Anschläge mit Autos gibt es in Israel und dem palästinensischen Westjordanland regelmässig. Lastwagen mit sensibler Fracht, wie Chemikalien, dürfen in Israel nur auf bestimmten Strassen fahren. Der ehemalige Direktor des israelischen Stabs zur Terrorbekämpfung im Büro des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, Nizan Nuriel, befürchtet Nachahmer nach dem Anschlag von Nizza.
Was ist die Strategie hinter einem scheinbar wahllosen Anschlag wie in Nizza?
Nuriel: Ich denke, dass der «Islamische Staat» Botschaften verbreiten will, wo immer und wann immer er kann. Die Botschaft lautet: Auch wenn wir im Irak und in Syrien Boden verlieren, sind wir immer noch stark genug, um jede Art von Terroranschlag durchzuführen. Selbst wenn ihr uns am Boden besiegt, werdet Ihr für eine lange Zeit einen hohen Preis zahlen. Und um diese Art von Attacke durchzuführen, brauchen wir keinen langen Vorbereitungsprozess.
Sehen Sie eine direkte Verbindung zwischen dem Attentäter von Nizza und dem «IS»?
Du brauchst nur Menschen, die bereit sind zu sterben. Davon haben sie eine Menge. Der Fahrer hat keine besondere Anweisung von irgendwem erhalten. Er hat alles, was er braucht, um den Terroranschlag durchzuführen. Er hat die Ziele. Er hat sein eigenes Fahrzeug. Und Munition zu bekommen, ist aktuell kein grosses Problem in Europa.
Aber warum wählt der Attentäter einen Lastwagen?
Die Idee, mit dem eigenen Auto Menschen zu töten, ist nichts Neues. Mit einem Fahrzeug kann man viele Opfer verursachen. In Israel sind es meistens kleine Autos. Aber wir hatten in der Vergangenheit auch schon den Fall, dass ein palästinensischer Terrorist einen israelischen Bus von der Strasse in eine Schlucht gestürzt hat. Es gab 16 Tote.
Wieso zielen die Terroristen neben Flughäfen vor allem auf sogenannte weiche Ziele?
Sie wollen Angst schaffen und so viele Opfer wie möglich haben. Das war der Grund, warum sie ein Fussballspiel angreifen wollten, das war der Grund, warum sie einen Nachtclub attackiert haben. Jeder Ort, wo Menschen anstehen oder sich Menschenmengen bilden, ist ein weiches Ziel.
Wie könnten die Behörden einen solchen Anschlag verhindern?
Grundsätzlich muss man sagen, dass es keine 100-prozentige Lösung für alle Arten von Szenarien gibt. Bei einer Veranstaltung wie in Nizza sind Kontrollpunkte der Polizei an der Hauptstrasse eine Möglichkeit. Manche Bereiche können für Lastwagen geschlossen sein. Es gibt auch eine Technologie, die ermöglicht, Lastwagenmotoren von aussen abzuschalten. In Israel sind Lastwagen, die sensible Fracht wie Chemikalien transportieren, nur auf bestimmten Strassen erlaubt. Wenn sie diese verlassen, schalten wir den Motor ab. Für eine Lizenz zum Transport dieser Fracht ist der Einbau der Technologie eine Bedingung.
In Israel gibt es Kontrollen an jedem Einkaufszentrum. Hierzulande wird dagegen der Datenschutz hochgehalten. Muss Europa in Sachen Sicherheit grundsätzlich Umdenken?
Ich denke, die meisten europäischen Staaten müssen die Entscheidung treffen, was zuerst kommt: Menschenrechte oder das Recht zu leben. So lange sie darüber diskutieren, werden sie nichts entscheiden. Und ich habe das Gefühl, ohne irgendwen zu kritisieren, dass sie noch nicht bereit dafür sind. Man kann diese Sicherheitsvorkehrungen nicht treffen, ohne den Alltag ein bisschen zu beeinflussen.
Was erwarten Sie für die Zukunft?
Ich gehöre zu den Leuten, die glauben, dass Terrorismus für immer um uns sein wird. So wie wir uns an Kriminalität gewöhnt haben, müssen wir uns an Terrorattacken gewöhnen. Das einzige Ansinnen, das wir haben können, ist, ihn auf einem möglichst niedrigen Level zu halten. Die Terroristen werden versuchen, jeden Monat einen grossen Anschlag wie diesen zu haben. Eine der Herausforderungen ist, dass nach einem Anschlag wie in Nizza Menschen versuchen, dieses Szenario nachzuahmen. Sie haben gesehen, wie einfach es ist. Es kann überall stattfinden, nicht nur in Europa, auch etwa in den USA oder Kanada.(wst/sda/dpa)