Die Weltklimakonferenz in Aserbaidschan hat sich darauf geeinigt, die Klimahilfen für ärmere Staaten deutlich aufzustocken. Insgesamt sollen bis 2035 jährlich mindestens 1,3 Billionen US-Dollar (aktuell rund 1,25 Billionen Euro) fliessen, davon 300 Milliarden vorrangig aus den Industriestaaten. Mit dem Geld sollen Entwicklungsländer mehr Klimaschutz bezahlen können und sich an die fatalen Folgen der Erderwärmung anpassen können – etwa häufigere Dürren, Stürme und Überschwemmungen.
Die neue Summe ist eine deutliche Aufstockung an Geldern für Entwicklungsländer. Bisher mobilisieren die klassischen Industriestaaten jährlich gut 100 Milliarden US-Dollar an Klimahilfen – also nur einen Drittel der neuen Summe.
Ob diese erhöhte Summe aber ausreicht, darf bezweifelt werden. Laut einer unabhängigen UN-Expertengruppe liegt der Bedarf an externer Hilfe inzwischen bei rund einer Billion US-Dollar pro Jahr bis 2030 – und sogar 1,3 Billionen bis 2035.
Die Schweiz wird – wie alle anderen Staaten – mit dem Beschluss der Uno-Klimakonferenz nicht konkret zu Zahlungen verpflichtet. Der Bundesrat werde 2025 einen Bericht verabschieden, in dem ein «fairer» Beitrag der Schweiz festgelegt werden soll, sagte Umweltbotschafter Felix Wertli. Er betonte, dass es nicht nur darum gehe, direkt mehr Geld zu bezahlen. Es gehe auch darum, Gelder zu mobilisieren.
Die Erwartungen der Entwicklungsländer hatte Umweltminister Albert Rösti in einem Interview mit dem Schweizer Radio und Fernsehen im Vorfeld der Einigung als «jenseits von Gut und Böse» bezeichnet. Die Schweiz komme ihrer historischen Verpflichtung bereits nach, indem sie «schon heute mit 700 Millionen pro Jahr im Vergleich zu anderen Ländern proportional mehr an den Klimaschutz beiträgt, als von ihr erwartet werden kann», sagte Rösti in dem am Freitag veröffentlichten Interview.
Um die 1,3 Billionen jährlich aufzutreiben, sollen der Einigung zufolge auch die multilateralen Entwicklungsbanken deutlich mehr Kredite ausreichen beziehungsweise armen Staaten Schulden erlassen. Über das öffentliche Geld und das der Banken sollen mit Hebelwirkung auch in grossem Stil private Investitionen angestossen werden, die ebenfalls als Klimafinanzierung gezählt werden.
Ausserdem sollen weitere Geberländer ermuntert werden, sich zu beteiligen. Der Appell ist so weit gefasst, dass Klimaschützer kritisieren, niemand sei konkret für diesen Teil des Globalziels verantwortlich.
Die Schweizer Vertretung hat sich zufrieden mit der Einigung gezeigt. Der Leiter der Schweizer Delegation sprach im Anschluss von einem erfolgreichen Abschluss. Die 300 Milliarden und damit die Verdreifachung der bisherigen Beträge seien zu erreichen, sagte Umweltbotschafter Felix Wertli telefonisch zur Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Hinsichtlich dem Thema der Emissionsreduktion von Treibhausgasen zeigte sich der Delegationsverantwortliche enttäuscht. Auch hätte sich die Schweizer Delegation von der Konferenz eine stärkere Botschaft zum Bekenntnis zum 1,5-Grad-Klimaziel gewünscht, wie Wertli sagte. Bundesrat Rösti hatte an der Klimakonferenz das 1,5-Grad-Klimaziel der Schweiz bekräftigt.
Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock zeigte sich vor allem enttäuscht. «Wir wissen, dass unsere heutigen Entscheidungen allein nicht ausreichen, um alle Bedürfnisse zu erfüllen», sagte sie vor dem Plenum in Baku. Sie nannte die 300 Milliarden US-Dollar nur einen Ausgangspunkt und versicherte, Deutschland werde «liefern». Zu konkreten Zahlungen in bestimmter Höhe wird Deutschland mit dem Beschluss genauso wenig verpflichtet wie alle anderen Staaten.
US-Präsident Joe Biden hat die Beschlüsse der Weltklimakonferenz als «historisch» begrüsst und vor der Amtsübernahme seines designierten Nachfolgers Donald Trump einen klimapolitischen Rückfall in alte Zeiten für aussichtslos erklärt.
«Mögen manche auch versuchen, die in den USA und weltweit laufende Revolution sauberer Energien zu leugnen oder zu verzögern, niemand kann sie rückgängig machen – niemand», betonte Biden in einer Stellungnahme nach Abschluss der Konferenz in Aserbaidschan.
