Zwei italienische Geheimdienstmitarbeiter, ein Ex-Mitglied der israelischen Sicherheitskräfte und eine Russin: Beim Kentern eines Ausflugsschiffs auf dem Lago Maggiore in Norditalien sind vier Menschen ums Leben gekommen. «Schiffbruch der 007» titelte die italienische Tageszeitung «La Stampa» nach dem Unglück am vergangenen Sonntag.
Die Hintergründe des Unfalls, der Anlass des Treffens und die Identität der Personen an Bord des Ausflugsboots – der Vorfall wirft viele Fragen auf. Ein Überblick:
Den Angaben der Ermittler zufolge starben die italienischen Agenten Claudio Alonzi (62) und Tiziana Barnobi (53) sowie der pensionierte Agent des israelischen Mossad, Shimoni Erez (50). Dessen Tod hat mittlerweile auch das israelische Aussenministerium bestätigt. Das vierte Opfer ist die Russin Anya Bozhkowa (50), die Ehefrau des Kapitäns, der das Boot an Touristen verleiht.
Der Unfall ereignete sich am Sonntag um kurz nach 19 Uhr in der Nähe von Lisanza rund 150 Meter vom Ufer entfernt. Zu dem Zeitpunkt waren Medienberichten zufolge bis zu 25 Menschen an Bord des Ausflugsboots – 20 davon «italienische und israelische Agenten».
Weil alle Passagiere den Erkenntnissen nach bei italienischen und israelischen Geheimdiensten beschäftigt sind oder waren, gibt es Spekulationen um den Grund für das Zusammentreffen. Staatsanwalt Carlo Nocerino sagte der «Bild»-Zeitung, er gehe davon aus, «dass sie sich einfach auf einer Geburtstagsfeier getroffen haben».
Die Überlebenden konnten sich schwimmend ans Ufer retten oder wurden von vorbeifahrenden Booten aus dem Wasser gezogen. Nach ihrer Rettung und teilweise kurzen Spitalaufenthalten hatten sie es eilig, den Ort des Geschehens zu verlassen. Die Israelis wurden laut der Nachrichtenagentur Ansa mit einem Privatjet ausser Landes gebracht, der normalerweise für sensible und offizielle Flüge benutzt wird.
Auch «die Italiener haben in aller Eile» die Notaufnahme und Hotels, in denen sie untergebracht waren, verlassen. Das berichtete das Onlineportal Milano Today. «Huffington Post Italia» schrieb, die Betroffenen seien in der Nacht auf Montag noch von der Polizei vernommen worden, dann aber «schnell verschwunden».
Der Lago Maggiore ist der zweitgrößte See Italiens und ein beliebtes Urlaubsziel. Der italienischen Zeitung «Corriere della Serra» zufolge wurde auf dem Boot offiziell ein Geburtstag gefeiert. Der zuständige italienische Staatssekretär Alfredo Mantovano sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus. Das für den italienischen Geheimdienst arbeitende Ehepaar, das bei dem Unfall starb, wollte demnach an Bord den Geburtstag eines Freundes feiern.
In einem Bericht der deutschen Boulevardzeitung «Bild» wurde spekuliert, dass es auf dem Boot zu einem Austausch von geheimen Unterlagen gekommen sein könnte, nachdem sich die Gruppe mittags schon im Restaurant «Il Verbano» zusammengesetzt habe. Einem Reporter der Zeitung zufolge waren am Dienstag Taucher zu sehen, die am Ufer ins Wasser gingen – an einer ganz anderen Stelle als noch am Montag. Polizisten hätten Nachfragen mürrisch abgeblockt, die Bergungsarbeiten seien abgeschirmt worden.
Ci sono anche tre agenti dei servizi di intelligence italiani e israeliani tra le quattro vittime dell'affondamento nel lago Maggiore di una barca su cui si stava festeggiando un compleanno. La Procura su eventuali omissioni nella sicurezza o allerte sottovalutate pic.twitter.com/QrMlT3NUwj
— Tg3 (@Tg3web) May 29, 2023
«Bild» zitierte Carlo Nocerino, den Chef der Staatsanwaltschaft von Busto Arsizio:
Bisher deutete alles darauf hin, dass heftige Winde und starke, lokale Niederschläge dazu führten, dass das Boot mit dem Namen «Good…uria» umkippte und schätzungsweise 15 Meter tief auf den Seegrund sank. Die vier Toten waren womöglich im sinkenden Boot eingeschlossen und konnten sich nicht rechtzeitig befreien.
Nach Angaben des Präsidenten der Region Lombardei, Attilio Fontana, war der «sehr schwere Vorfall» durch eine «Windhose» ausgelöst worden. Das 16 Meter lange Boot sei von Touristen gemietet worden, teilte Fontana auf der Social-Media-Plattform Facebook mit.
Doch der Sturm war offenbar nicht der alleinige Faktor: Laut dem «Corriere della Sera» waren eigentlich nur 15 Passagiere auf dem Boot zugelassen, tatsächlich sollen mindestens acht weitere Männer und Frauen an Bord gewesen sein.
Dass das Boot derart überladen war, habe wiederum die Manövrierfähigkeit deutlich eingeschränkt – erst recht bei dem Sturm, der zum Zeitpunkt des Unglücks tobte. Dem Bericht zufolge konnte das Boot den Wellen nicht mehr ausweichen – und kenterte.
Staatsanwalt Nocerino bestätigte «Bild», dass sich die Ermittlungen nicht gegen eine konkrete Person richteten. In der Verantwortung stehe allerdings der Kapitän des Touristenbootes. «Corriere della Sera» berichtete, er habe nicht nur die maximal zulässige Anzahl an Passagieren missachtet, sondern offenbar auch sämtliche Wetterwarnungen vor dem Sturm. Auch habe es womöglich nicht ausreichend Schwimmwesten an Bord gegeben. Vorab waren heftige Windböen mit Geschwindigkeiten von bis zu 100 Kilometern pro Stunde vorausgesagt worden.
(t-online/dsc/yam)
Ein einziger Punkt scheint mir logisch: wenn mehr Menschen auf auf dem Boot waren als zugelassen, hat es mit Sicherheit zu wenig Schwimmwesten für alle.