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Wie die Palästinenser im Westjordanland auf die Hamas-Angriffe reagieren

Palästinenser rufen bei einer Kundgebung im Westjordanland am 11. Oktober zur Unterstützung der Hamas-Bewegung und des palästinensischen Widerstands auf.
Palästinenser rufen bei einer Kundgebung im Westjordanland am 11. Oktober zur Unterstützung der Hamas-Bewegung und des palästinensischen Widerstands auf.Bild: imago images / Mamoun Wazwaz

Israel-Krieg: Wie die Palästinenser im Westjordanland auf die Hamas-Angriffe reagieren

14.10.2023, 19:5914.10.2023, 19:59
Anne-Kathrin Hamilton / watson.de<br>
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Der Angriff kam überraschend. Der Schock sitzt noch tief. Mehr als 1000 Menschen ermordet die Terrororganisation Hamas kaltblütig – darunter auch Babys. Hinrichtungen und Folter – die Terroristen starteten vom Gazastreifen aus eine verheerende Attacke gegen Israel.

Während das Ausmass der Gräueltaten immer mehr ans Licht kommt, feiern Menschen die Aktion der Hamas weltweit auf den Strassen. Ex-Hamas-Chef Khaled Mashaal ruft die arabische Welt zum gemeinsamen Krieg gegen Israel auf. Laut ihm haben Jordanien, Syrien, Libanon und Ägypten eine grössere Pflicht, die Palästinenser:innen zu unterstützen. Mit Sorge wird der ansteigende Antisemitismus weltweit beobachtet.

Auch innerhalb Israels bejubelte man etwa im Westjordanland das Blutbad der Hamas-Terroristen an israelischen und teils ausländischen Zivilist:innen. «Noch am Tag des Terrorangriffs kam es zu Feierlichkeiten im gesamten Westjordanland», sagt Steven Höfner auf watson-Anfrage. Er leitet das Büro vor Ort für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung.

Auf die Hamas-Angriffe reagierten Menschen auch mit Jubel, auch in Europa.
Auf die Hamas-Angriffe reagierten Menschen teils mit Jubel, auch in Europa.Bild: AP / Kirsty Wigglesworth

Gewalt und Terror: Hamas lockt besonders palästinensische Jugend an

Mit seiner Familie wohnt er in der Stadt Ramallah, in den Palästinensischen Autonomiegebieten im Westjordanland. Dort hielten sie sich während der Hamas-Angriffe auf. Vier Tage später entschieden sie sich, ins benachbarte Jordanien auszureisen.

Auf die Frage, was die Palästinenser über die Hamas-Angriffe in Ramallah denken, betont Höfner: «Kritische Stimmen gegenüber der Hamas lassen sich nur in privaten Gesprächen wahrnehmen. Öffentlich trauen sich viele nicht, ihre Meinung zu äussern, aus Angst vor Repressionen aus dem Lager der Hamas.»

Ob die Hamas, mit ihrer jüngsten – sehr brutalen – Aktion, Sympathie auch im Westjordanland unter den Palästinenser:innen gewonnen hat, lässt sich laut Höfner aktuell ohne Umfragewerte nur schwer einschätzen. Aber: In der Vergangenheit habe die Hamas bei kriegerischen Auseinandersetzungen immer an Sympathien in der Bevölkerung gewonnen.

Zahlreiche Menschen besuchen eine Hamas-Kundgebung in Gaza.
Zahlreiche Menschen besuchen eine Hamas-Kundgebung in Gaza.Bild: imago images / Mohammed Nasser

Dies könnte auch jetzt wieder der Fall sein, meint Höfner. «Insbesondere die palästinensische Jugend spricht sich zunehmend für den proaktiven, gewaltvollen und auch terroristischen Ansatz der Hamas aus», führt er aus. Denn: Die Fatah und Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas wirken vielen dagegen als reaktionär und ohne Vision für die Zukunft.

Was ist die Fatah?
Die Fatah ist eine 1959 gegründete palästinensische Partei. 1967 gewann sie nach der israelischen Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens breite Unterstützung. Anfangs kämpfte auch die Fatah mit Guerillamethoden gegen Israel, doch in den 1980er-Jahren schlug sie diplomatische Wege ein. Diese führten zu den Osloer Verträgen und dem Vorschlag einer Zweistaatenlösung.

Westjordanland: Fatah werde sich wohl zurückhalten

Zum Hintergrund: Die Fatah kontrolliert das Westjordanland, die konkurrierende radikal-sunnitische Hamas den Gazastreifen. Im Gegensatz zur Hamas erkennt die Fatah Israel an und strebt eine Zweistaatenlösung entlang der Grenzen an, die nach dem Sechstagekrieg von 1967 festgelegt wurden. Dies würde den Gazastreifen, das Westjordanland und Ostjerusalem als einen möglichen Staat Palästina definieren.

«Die Hamas wiederum hat den Weg der unumkehrbaren Konfrontation mit Israel gewählt.»

Die Ziele und Vorgehensweisen der Hamas und Fatah sind demnach unterschiedlich. Laut Höfner gab es in den vergangenen Jahren innenpolitisch heftige Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern. Der Experte rechnet nicht damit, dass sie sich jetzt angesichts des Krieges in Israel vereinen werden.

