International
Israel

Israels Justizreform: Parlament verabschiedet Gesetz trotz Widerstand

Demonstrators wave a large Israeli flag during a protest against plans by Prime Minister Benjamin Netanyahu's government to overhaul the judicial system, outside the Knesset, Israel's parlia ...
Demonstration vor der Knesset am 24. Juli 2023.Bild: keystone

Israels Parlament verabschiedet Gesetz zu umstrittenem Justizumbau

24.07.2023, 14:5224.07.2023, 18:56
Mehr «International»

Trotz massiven Widerstands hat Israels Parlament ein Kernelement der umstrittenen Justizreform verabschiedet. 64 von 120 Abgeordneten stimmten nach tagelanger Debatte am Montag für einen Gesetzentwurf, der die Handlungsmöglichkeiten des Höchsten Gerichts einschränkt.

Die Opposition boykottierte die Abstimmung. Das Gesetz ist Teil eines grösseren Pakets. Kritiker stufen es als Gefahr für Israels Demokratie ein und warnen sogar vor der Einführung einer Diktatur. Israels Justizminister Jariv Levin sprach dagegen von einer «Korrektur des Justizsystems».

Warnungen vor Korruption

Mit dem neuen Gesetz ist es dem Höchsten Gericht künftig nicht mehr möglich, eine Entscheidung der Regierung oder einzelner Minister als «unangemessen» zu bewerten. Zahlreiche Experten befürchten, dass dies Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung wichtiger Posten oder aber Entlassungen begünstigen könnte.

epa10766006 Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu (C) attends a Knesset session to vote on law on justice system reform, Israel, 24 July 2023. Mass protests continue across the country as the Isra ...
Knesset-Sitzung am 24. Juli 2023.Bild: keystone

«Das Gericht verliert ein zentrales Werkzeug zur Kontrolle von Regierungspolitikern», sagte der Präsident des israelischen Demokratieinstituts, Johanan Plesner. Wichtige Positionen im Land könnten mit «Ja-Sagern» besetzt, die Generalstaatsanwältin entlassen werden. Auch die Zuweisungen von Finanzmitteln oder die Erteilung von Lizenzen für Unternehmen seien nicht mehr kontrollierbar.

Befürworter der Reform argumentieren, Richter seien anders als Abgeordnete oder Minister nicht direkt vom Volk gewählt. Sie seien jetzt unabhängiger von den Richtern und könnten Interessen ihrer Wähler leichter durchsetzen. Zudem werfen sie dem Höchsten Gericht immer wieder vor, eher «linke» Ansichten zu vertreten.

Israelis protest against plans by Prime Minister Benjamin Netanyahu's government to overhaul the judicial system, outside the Knesset, Israel's parliament, in Jerusalem, Monday, July 24, 202 ...
Demonstrierende vor der Knesset am 24. Juli 2023.Bild: keystone

Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fusst stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen. Daher kommt dem Höchsten Gericht eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu.

Warnung vor Staatskrise

Unklar war zunächst, wie sich das Höchste Gericht nach der Verabschiedung des Gesetzes verhalten wird. Unter anderem Israels Rechtsanwaltskammer kündigte an, dort gegen das neue Gesetz vorgehen zu wollen. Laut Plesner wäre ein Eingreifen des Gerichts jedoch ein Präzedenzfall. «Das Gericht hat noch nie eine vergleichbare Änderung aufgehoben», sagte er. Falls es sich dazu entschliessen sollte, könnte dies zu einer «Staatskrise» führen.

Seit mehr als einem halben Jahr spaltet das Vorhaben weite Teile der israelischen Gesellschaft. Während der Abstimmung protestierten vor der Knesset Zehntausende Menschen. Einige Demonstranten versuchten Medienberichten zufolge das Plenum zu stürmen. Die Protestbewegung kündigte an, ihren Protest «bis zum Ende» weiterzuführen. «Wir haben gerade erst begonnen», hiess es von den Organisatoren.

