Seine letzte Kolumne in der Wiener Wochenzeitung «Falter» erschien am Dienstag, sie drehte sich, wie so vieles in seinem Leben, um seinen Körper. Verfasst hatte er sie im Spital, man habe ihm da «ein absolutes Ess- und Trinkverbot» auferlegt, alle Nahrung werde ihm intravenös verabreicht, obwohl er doch so einen Hunger, so einen Appetit habe. «Zu Weihnachten hätte ich mir ein Erdäpfelgulasch gewünscht», klagte er, sein «hätte» war prophetisch, er hat Weihnachten nicht erreicht, Hermes Phettberg, der Mann, der sich nach seiner Leibesfülle benannte, ist am Mittwoch im Spital gestorben.
«Eigentlich heisse ich ja Josef, Josef Fenz. Aber alle meine Verwandten hiessen auch Josef Fenz, alle Grossväter und jeweils ein zusätzlicher Onkel, und daher war der Name Josef fürchterlich verbraucht», so beginnt die Geschichte von Hermes Phettberg, so erzählte er sie 2004 dem «Tages-Anzeiger», zwei Jahre, bevor ihn sein erster von mehreren Schlaganfällen schmerzhaft aus der Öffentlichkeit katapultierte und bettlägerig machte.
Dieser Josef war 1952 im niederösterreichischen Hollabrunn zur Welt gekommen, als Teenager entdeckte er seine Homosexualität, «meine Mama wollte, dass ich Priester werde, ich wollte wichsen ohne Ende», sagte er vor zwei Jahren, als er 70 wurde, er schaffte es nur bis zum Ministranten und Pastoralassistenten. Mit 37 wurde er frühpensioniert, er war depressiv und fettleibig – und er wurde wiedergeboren als Wiener Persönlichkeit.
Denn Hermes Phettberg war nicht länger der Hollabrunner Josef, Hermes Phettberg war schon seit einigen Jahren ein Erotomane, ein bekannter Wiener Masochist – er war es geworden, weil körperliche Demütigung die einzige Art sexueller Zuwendung war, die er in der Schwulenszene finden konnte –, mit allem Pornografischen vetraut, ein Aktionskünstler und queerer Aktivist. Und er war durch und durch zum Wiener Künstler geworden. Er hatte sich den Schmäh, den Sarkasmus angeeignet, er trug seine Depression wie eine Monstranz vor sich her, hatte ein riesiges Herz, das voll war mit Melancholie, Selbstironie und Nächstenliebe, war belesen und intellektuell und der schrägste, unkonventionellste und vor allem ungenierteste Gesprächspartner, den man sich wünschen konnte.
Und so erhielt er seine eigene Fernsehsendung. Sie hiess «Phettbergs Nette Leit Show», lief Mitte der 90er-Jahre im Spätprogramm von ORF und 3Sat, bestand aus Phettberg, einem Gast und einem Tischchen mit Eierlikör und Frucade drauf.
Als er den Schauspieler Tobias Moretti interviewte, der damals noch den Hundekrimi «Kommissar Rex» drehte, eröffnete Phettberg das Gespräch mit «Hetero oder homo? Ach so, nein, Fructade oder Eierlikör?» Dann fachsimpelten die beiden darüber, ob das Abgeschlecktwerden von einem Hund beim Krimi-Dreh ähnlich sei wie das Angebieseltwerden bei einem Porno-Dreh. Mit der Künstlerin Valie Export unterhielt er sich darüber, ob «unterhalten» in Bezug auf ein Publikum nicht auch «untenhalten» sei, ein bändigen und bestrafen, also recht eigentlich eine sadistische Tätigkeit.
Jedes Gespräch begann oder endete bei seinen Obsessionen. Als er 1996 bei Harald Schmidt eingeladen war, überreichte er diesem einen Rohrstock mit den Worten «man kann es sich damit richtig gutgehen lassen». Er war anmassend, er war eine Zumutung, seine Sendungen wie er selbst, masslose Entgleisungen, die heute nicht mehr denkbar wären, aber er machte dies auf eine so charmante, höfliche, einfühlsame Art, dass die sprödesten seiner Gäste dahinschmolzen, man nannte ihn den «König von Wien».
Nur Manfred Deix, in dessen Comicfiguren Phettberg sich selbst zu erkennen glaubte, wies ihn ab mit den Worten: «Es ist so, dass ich einen Gusto nach Schönheit habe. Sie entsprechen nicht ganz diesem Gusto.» Und die österreichische Talkmasterin Arabella Kiesbauer beantwortete 2003 die Frage der «Schweizer Illustrierten», wem sie nie im Leben in einer Sauna begegnen möchte, mit: «Hermes Phettberg. Der frühere österreichische TV-Talker ist ein unglaublich dicker und ungepflegter Zeitgenosse – ein richtiger Ungustl.»
Drei Mal in seinem Leben habe Hermes Phettberg jeweils um die hundert Kilo abgenommen – und dann wieder zu. Es hat ihm nicht gutgetan. Und es hat ihm ebenfalls nicht gutgetan, dass er sich – ganz Masochist – so ungern helfen lassen wollte. Dass er das Leiden liebte, den Dreck, die Verwahrlosung, die zunehmende Armseligkeit. Wenn er schon kein begehrenswertes Objekt sein konnte, dann wollte er dessen Gegenteil sein, ein Abjekt.
Er träumte von jungen Männern in engen Jeans, er hat sie nie bekommen. «Meine Unattraktivität hat niemanden auf mich richtig geil gemacht. Und wo keine Geilheit ist, geschieht auch kein Echo», sagte er einmal. Zum Glück liessen sich seine Freundinnen und Freunde nicht davon abbringen, ihm zu helfen, er war ihnen dankbar, die letzten Jahre verbrachte er in seiner kleinen Wohnung in einem Spitalbett.
Hermes Phettberg nahm die Welt war, wie nur Wiener das können: Mit einer Schärfe, einer Ironie und bei aller Boshaftigkeit auch einer Liebe. Man kennt diese Perspektive, sie vererbt sich unweigerlich, von Thomas Bernhard, über Elfriede Jelinek bis hin zu Stefanie Sargnagel. Und es führt – ebenso unweigerlich – zu den schönsten Tiraden und Anekdoten. Als Phettberg 2004 mit dem «Tages-Anzeiger» sprach, erzählte er dies:
«In meinem Lieblingswirtshaus in Wien, das ist ein sehr kleines Lokal, aber ganz lieb, da ist eine Frau, die hat drei Hunde. Die lebt für ihre Hunde und kocht ihnen täglich ein absolutes Menü. Das sind die geliebtesten Hunde, aber das sind auch die hässlichsten Hunde von ganz Wien. Weil nämlich alle andern Hunde jeden Tag ihre Dose kriegen, und in diesem Dosenfutter ist Kieselerde. Da ist alles drin, damit sie ein schönes Fell haben. Drum ess ich jetzt auch Kieselerde, weil ich mir gedacht habe, was die Dosenfutterhunde können, das kann ich auch. Ausserdem nehm ich noch diese Pillen aus zwanzigfach konzentriertem Kürbis gegen Inkontinenz. Die ess ich seit zwei Monaten, und das hilft wirklich. So, jetzt wissen Sie alles.»
Möge es in seinem Jenseits Kieselerde, Kürbiskonzentrat und ein paar Jeansboys geben. Und so viel Erdäpfelgulasch mit Eierlikör und Fructade, wie er nur haben will.
Ich habe die „Phettbergs Nette Leit Show“ immer geschaut und geliebt.
Ich hätte ihm noch eine letzte Mahlzeit gegönnt.