Experte geht nicht von einer dritten Intifada aus

«Würde sich die Fatah dem Terror der Hamas nun anschliessen, würde sie einerseits die harte Antwort Israels spüren und andererseits innerpalästinensisch nahezu irrelevant werden», sagt Höfner. Die Fatah werde daher eher auf eine Zerstörung der Hamas setzen, als ihr politisch zu folgen. «Die Hamas wiederum hat den Weg der unumkehrbaren Konfrontation mit Israel gewählt», führt er aus. Man könne es auch mit Blick auf die Reaktion Israels als Selbstmordkommando verstehen.

Demnach droht laut ihm auch keine dritte Intifada, vor der andere Expertenstimmen nun warnen. Intifada bezeichnet die palästinensischen Aufstände in den von Israel besetzten Gebieten und steht für «Erhebung» oder «Abschüttelung». Im Nahostkonflikt gab es bisher eine Erste 1987 und eine Zweite Intifada 2000.

«Die Intifadas waren stets von einer gewissen Einheit der palästinensischen Gesellschaft geprägt. Die Methoden der Aufstände wurden dabei häufig untereinander abgeglichen und diskutiert», sagt Höfner. Von einer solchen Einheit sei man in der palästinensischen Politik weit entfernt. Eventuell käme es zu Annäherungen der unterschiedlichen Lager nach dem Ende des Regimes von Abbas. Denn: Dieser ist laut Höfner vorrangig an seinem Machterhalt interessiert und duldet daher keine Wettbewerber.

Abbas schweigt zunächst tagelang nach dem Terror-Angriff auf Israel. Doch dann bricht er sein Schweigen mit wenigen Worten: «Wir lehnen die Praxis, Zivilisten zu töten oder sie zu misshandeln, auf beiden Seiten ab, weil sie gegen Moral, Religion und internationales Recht verstösst.» Die Hamas erwähnt er nicht.

Mahmud Abbas, Politiker der Fatah.
Mahmud Abbas, Politiker der Fatah.Bild: Pool AP / Alex Brandon
Wer ist Mahmud Abbas?
Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas ist ein führender Politiker der palästinensischen Fatah-Bewegung. Zudem ist er Vorsitzender der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Jüngst sorgte er mit seinen antisemitischen Äusserungen für internationale Empörung.

Die Lage bleibt demnach unübersichtlich. Höfner meint: «Ausschliessen kann man derzeit nichts, weil es diese besondere Lage im Nahostkonflikt noch nie gab.»

Israel-Krieg nach Hamas-Attacke: Baldiges Ende der Gewalt nicht in Sicht

Die ersten Tage nach der Hamas-Attacke nahm Höfner eine deutliche Anspannung vor Ort wahr. «Niemand weiss, wie die nächsten Tage und Wochen aussehen werden. Lebensmittel werden auf Vorrat gekauft, weil man Blockaden im Westjordanland befürchtet», sagt er. Diese Anspannung vermische sich mit einem Hauch von Normalität, weil Geschäfte und Schulen derzeit wieder ganz normal geöffnet haben.

Währenddessen finden massive Luftangriffe im dicht besiedelten Gazastreifen statt. Bezirke ähneln schon jetzt einer Trümmerwüste. Die humanitäre Lage vor Ort sei «katastrophal», warnt Brian Lander, stellvertretender Leiter für Notfälle des UN-Welternährungsprogramms, gegenüber dem US-Sender CNN.

Bald ist mit einer Bodenoffensive Israels in Gaza zu rechnen. Laut Medienberichten soll diese wohl frühestens am 18. oder 19. Oktober starten. Denn die israelischen Truppen haben das Grenzgebiet noch nicht hundert Prozent unter Kontrolle. Zudem bleibt auch die Lage im Norden des Landes angespannt. Dort kommt es permanent zu Auseinandersetzungen mit der libanesischen Hisbollah.

Eines ist klar: Der brutale Überfall der Terrorgruppe Hamas hat eine Spirale der Gewalt losgelöst – deren Ausmass derzeit noch nicht abschätzbar ist.

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37 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Piaf
14.10.2023 21:58registriert April 2023
Solange auf beiden Seiten Radikalreligiöse das Sagen haben (oder das Radikalreligiöse für ihre ureigenen Zwecke nutzen) wird es nicht mal ansatzweise Frieden in dieser Region geben… auf beiden Seiten: Auge un Auge, Zahn um Zahn = null Zukunft.
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Xsa
15.10.2023 00:28registriert Oktober 2021
Auch wenn ich ein gewisses Verständnis aufbringen kann für die Historie der Hamas; der Terror den sie ausüben ist unverzeihlich. Unverzeihlich. Die Fatah hätte sich mit der Zweistaatenlösung einverstanden erklärt, Israel auch. Es ist nicht ganz Palästina, die vernichtet werden muss, es ist die Hamas, die dem Frieden im Weg steht. So hart es auch klingt, ich bin der Meinung, solange die Hamas existiert, wird es weiter Terror von ihnen geben. In Israel, im gesamten nahen Osten, in Europa. Diese Extremisten wollen keinen Frieden, keine Lösung.
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gwaagg
15.10.2023 00:02registriert Mai 2018
Und schon ist die Ukraine vergessen. Putins Schlächtereien sind massiv übler als jene der Hamas. Das man die Hamas als Terror einstuft ist gut, warum Putin nicht?
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    «Die Panzer kommen, schau hin, werde Patriot!» Putins prachtvolle Perversion des Gedenkens
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