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Wie Israels Geiseln mit dem Leben nach der Gefangenschaft ringen

epa12450919 People hold up a banner with a picture of Released Israeli hostage Segev Kalfon at Sheba Hospital in Ramat Gan, near Tel Aviv, Israel, 13 October 2025. The first phase of the Gaza peace ag ...
Die Freude über die Freilassung der Geiseln in Israel ist riesig.Bild: keystone

Wie Israels Geiseln mit dem Leben nach der Gefangenschaft ringen

Endlich sind alle noch lebenden Geiseln zurück bei ihren Familien. Auf die anfängliche Euphorie folgt jedoch bald der harte Alltag. Ein angehöriger von ehemaligen Geiseln erzählt.
14.10.2025, 18:1614.10.2025, 18:16
Natasha Hähni / ch media

Die letzten zwanzig noch lebenden Hamas-Geiseln sind frei. Die Bilder junger Männer, die in die Arme ihrer Familien laufen, gingen am Montag um die Welt. So wie das von Avinatan Or, wie er seine Freundin, Noa Argamani, vor Freude gleich umrennt. Die Entführung der beiden vom Nova-Festival hatten Hamas-Terroristen in einem Video vor zwei Jahren geteilt. Argamani wurde im Sommer 2024 vom israelischen Militär gerettet. Oder das von Matan Zangauker, dessen Mutter ihm «Mein Leben, Mein Leben!», zuschreit, als sie ihn sieht.

«Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ist, zwei Jahre auf sein Kind zu warten»
Yoni Asher

Ein emotionaler Moment

In Israel wurde gefeiert, als wäre es ein Nationalfeiertag.
«Es war ein emotionaler Moment», sagt Yoni Asher. Für ihn wecken die Szenen Erinnerungen an den Tag, an dem er selbst seine Familie wieder umarmen konnte.

Ende November 2023 konnte Yoni Asher seine Frau und Töchter wieder in die Arme schliessen.
Ende November 2023 konnte Yoni Asher seine Frau und Töchter wieder in die Arme schliessen.

Auf der Titelseite der «New York Times»

Seine beiden kleinen Töchter – damals vier und zwei Jahre alt – und seine Frau Doron wurden am 7. Oktober 2023 von Hamas-Terroristen verschleppt. Nach knapp 50 Tagen kamen sie frei. Das Foto ihrer Wiedervereinigung erschien auf der Titelseite der «New York Times». «Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ist, zwei Jahre auf sein Kind zu warten», sagt Asher im Gespräch mit CH Media

Dass die Angehörigen in ihrer Freude über die Freilassung nicht allein sind, mache die Situation aufregend – aber auch komplizierter, sagt Asher. In den Tagen nach der Rückkehr seiner Familie erhielt er unzählige Anrufe, Gratulationen, Umarmungen auf der Strasse. «Die Leute hielten uns an, wollten Fotos machen, uns umarmen», erzählt er.

«Hört auf euer Bauchgefühl. Das Wichtigste ist jetzt, füreinander da zu sein – vor allem für diejenigen, die zurückgekehrt sind.»
Yoni Asher

Prominente Medienanfragen

Dazu kamen massenhaft Medienanfragen und Einladungen, sogar von Joe Biden und Donald Trump. Die Aufmerksamkeit sei überwältigend gewesen, sagt Asher. Er lehnte die meisten Anfragen ab – und rät das nun auch den Angehörigen der zuletzt Freigelassenen: «Hört auf euer Bauchgefühl. Das Wichtigste ist jetzt, füreinander da zu sein – vor allem für diejenigen, die zurückgekehrt sind.»

Yoni Asher holds a stuffed toy belonging to his daughter, who is missing along with other family members from Kibbutz Nir Oz, Tuesday Oct. 17, 2023 in Tel Aviv. Relatives of Israelis who are missing a ...
Yoni Asher hält ein Stofftier seiner Tochter in den Armen.Bild: AP

Expertinnen und Experten warnen seit Langem vor den komplexen medizinischen und psychischen Bedürfnissen der Befreiten. Um sie angemessen zu versorgen, richtete das Rabin Medical Center in Petah Tikva nach dem 7. Oktober Israels erste spezialisierte Einheit für zurückgekehrte Geiseln ein. Dort kümmern sich Physio-, Sprach- und Ergotherapeutinnen, Psychologinnen und Ernährungsberater um die zurückgekehrten Geiseln. Auch für Angehörige stehen Zimmer bereit. Zudem hat die israelische Regierung Willkommenspakete für die zurückgekehrten Geiseln vorbereitet. Darin enthalten: Ein Handy, ein Laptop, persönliche Gegenstände, Kleidung und handgeschrieben Botschaften von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und dessen Frau Sara.

