Das Fundament des Internationalen Strafgerichtshof bröckelt. Drei afrikanische Staaten haben bereits ihren Austritt erklärt. Das könnte einen Dominoeffekt in Gang setzen. Die 124 Vertragsstaaten ringen ab Mittwoch bei ihrer Konferenz in Den Haag mit ihrer bisher grössten Krise.
Doch nun geht Chefanklägerin Fatou Bensouda in die Gegenoffensive: Sie ermittelt auch gegen die Weltmacht USA und entzieht damit dem Hauptvorwurf Afrikas den Boden.
Gambia, Burundi und Südafrika kündigten kürzlich den Grundlagenvertrag, das sogenannte Römische Statut. Das könnte eine Lawine auslösen, fürchtet der Präsident der Vertragsstaatenkonferenz, Sidiki Kaba.
«Dieses beunruhigende Signal könnte den Weg frei machen für andere afrikanische Staaten, sich zurückzuziehen und damit das einzige permanente internationale Strafgericht schwächen.» Kenia gilt als folgender Austrittskandidat.
Die Austrittswelle ist keine Überraschung. Seit Jahren begehren nämlich afrikanische Länder gegen die aus ihrer Sicht im Erbe der Kolonialzeit stehende Justiz auf. Es sei ein «internationales, weisses Gericht zur Verfolgung und Demütigung Farbiger, insbesondere von Afrikanern», zürnte im Oktober der gambische Informationsminister Sheriff Baba Bojang.
Das Gericht hält sich mit Stellungnahmen dazu meist vornehm zurück. Doch nun reagiert Chefanklägerin Bensouda auf besondere Weise: Sie ermittelt auch gegen US-Streitkräfte und CIA-Angehörige wegen «Folter, grausame Behandlung, Verletzung der Menschenwürde und/oder Vergewaltigung», wie aus ihrem Jahresbericht hervor geht.
Die mutmasslichen Verbrechen gegen Gefangene sollen zwischen 2002 und 2008 vorwiegend in Afghanistan begangen worden sein. Tatsächlich kann Bensouda US-Bürger anklagen, auch wenn das Land selbst kein Mitgliedsstaat ist. Denn die mutmasslichen Verbrechen wurden in Staaten begangen, die dem Gericht beigetreten sind.
Dennoch ist es nicht klar, ob es jemals einen Prozess geben wird. Sollte es eine Anklage geben, werden die USA jedoch kaum Soldaten oder CIA-Beamte nach Den Haag ausliefern.
Die Initiative der aus Gambia stammenden Chefanklägerin ist aber ein wichtiges Signal, dass das Gericht auch den Westen im Visier hat. Sie ermittelt auch zu Übergriffen von britischen Soldaten im Irak 2003 und zu Verbrechen in Gaza, Georgien, Kolumbien und der Ukraine.
Vor 14 Jahren startete das Weltstrafgericht, um Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen weltweit zu verfolgen. Doch bislang gab es nur Prozesse zu Verbrechen in afrikanischen Ländern. Die Kritik aus Afrika ist daher gerechtfertigt, auch wenn die meisten Verfahren erst auf Initiative der Länder selbst in Gang gesetzt worden waren.
Die nun vorgelegte breite Liste der Ermittlungen ist auch ein kluger Schachzug. Damit entlarvt die Anklägerin, dass hinter der Attacke der afrikanischen Länder auch fragwürdige innenpolitische Motive stehen. So fürchtet der Präsident Burundis, Pierre Nkurunziza, wohl den langen Arm der Den Haager Justiz. Und Südafrikas Präsident Jacob Zuma will offensichtlich von innenpolitischer Kritik ablenken.
Bensouda zeigt Zähne. Doch das Gericht bleibt weiterhin in der Zange politischer Interessen. Denn immer noch wollen sich viele Staaten der internationalen Justiz nicht unterwerfen. Russland, China, Syrien, Israel, aber auch die USA gehören ihm nicht an. Dass sich daran unter dem zukünftigen Präsidenten Donald Trump etwas ändern wird, scheint eine Utopie.
In schrillem Kontrast dazu stehen die Lippenbekenntnisse der Staatengemeinschaft. Immer wenn besonders folgenschwere Verbrechen die Welt erschüttern, wie zuletzt etwa die Giftgasangriffe des syrischen Regimes oder der Abschuss des Passagierfluges MH17 über der Ostukraine, wird international das Eingreifen des Weltstrafgerichts gefordert. (sda/dpa)