International
Israel

250'000 Palästinenser sollen aus Gaza-Stadt evakuiert werden

240711 -- GAZA, July 11, 2024 -- People are seen on a street with destroyed buildings in the Shujaiya neighborhood in east of Gaza City, on July 11, 2024. More than 60 bodies were recovered from the r ...
Die Zerstörung im Viertel Schedschaija in Gaza-Stadt ist immens. Dennoch wollen viele Menschen lieber bleiben, statt zu flüchten.Bild: www.imago-images.de

250'000 Palästinenser sollen aus Gaza-Stadt evakuiert werden – doch viele weigern sich

12.07.2024, 20:0012.07.2024, 21:12
Mehr «International»

Die israelische Armee führt erneut Militär-Operationen in Gaza-Stadt durch. In den letzten zwei Wochen rief sie zunächst nur Bewohnerinnen und Bewohner bestimmter Nachbarschaften zur Evakuation auf – während bereits Raketen auf die Stadt niedergingen. Am Mittwoch schliesslich flatterten Flugblätter durch die Strassen, welche die gesamte verbleibende Stadtbevölkerung zur Evakuierung aufriefen.

Viele Bewohnerinnen und Bewohner entscheiden sich dennoch zu bleiben. Eine Übersicht.

Zweite grosse Operation in Gaza-Stadt

Gaza-Stadt steht bereits seit einigen Wochen im Fokus der israelischen Armee. Diese sieht eigenen Angaben nach Hinweise darauf, dass die Hamas dort erneut versucht, Fuss zu fassen. Man müsse mangels einer politischen Strategie immer wieder an Orten kämpfen, die die Armee eigentlich zuvor eingenommen hatte, so Israels Generalstabschef Herzi Halevi vor einigen Wochen.

Während der vergangenen zwei Wochen lief daher im Viertel Schedschaija in Gaza-Stadt ein grosser Militäreinsatz. Soldaten «lieferten sich Nahkämpfe mit Terrorzellen und eliminierten mehr als 150 Terroristen», teilte das israelische Militär am Mittwoch mit. Nach Darstellung des von der Hamas kontrollierten Katastrophenschutzes habe das israelische Militär 85 Prozent der Wohngebäude in Schedschaija zerstört. «Das Stadtviertel ist jetzt ein Katastrophengebiet, das nicht mehr bewohnbar ist», hiess es in einer Mitteilung der Organisation.

Nach Angaben der israelischen Armee ist der Einsatz in Schedschaija am Mittwoch zwar beendet worden, allerdings sind weitere Einsätze in Gaza-Stadt geplant. Aus diesem Grund wurde die gesamte Bevölkerung noch am selben Tag zur Evakuierung in den Süden aufgefordert.

Evakuierungsaufrufe stössen auf Kritik

Das UN-Menschenrechtsbüro reagierte am Dienstag empört über Evakuierungsaufrufe, die zu diesem Zeitpunkt erst bestimmte Viertel betroffen hatten:

«Das UN-Menschenrechtsbüro ist entsetzt über die erneute Anweisung der IDF an die Bewohner von Gaza-Stadt, von denen viele bereits mehrfach zwangsumgesiedelt wurden, in Gebiete zu evakuieren, in denen die Militäroperationen der IDF andauern und in denen weiterhin Zivilisten getötet und verletzt werden.»
epa11473706 Smoke rises as the Israeli military continues its operation in Gaza City, 11 July 2024 (issued 12 July 2024). The Israeli army on 09 July, had asked all inhabitants of Gaza city to leave,  ...
Gaza-Stadt besteht bereits jetzt nur noch grösstenteils aus Ruinen.Bild: keystone

Bewohner aus dem Zentrum von Gaza-Stadt seien am 7. Juli von der israelischen Armee dazu aufgerufen worden, sich sofort in den Westen der Stadt zu evakuieren. Gleichzeitig habe die Armee die Angriffe auf den Süden und Westen der Stadt intensiviert. Die Organisation schreibt weiter:

«Am Morgen des 8. Juli gab die IDF eine Erklärung ab, in der sie bestätigte, dass sie ein UNRWA-Hauptquartier westlich von Gaza-Stadt getroffen hatte. Dasjenige Gebiet, in das sich die Menschen umsiedeln sollten.»

Nach den bereits intensiven Angriffen forderte die israelische Armee am Mittwoch schliesslich die gesamte Stadt zur Evakuierung auf. Gemäss den am Mittwoch verteilten Flugblättern können die 250'000 Anwohnerinnen und Anwohnern über vier «sichere» Korridore in den Süden flüchten.

Dort erwartet die Palästinenser kein besseres Leben. Das UN-Menschenrechtsbüro wies darauf hin, dass die vom israelischen Militär als «sichere Zone» bezeichnete Stadt Deir al-Balah bereits mit Palästinensern aus anderen Gebieten überfüllt sei. Es gebe dort kaum Infrastruktur und nur begrenzten Zugang zu humanitärer Hilfe.

Es überrascht daher nicht, dass sich viele Menschen dazu entscheiden, in Gaza-Stadt zu bleiben.

