angeklagt. Aber was in GAZA jetzt
abgeht, sprengt alles. Wo sind die Stellungnahmen und Sanktionen? Bei den Russen hat man auch sofort reagiert. Niemand getraut sich, Klartext zu reden oder zu handeln. Die Zahlen der Toten und Verletzten , Soldaten, Zivilpersonen und unschuldigen Kindern sind erschreckend. Und wenn man sich, wie ich jetzt, getraut, etwas zu sagen oder zu schreiben, begibt man sich in Gefahr. Es beelendet mich, ich bin traurig.