Verhandlungen über einen Kompromiss, die bis zur letzten Minute andauerten, blieben erfolglos. «Mit dieser Regierung ist es unmöglich, Vereinbarungen zu treffen, die die israelische Demokratie bewahren», sagte Oppositionsführer Jair Lapid. Die Regierung wolle «den Staat auseinanderreissen, die Demokratie zerstören, die Sicherheit Israels, die Einheit des Volkes Israel und unsere internationalen Beziehungen zerstören».

Alle Augen aufs Militär

Zuletzt nahm auch der Widerstand innerhalb des Militärs zu. Mehr als Zehntausend Reservisten kündigten an, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen, sollte ein Teil der umstrittenen Pläne verabschiedet werden. Die Einsatzfähigkeit könnte damit massiv eingeschränkt werden. «Die Drohungen der Reservisten werden sicher zum Teil verwirklicht, weitere werden sich vielleicht anschliessen», sagte Plesner. Dies könne sich zu einer ernsten «Sicherheitskrise» entwickeln. Auch aus der Wirtschaft gab es solche Drohungen.

Kritik kam zuletzt auch vermehrt von Israels engstem Bündnispartner, den USA. US-Präsident Joe Biden sprach sich noch am Morgen vor der Abstimmung gegen die Pläne aus. Der jüdische Staat sei derzeit mit vielen Bedrohungen und Herausforderungen konfrontiert. Das Land solle sich deshalb darauf fokussieren, «die Menschen zusammenzubringen und einen Konsens zu finden», sagte Biden der Nachrichtenseite «Axios».

Der Kurs der Regierung Netanjahus ist in den vergangenen Monaten zur Belastungsprobe für die israelisch-amerikanischen Beziehungen geworden, wie israelische und US-Medien übereinstimmend berichteten. Die USA unterstützen Israel jährlich im Verteidigungsbereich mit Milliarden US-Dollar

Erst der Anfang

Netanjahus Koalitionspartner fühlten sich unterdessen vom Ergebnis der Abstimmung bestärkt. Minister lagen sich im Plenum in den Armen, schlugen ihre Hände ein, machten Selfies und gaben zu verstehen: Dies ist erst der Anfang. Ein weiteres Kernstück der Reform - eine Änderung bei der Richterbesetzung - soll nach ihrem Willen bereits in der nächsten Sitzungsperiode im Herbst auf die Agenda rücken.

Die Gesetzesänderungen erfolgen auch auf Druck von Netanjahus strengreligiösen Koalitionspartnern. Sie könnten Netanjahu laut Experten jedoch auch in einem schon länger gegen ihn laufenden Korruptionsprozess in die Hände spielen.

Oppositionsführer Lapid sprach von einer «beispiellosen Schwächedemonstration» des Regierungschefs. Benjamin Netanjahu sei «zur Marionette einer Reihe messianischer Extremisten geworden». (sda/dpa)

(yam/saw/sda/dpa)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
27 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Grobianismus
24.07.2023 15:05registriert Februar 2022
Und ich dachte, gerade die Juden hätten gelernt, dass Diktaturen gefährlich sind...
7912
Melden
Zum Kommentar
avatar
OrDa84
24.07.2023 15:14registriert August 2021
Das war ja nicht anders zu erwarten. Ich hoffe, dass ds international entsprechend negativ gewürdigt wird und man Israel nicht wieder, aus purer Vergangenheitsscham, mit Samthandschuhen anfasst, sondern mit ihnen nun, wie mit anderen Ländern auf dem Weg in eine Diktatur, verfährt.
7211
Melden
Zum Kommentar
avatar
Scaros_2
24.07.2023 15:05registriert Juni 2015
Der Untergang der Demokratie.
238
Melden
Zum Kommentar
27
    Sekretärin und Berater der Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt erschossen

    In Mexiko-Stadt sind zwei enge Mitarbeiter von Bürgermeisterin Clara Brugada erschossen worden. Die Täter hätten auf einer Hauptverkehrsstrasse im Zentrum der mexikanischen Hauptstadt das Feuer auf ein Auto eröffnet, in dem die persönliche Sekretärin und ein Berater der Bürgermeisterin unterwegs gewesen seien, teilte das Rathaus mit. Danach flohen sie auf einem Motorrad. Die Hintergründe der Tat waren zunächst unklar.

    Zur Story