Viele bleiben in Gaza-Stadt

«Die Strasse ist nicht sicher», begründet Palästinenser Amani Zanin gegenüber der «New York Times» seinen Entscheid. Seit neun Monaten ist er mit seiner Familie von Ort zu Ort auf der Flucht. Derzeit leben sie in einem Schulgebäude in Gaza-Stadt – und haben nicht vor, dieses zu verlassen.

Er und seine Familie sind nicht die Einzigen, die sich weigern. Auch der 47-jährige Ibrahim al-Barbari glaubt nicht an Israels Versprechen von Sicherheit südlich von Gaza-Stadt. Gegenüber BBC erklärt er:

«Ich werde Gaza [Stadt] nicht verlassen. Ich werde nicht den dummen Fehler machen, den andere gemacht haben. Israelische Raketen machen keinen Unterschied zwischen Norden und Süden.»

Wenn der Tod sein Schicksal und dasjenige seiner Kinder sei, dann würden sie in Würde und Ehre in ihren Häusern sterben.

Nebst der fehlenden Sicherheit weist Al-Barbari auch darauf hin, dass die Reise in den Süden vor allem für ältere Menschen nicht machbar sei. Da das israelische Militär auf Teilen der Strecke keine Autos erlaube, müsse diese zu Fuss zurückgelegt werden. Auf den stundenlangen Fussmarsch in der Sommerhitze verzichten viele. Er habe niemanden gesehen, der gegangen sei, so Al-Barbari.

Dennoch gibt es Menschen, die dem Aufruf folgen. CNN sprach mit Mahmoud Al Shaqra, der sich auf dem Weg in den Süden befand. Er sagt:

«Jeden Tag werden wir zur Evakuierung aufgefordert. Wir flüchten von einem Ort zum nächsten, während Drohnen auf uns schiessen.»
epa11473487 Palestinian families walk after crossing from Gaza City to the southern Gaza Strip during an Israeli military operation in Gaza City, on 11 July 2024. Since 07 October 2023, up to 1.7 mill ...
Familien verlassen Gaza-Stadt und flüchten mit nichts als ihren Kleidern am Körper in den Süden.Bild: keystone

Dennoch hat er sich entschlossen, zu gehen. Er erklärt:

«Gaza-Stadt ist völlig zerstört, es ist unbewohnbar. Es gibt hier weder Essen noch Trinken noch sonst etwas. Es gibt keine Sicherheit.»

Laut einer Analyse von Satellitendaten, die kürzlich von Experten der City University of New York und der Oregon State University durchgeführt wurde, sind rund 75 Prozent der Gebäude in dem Gebiet beschädigt oder zerstört, so das «Wall Street Journal». Die Stadt ist von den massiven Verwüstungen im Krieg mit am schwersten betroffen. Und ein Ende ist noch immer nicht in Sicht.

(saw, mit Material von Keystone-SDA)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
66 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Joe Smith
12.07.2024 20:25registriert November 2017
250'000 Menschen. Zum Vergleich: Das ist mehr, als der gesamte Kanton Basel-Stadt (inkl. Riehen und Bettingen) Einwohner hat. Also mal eben kurz ganz Basel «evakuieren», damit man den gesamten Kanton platt machen kann. Man muss sich das einfach mal vorstellen.
9548
Melden
Zum Kommentar
avatar
Aspirin
12.07.2024 21:37registriert Januar 2015
Sogar die israelische Armee gibt zu, dass die Hamas militärisch nicht besiegt, und die Geiseln nicht befreit werden können. Einzig Netanyahu und seine rechtsextremen Steigbügelhalter Ben Gvir, Smotrich und Co klammern sich an Strohhalme, entweder um politisch zu überleben, oder um ihre Grossisraelfantasie zu verwirklichen. Und die Hamas sollte ihre Fantasie eines judenfreien Israels endlich begraben, wie 2017 in der neuen Charta geschrieben. Dann könnten all die nirmalen Leute auf beiden Seiten vielleicht mal endlich in Frieden und Freiheit leben.
4018
Melden
Zum Kommentar
avatar
Dr. Atomi
12.07.2024 22:30registriert Juli 2024
Was mich echt wirklich beschämt, während wir Russland und China kritisieren, was ich im übrigen für gut heisse, läuft gerade einiges falsch wie dieser Krieg in Gaza.
5029
Melden
Zum Kommentar
66
Diese Frau wird Donald Trump zum Verhängnis (Nein, es ist nicht Kamala Harris)
Die rechtsextreme Aktivistin Laura Loomer verschreckt die unabhängigen Wählerinnen und Wähler.

Marjorie Taylor Greene – das ist die mit den jüdischen Laser-Kanonen aus dem All – setzte jüngst einen Post auf X ab, der einmal mehr Aufmerksamkeit erregte. Sie wandte sich darin gegen einen Post einer gewissen Laura Loomer, die ihrerseits zuvor auf Trumps Plattform Truth Social gepostet hatte, mit dem Inhalt: Sollte Kamala Harris die nächste Präsidentin der USA werden, werde das Weisse Haus nach Curry stinken.

Zur Story