Nach tagelangen Kämpfen um die Al-Schifa-Klinik in Gaza-Stadt hat die israelische Armee ihre Operationen auch auf das Indonesische Krankenhaus im Norden des Küstenstreifens ausgedehnt. Bei einem Angriff seien dort zwölf Menschen getötet worden, wie das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium am Montag mitteilte. In der Klinik sollen sich noch rund 700 Menschen aufhalten.
Die indonesische Regierung kritisierte den Angriff als «Verstoss gegen das humanitäre Völkerrecht». Die israelische Armee gab ihrerseits an, das Indonesische Krankenhaus sei von einer «Terror-Infrastruktur» umgeben. Wie im Fall von Al-Schifa soll diese Klinik ebenfalls auf einem Tunnelsystem der Hamas errichtet sein.
Der wachsenden Kritik an ihrem Vorgehen gegen zivile Einrichtungen begegnet die israelische Armee seit der Einnahme des Al-Schifa-Krankenhauses mit zahlreichen Belegen für dessen militärische Nutzung. Am Sonntag präsentierte Armeesprecher Daniel Hagari Aufnahmen einer Überwachungskamera vom 7. Oktober. Auf ihnen ist zu sehen, wie etwa fünf Bewaffnete zwei mutmassliche Geiseln in das Gebäude zerren.
Die Bilder seien «konkrete Beweise», dass mancher der 240 Verschleppten in die Klinik entführt worden seien, sagte Hagari. Die Entführten sollen ein thailändischer und ein nepalesischer Staatsbürger sein. «Wir wissen bisher nicht, wo sie sind», fügte er hinzu.
Das Video gehört zu einer Reihe von Belegen, die Israel in den vergangenen Tagen präsentiert hat. Sollte sich deren Echtheit bewahrheiten, stellen sie Fragen, inwieweit Ärzteschaft und Mitarbeitende der verschiedenen UN-Organisationen vor Ort im Spital zumindest heimliche Mitwisser des Geiseldramas waren.
Die sozialen Netzwerke liefen nach der Veröffentlichung der Bilder über mit entsprechenden pro-israelischen Kommentaren, welche den Vereinten Nationen eine Komplizenschaft mit den Hamas-Terroristen unterstellten, ihre Neutralität infrage stellen und angebliche Verlogenheit kritisierten.
Where is the @WHO?
— Eli Kowaz (@elikowaz) November 19, 2023
Where is @UNRWA?
Where is the @ICRC?
Issuing condemnation after condemnation about IDF ops in and around Shifa Hospital and now, silence.
The hospital is full of staff affiliated with these orgs and no one spoke up as terrorists strolled in with hostages. pic.twitter.com/JgIdv9HT1Z
Ein weiteres Video zeigte einen Tunneleingang auf dem Gelände des Krankenhauses. Die Kamera sinkt in einen etwa zehn Meter tiefen Schacht hinab, dann geht es wackelig gefilmt einen rund 50 Meter langen, schmalen Tunnel entlang, an dessen Ende eine massive weisse Metalltür den Weg versperrt. Diese Bilder würden belegen, dass sich das ausgeklügelte Tunnelsystem der Hamas auch unter dem Krankenhaus erstrecke, hiess es seitens der Armee.
Zudem sollen im Schifa-Krankenhaus Geiseln nicht nur behandelt worden seien. Ein pathologischer Bericht zum Tod der neben der Klinik gefundenen 19-jährigen Israelin Noa Marciano habe ergeben, dass diese nicht wie von der Hamas behauptet bei einem Luftangriff getötet wurde.
Die junge Wehrdienstleistende sei stattdessen innerhalb des Krankenhauses «von einem Hamas-Terroristen ermordet worden», sagte Hagari. Die Hamas hat in der Vergangenheit mitgeteilt, einige Geiseln zur Behandlung in Krankenhäuser gebracht zu haben, bestreitet aber, Kliniken militärisch zu nutzen. Die Behauptungen beider Seiten können in der jetzigen Kriegslage nicht unabhängig überprüft werden.
On November 9, CPL Noa Marciano was injured from an IAF strike and the terrorist holding her hostage was neutralized. Following a preliminary pathological report, it was revealed that Noa’s injury was not life-threatening.
— Israel Defense Forces (@IDF) November 19, 2023
Noa was murdered by a Hamas terrorist in the Shifa… https://t.co/11I9bAJf0j pic.twitter.com/F9W5gjJkIF
Laut der Weltgesundheitsorganisation ist das Al-Schifa-Krankenhaus aktuell zu einer «Todeszone» geworden. Dort sollen sich noch 25 Mitglieder des Personals um 291 teils schwer kranke Patienten kümmern.
Zur Abwechslung eine gute Nachricht gab es betreffend der Neugeborenen in Brutkästen: 28 der aus dem Schifa-Krankenhaus in Gaza gebrachten Frühchen sind inzwischen in Ägypten, einige befinden sich der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge aber in Lebensgefahr. Der staatsnahe ägyptische Fernsehsender Al-Kahira zeigte Babys in Brutkästen, die am Grenzübergang Rafah an ägyptische Krankenwagen übergeben wurden. Der Palästinensische Rote Halbmond bestätigte den Transfer.
Auch hier reklamierte in der laufenden, erbitterten Propagandaschlacht die israelische Armee eine positive Vermittlerrolle für sich. Ein weiteres Video zeigte, wie israelische Soldaten beim Verladen der Brutkästen die UN-Helfer unterstützten.
The IDF, in cooperation with COGAT, helped facilitate the safe evacuation of newborn babies from the Shifa Hospital to receive medical treatment in Egypt.
— Israel Defense Forces (@IDF) November 20, 2023
IDF teams on the ground assisted UN teams in the evacuation using incubators provided by Israel.
We will continue to… pic.twitter.com/8Vobkjw5OT
Ähnliche Hilfestellung gelte für die Anlieferung eines weiteren Feldhospitals aus den Beständen der jordanischen Armee, das mit ausdrücklicher Billigung Israels in den Gazastreifen durchgelassen werde. «Wir führen Krieg gegen die Hamas, nicht gegen die Zivilisten in Gaza», hiess es im darauf bezogenen Retweet der israelischen Armee auf X/Twitter.
Nichtsdestotrotz bleibt die humanitäre Lage im Gazastreifen katastrophal: Es breiten sich beständig Hunger und Krankheiten aus. Hinzu kommen die beginnenden winterlichen Regenfälle. Mit ihnen könnten demnächst Überschwemmungen einhergehen, die aus der in Teilen nicht mehr funktionierenden Kanalisation ungeklärtes Abwasser in die Strassen spülen dürften. (aargauerzeitung.ch)