Fast vier Wochen lang hatte der sonst so redselige Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah geschwiegen. Gewährsleute in Beirut gehen von Differenzen zwischen dem eloquenten Schiitenführer und dem iranischen Regime aus, das die Strategie der mit Zehntausenden Raketen ausgerüsteten Miliz bestimmt.
Dass der Mann mit dem Rauschebart nun spricht, könnte bedeuten, dass eine Entscheidung über einen Kriegseintritt der Hisbollah gefallen ist. Doch sicher ist auch dies nicht. Bekannt ist nur, dass die Kämpfe an der libanesisch-israelischen Grenze immer heftiger werden.
A venue being prepared for Nasrallah's speech tomorrow. I can't say where this is exactly. pic.twitter.com/SPmOUpCJ8w
— Joe Truzman (@JoeTruzman) November 2, 2023
Am Donnerstag hatte die pro-iranische Schiitenmiliz 19 israelische Militärposten im Hochland von Galiläa gleichzeitig angegriffen sowie erstmals eine Kamikazedrohne eingesetzt. Die bisher schärfste Gewalteskalation in der Region dürfte mit der bevorstehenden Nasrallah-Rede zusammenhängen.
Auch der libanesisch-palästinensische Zweig der Hamas feuerte gestern 12 Raketen auf Kiryat Shimona ab. In der an den Westabhängen der Golanhöhen liegenden Kleinstadt wurden zwei Israelis schwer verletzt. Israelische Kampfflugzeuge und Helikopter attackierten daraufhin mehrere Stunden lang Stellungen der Hisbollah im Süd-Libanon.
War dies der Auftakt zu dem seit Wochen befürchteten grossen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah? , fragen Beiruter Tageszeitungen heute besorgt - und erinnern an das Jahr 2006: Hisbollah-Kämpfer hatten damals zwei israelische Soldaten in den Libanon verschleppt. Im Rahmen ihrer Operation «Gerechter Lohn» machte die israelische Luftwaffe daraufhin weite Teile des Süd-Libanon sowie die Hochburgen der Hisbollah in Süd-Beirut dem Erdboden gleich.
Wie gegenwärtig die Hamas sollte auch die Hisbollah «vom Antlitz der Erde getilgt werden». Nach 33 Tagen Krieg musste Israel auch auf amerikanischen Druck hin einem Waffenstillstand zustimmen. Hisbollah-Chef Nasrallah wurde damals als Volksheld gefeiert.
Vor einer Wiederholung der Geschichte fürchten sich die meisten Libanesen. Ein erneutes israelisches Massenbombardement würde die bitterarme Mittelmeerrepublik vermutlich nicht überleben. Zumindest in amerikanischen Regierungskreisen rechnet man nicht mit einer Ausweitung des Krieges. «Dafür sehen wir gegenwärtig keine Anzeichen», sagte gestern der sicherheitspolitische Sprecher des Weisen Hauses, John Kirby.
Ein offizieller Hisbollah-Sprecher charakterisierte die für 15.00 Uhr Ortszeit (14.00 Schweizer Zeit) terminierte Nasrallah-Rede als ein Ereignis zu Ehren derjenigen, die im «Kampf zur Verteidigung des Libanon und zur Unterstützung des palästinensischen Volkes und ihrer heiligen Stätten» gefallen seien.
Die Hamas wurde nicht genannt. Was nichts heissen mag. Anzeichen dafür, dass die relative Zurückhaltung an der libanesisch-israelischen Grenze aufgegeben wurde, gibt es reichlich. Zudem hatten Hisbollah-Kämpfer am Mittwoch einen an Nasrallah gerichteten Brief veröffentlicht, der auch an die Kämpfer im Gazastreifen gerichtet war. «Unsere Hand ist mit der euren am Abzug», hiess es darin. Und: «Seid sicher, dass eure und unsere Märtyrer auf dem Weg nach Jerusalem sind.»
Briefe wie diese seien höchst selten, analysiert die an der Universität von Cardiff lehrende Politologin Amal Saad. Sie waren zuletzt im Jahr 2006 und dann ein Jahr später erschienen, als die Hisbollah gegen den Islamischen Staat in Syrien kämpfte. (bzbasel.ch)
Einzelne Gefechte an der Grenze dienen wohl eher der Gesichtswahrung.