Die vier Tiger, die sich am Berliner Maxim-Gorki-Theater in einem Gehege räkeln, hätten am Dienstagabend Menschen fressen sollen – zumindest wurde das so von einer Künstlergruppe angekündigt. «Flüchtlinge fressen – Not und Spiele», unter diesem Titel lief die jüngste Aktion des vom Schweizer Aktionskünstler Philipp Ruch gegründeten «Zentrums für Politische Schönheit».
Medienwirksam hatte die Künstlergruppe ein Flugzeug gechartert, mit dem 100 syrische Flüchtlinge von der Türkei nach Deutschland gebracht werden sollten. Nun werden Fluggesellschaften aber gemäss einer EU-Richtlinie mit massiven Geldbussen bestraft, wenn sie Menschen ohne gültige Visa in die EU befördern. Wenn dieser Paragraf nicht abgeschafft oder sonst eine Ausnahmeerlaubnis erteilt werde, so das «Zentrum», werde man eben einige Flüchtlinge von den Tigern zerfleischen lassen.
Das blutige Spektakel sollte darauf hinweisen, dass es auf dem Mittelmeer zu und her gehe wie bei den blutigen Brot-und-Spiele-Kämpfen im Alten Rom, sagte Ruch.
Tatsächlich hatten sich bereits zwölf Flüchtlinge freiwillig zum Gefressenwerden gemeldet. Doch aus dem blutigen Spektakel – das selbstredend niemals wirklich hätte stattfinden können – wird nichts. Der Sonderflug mit den Flüchtlingen fällt aus – die Fluggesellschaft Air Berlin hat den Vertrag zur Beförderung der Flüchtlinge am Dienstagmorgen gekündigt. Nach Vertragsabschluss seien «wesentliche Aspekte der Beförderung» bekannt geworden. Für einen grossen Teil der Passagiere liege keine Einreiseberechtigung vor. Darüber sei Air Berlin im Unklaren gelassen worden. «Damit ist das Vertrauensverhältnis zum Vertragspartner nachhaltig erschüttert», erklärte das Unternehmen.
Gleichwohl lief der Countdown zum grossen Fressen weiter – und am Dienstagabend dann auch ab. Aber niemand wurde den Tigern zum Frass vorgeworfen. Stattdessen trat die syrische Schauspielerin May Skaf vor das Publikum und verlas einen «Brief der Tiger an die menschliche Bevölkerung», in dem diese erklären, sie würden «nicht Teil eurer Logik des Tötens sein»:
Die Aktion des «Zentrums für Politische Schönheit» stiess nicht nur auf Zuspruch: Kritiker warfen der Künstlergruppe Zynismus und Menschenverachtung vor. Schon letztes Jahr war dieser Vorwurf laut geworden, als die Gruppe unter dem Motto «Die Toten kommen» zunächst im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge exhumieren und auf einem Berliner Friedhof erneut beisetzen liess und wenige Tage später auf dem Rasen vor dem Bundestag 100 symbolische Gräber aushob.
Auch in der Schweiz ist das «Zentrum für Politische Schönheit» aktiv. Mehrfach hat es den SVP-Nationalrat und «Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel ins Visier genommen: 2015 sorgte die Aktion «Tötet Roger Köppel» für Empörung, und auch das Aktionstheater «Schweiz Entköppeln» im Frühjahr 2016 erschien vielen Beobachtern schlicht als primitive Provokation. (dhr/sda/Reuters)