Biden brachte seine Erwartung zum Ausdruck, dass die Vereinigten Staaten den Kampf gegen die Klimakrise auch in den kommenden Jahren fortsetzen werden – «durch unsere Bundesstaaten und Städte, unsere Unternehmen und unsere Bürger, unterstützt durch Gesetze von Dauer». Die künftige Regierung führte er in seiner Aufzählung nicht auf.
UN-Generalsekretär António Guterres hat den Beschluss der Weltklimakonferenz gelobt – aber auch eingefordert, dass das Geld nun schnell fliessen müsse. Die Versprechen gehörten «vollständig und fristgerecht» eingelöst, verlangte er. «Zusagen müssen schnell zu Bargeld werden.» Denn viele überschuldete Entwicklungsländer, die von Katastrophen getroffen werden und bei der Revolution erneuerbarer Energien auf der Strecke bleiben, bräuchten dringend Geld.
Guterres wies einmal mehr auf die eskalierende Klimakrise hin. «Die COP29 findet am Ende eines brutalen Jahres statt – eines Jahres, das von Rekordtemperaturen geprägt und von Klimakatastrophen gezeichnet war, während die Emissionen weiter steigen.»
Der Portugiese sprach von komplexen Verhandlungen in einer unsicheren und gespaltenen geopolitischen Landschaft. Der bei der Konferenz in Aserbaidschan erzielte Konsens zeige, dass Multilateralismus einen Weg durch die schwierigsten Probleme finden könne. «Ich appelliere an die Regierungen, dieses Abkommen als Grundlage zu betrachten – und darauf aufzubauen.»
Das Ende des Zeitalters der fossilen Brennstoffe sei auch in wirtschaftlicher Hinsicht unausweichlich, betonte Guterres. Neue nationale Pläne der 200 Staaten müssten nun den Wandel beschleunigen und dazu beitragen, dass er gerecht erfolgt. «Die G20-Länder, die grössten Emittenten, müssen dabei die Führung übernehmen», forderte er.
Kurz nach dem Hammerschlag des aserbaidschanischen Gastgebers wurde indes deutlich, dass viele Länder nur mit Zähneknirschen zugestimmt hatten, um wenigstens nicht ganz ohne Kompromiss auseinanderzugehen: Die Vertreterin Nigerias bezeichnete die 300 Milliarden als «Witz» und «Beleidigung». Auch Indiens Vertreterin protestierte, man könne absolut nicht einverstanden sein, weil die Zusagen viel zu gering seien. De facto hat die Kritik aber keine Auswirkungen mehr, der Beschluss gilt.
Auch die Umweltorganisation WWF Schweiz ist nicht zufrieden. Die 300 Milliarden jährlich, die bis 2035 fliessen sollen, sind «völlig unzureichend», wie der politische Leiter der Organisation, Manuel Graf, mitteilte.
In Bern sei im Vorfeld der Klimakonferenz nicht darüber diskutiert worden, wie die Schweiz ihren fairen Anteil an einem neuen Finanzziel leisten könnte, kritisierte Graf in einer Stellungnahme in der Nacht auf Sonntag. Die internationale Klimafinanzierung der Schweiz brauche eine separate zweckgebundene Abgabe, die möglichst nach dem Verursacherprinzip erhoben würde, forderte der WWF-Vertreter.
Auch seien beim geplanten Ausstieg aus fossilen Energien kaum Fortschritte erzielt worden. «Die Schweiz hatte sich für einen klaren Fahrplan eingesetzt, wurde jedoch insbesondere von den Gas- und Ölstaaten ausgebremst», wurde Graf in der Mitteilung zitiert.
Zeitweise drohte die um mehr als 30 Stunden verlängerte Weltklimakonferenz zu scheitern. Ganze Staatengruppen verliessen wenige Stunden vor dem Ende vorübergehend die Verhandlungen und beklagten sich über die chaotische Führung der Konferenz. Die Organisatoren aus dem Petrostaat Aserbaidschan, dessen Exporterlöse zu 90 Prozent aus Öl und Gas kommen, lobten sich hingegen selbst: Trotz «geopolitischem Gegenwind», habe man sich durchweg jede Mühe gegeben, «ein ehrlicher Makler» für alle Seiten zu sein.
Auch befürchtete die EU bis zuletzt, dass Beschlüsse der vergangenen Klimakonferenz in Dubai bei den Verhandlungen in Baku unter die Räder kommen könnten, etwa zur hart errungenen Abkehr von Öl, Gas und Kohle. Die von Deutschland damals als «historisch» gefeierte konkrete Formulierung fehlt nun - der Beschluss dazu wurde mangels Konsens ins nächste Jahr vertagt.
(dab/sda/dpa)