Wiederherstellung der Identität

Wie das Hostages and Missing Families Forum am Montag erklärte, endet der Prozess nicht mit der Freilassung, «er beginnt mit ihr». Einige der freigelassenen Geiseln haben während des Terroranschlags am 7. Oktober 2023 ihr Zuhause verloren. Nach zwei Jahren «unter unmenschlichen Bedingungen» bräuchten sie jetzt vor allem «die Wiederherstellung ihrer Identität als Menschen, nicht als Geiseln», so das Forum weiter.

Freed Israeli hostage Evyatar David gestures from a van as he arrives at Beilinson hospital in Petah Tikva, Israel, after he was released from Hamas captivity in the Gaza Stripl, Monday, Oct. 13, 2025 ...
Am Montag, dem 13. Oktober 2025, kommen die letzten Geiseln aus der Gefangenschaft der Hamas im Gazastreifen frei.Bild: keystone

Der Punkt ist auch Asher wichtig. «Ich ziehe meine Töchter als Siegerinnen gross, nicht als Opfer», sagt er. Dass die Arbeit nach der anfänglichen Euphorie erst richtig losgeht, hat der 38-Jährige selber merken müssen.

«Fast zwei Jahre nach ihrer Rückkehr wachen meine Töchter immer noch mehrmals in der Nacht auf, weil sie Albträume haben»
Yoni Asher

«böse Menschen auf Traktoren»

Seit der Rückkehr seiner Familie kämpft er mit ständiger Angst um seine Mädchen. «Fast zwei Jahre nach ihrer Rückkehr wachen meine Töchter immer noch mehrmals in der Nacht auf, weil sie Albträume haben», sagt Asher. In denen würden sie von «bösen Menschen auf Traktoren» geholt. Ausserdem hätten sie Probleme damit, ihre Emotionen zu regulieren.

«Ich versuche, mich immer auf ihre Gefühle und ihr Verhalten zu achten»
Yoni Asher

«Ich versuche, mich immer auf ihre Gefühle und ihr Verhalten zu achten», sagt Asher. Das sei nicht immer einfach. Seine Beziehung zu seiner Frau zerbrach an den Folgen der Entführung. «Es war einfach zu viel», sagt er. Um näher bei seinen Töchtern zu sein, zog er kürzlich näher zu ihnen.

Der Immobilienunternehmer ist aber optimistisch: Jetzt, wo alle verbleibenden Geiseln befreit, und die Verstorbenen langsam zurückgebracht werden, können die Familien, die ihre Liebsten zurückbekommen haben, heilen. (aargauerzeitung.ch)

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20 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ronnia88
14.10.2025 18:38registriert Februar 2024
Sie tun mir unendlich leid. Ich wünsche ihnen unglaublich viel Kraft und Liebe von ihren Angehörigen
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Brave
14.10.2025 18:48registriert September 2020
Auch das Leid der Angehörigen darf nicht unterschätzt werden: hier wird von einer zerbrochenen Ehe berichtet, es gibt auch Selbstmorde in der Familie der Angehörigen, weil sie das überfordert.
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Chamäleon87
14.10.2025 18:30registriert Dezember 2023
Alles Gute!!! Ihr schafft das! 😊
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«Man könnte meinen, die Hamas hat nun keinen Hebel mehr in der Hand»
Die überlebenden Geiseln der Hamas sind zurückgekehrt. Zwischen Israel und der Hamas herrscht Waffenstillstand. Ist das der Anfang vom Ende des Kriegs im Nahen Osten? Dank US-Präsident Donald Trump? Islamforscher Simon Wolfgang Fuchs widerspricht.
Die Hamas hat alle 20 Geiseln am Montagmorgen an Israel übergeben. Ist alles so abgelaufen wie abgemacht?
Simon Wolfgang Fuchs:
Ja, was die noch lebenden Geiseln anbelangt, lief alles so ab, wie geplant. Im Vorfeld gab es die Befürchtungen, dass die Hamas die Übergabe – so wie im Januar – dazu nutzen könnte, sich selbst martialisch zu inszenieren. Im Sinne von: Man kämpfe hier gegen «Nazizionismus» an. Es war jedoch Teil der Abmachung, dass genau solche Szenen nicht vorkommen dürfen. Was jedoch vorkam: Noch bevor die Übergabe stattfand, liess die Hamas die Geiseln mit ihren Familien telefonieren. In Israel hat das einerseits Freude, gerade bei den betroffenen Angehörigen, ausgelöst. Andererseits konnte die Hamas damit demonstrieren, dass sie im Gazastreifen durchaus noch an der Macht ist. Bei den Angehörigen der verstorbenen Geiseln herrscht zudem der Schock vor, dass heute wohl nur vier Leichname übergeben werden.
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