International
Leben

Elektrische Einräder: «Der Mensch ist dafür gemacht, sich so zu bewegen.

August Hill (l.) und Paul Engle (r.) fahren seit Jahren elektrische Einräder. Als Influencer leben sie mittlerweile vom EUC-Fahren.
August Hill (l.) und Paul Engle (r.) fahren seit Jahren elektrische Einräder. Als Influencer leben sie mittlerweile vom EUC-Fahren.bild: thedanellygroup
Interview

Elektrische Einräder erobern US-Städte: «Der Mensch ist dafür gemacht, sich so zu bewegen»

16.07.2022, 17:13
Mehr «International»

Sie benötigen kaum Platz im Verkehr, sind aber bis zu 90 km/h schnell – und in der Schweiz in der Form verboten: «Electric Unicycles» (EUCs), elektrische Einräder oder auch Monoräder. Die futuristischen Fortbewegungsmittel verfügen über einen elektrischen Antrieb, eine Batterie und Stabilisatoren. Und sie tauchen immer öfter auf amerikanischen Strassen auf.

High-End EUCs erreichen Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 90 km/h und verfügen über Motoren mit 3,6 kW Leistung (5 PS).
High-End EUCs erreichen Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 90 km/h und verfügen über Motoren mit 3,6 kW Leistung (5 PS). bild: thedanellygroup

So jung das Phänomen noch ist, hat es bereits seine Stars: August Hill (33) aus New York und Paul Engle (42) aus Charlotte sind Profi-EUC-Fahrer und verdienen als Influencer ihren Lebensunterhalt mit den elektrischen Einrädern. Wir haben mit den beiden Herren gesprochen.

True2one In Action

Video: watson

Wie kommt man darauf, mit einem Einrad durch die Stadt zu düsen?
Hill:
Ich begann 2017. Ich lebe in New York City. Der Verkehr bewegt sich hier, man kann es nicht anders sagen, aggressiv langsam. Alles ist verstopft. Ich verlor in meiner Jugend so viel Zeit. Eines Tages war der Punkt erreicht, an dem ich mich nach einer besseren, schnelleren Alternative umsehen musste. Da schoss an der 34. Strasse dieses Ding an mir vorbei. Es fuhr vielleicht nur 25 km/h, aber in diesem Verkehr wirkte es enorm schnell. Nie zuvor hatte ich etwas Ähnliches gesehen. Der Fahrer schien durch die Strasse zu schweben. Als er näher kam, sah ich das elektrische Einrad und damit war es um mich geschehen. Zwei Wochen später kaufte ich mein erstes EUC. Es war zwar nur ein Spielzeug im Vergleich zu dem, was wir heute fahren, aber es war ein Anfang. Nach drei Tagen üben beherrschte ich das Teil.
Engle: Meine Geschichte ist ein wenig weniger organisch. Ich hütete aufgrund eines verletzten Knies die Couch und surfte durch YouTube. Da sah ich ein Video aus New York mit EUC-Fahrern und ich war wie vom Blitz getroffen. Ich recherchierte und noch bevor ich wieder gehen konnte, hatte ich eins gekauft. Bis ich dann endlich damit fahren konnte, vergingen noch ein paar Monate. Seither bin ich an jedem einzelnen Tag gefahren.

Aber es sieht schon sehr gefährlich aus.
August Hill: Wir raten Anfängern dringend, sich vom Verkehr fernzuhalten. Am Anfang waren solche Fahrten auch für mich richtig stressig, aber ich lernte, meinen Instinkten zu vertrauen, und jetzt bin ich zwischen den Autos wie der Schiffshalter-Fisch unter den Haien. Kennen Sie den? Ich spüre die Bewegungen der Autos, ihre Pufferzonen, und gehe mit ihnen mit.
Paul Engle: So gondeln wir von einer Lücke zur nächsten, ein wenig wie Boote. Aber wir befolgen ziemlich strikte Sicherheitsregeln und tauschen unsere Erfahrungen diesbezüglich regelmässig aus.
Hill: Dennoch fliesst Adrenalin. Es ist mehr als einfach nur eine Fahrt auf der Achterbahn.

Reden wir über Stürze und Verletzungen?
Hill: Ich hab eigentlich nie was. Wenn ich falle, dann nur, wenn ich einen neuen Trick probiere.
Engle: Ich hatte bisher nie was – mit einer Ausnahme: Ich versuchte fahrend Fotos zu machen, bei Schritttempo. Dabei fiel etwas aus meinem Rucksack, verhedderte sich im Rad und blockierte. Schon lag ich am Boden – mit einem gebrochenen Handgelenk. Das war das Schlimmste, was mir bisher passierte. Ich würde das aber nicht als Fahrunfall werten, eher so wie Ausrutschen im Badezimmer.

Da nimmt mich als Schweizer natürlich sofort wunder, wie gut ihr versichert seid.
Engle:
Wir sind gut versichert.

Echt jetzt?
Hill: Auf diesem Level wäre es dumm, nicht versichert zu sein.
Engle: Ja, unsere Geräte sind versichert, aber auch durch uns verursachte Schäden an Fremdeigentum. Es gibt hier eine Versicherung, die das macht.

Wie unamerikanisch!
Engle: Wir sind ohnehin keine Superamerikaner. Das sieht man nur schon daran, dass unsere Geräte keine Verbrennermotoren haben – und keine Ladeflächen.

Engle und Hill pflügen sich durch eine Motorrad-Kolonne

Die komplizierte Rechtslage in der Schweiz

Laut Auskunft des Bundesamtes für Strassen (ASTRA) gehören EUCs in der Schweiz in die Kategorie der «selbstbalancierenden Fahrzeuge» – wie sogenannte Stehroller (Bsp. Segway). Ihre Leistung darf diejenige eines «Leichtmotorfahrrads» nicht überschreiten. Die maximale Geschwindigkeit ist auf 20 km/h beschränkt. Einsteiger-EUCs sind in der Schweiz also erlaubt, nicht aber die schweren Geräte.

Hier sind nur Geräte bis 20 km/h und maximal 1kW Leistung erlaubt. Deshalb werde ich wohl nie erfahren, wie das Gefühl ist, mit einem «anständigen» EUC zu fahren.
Hill:
Das ist schade. Die Verbindung zum Fahrzeug ist bei einem EUC wirklich speziell – intensiver als bei jedem anderen Gerät. Es ist, als wäre man damit verbunden, als wären wir Menschen dafür gemacht, uns so zu bewegen. So viel Freiheiten wie mit einem EUC hast du sonst nirgends.
Engle: Das Fahrgefühl ist zwischen Skifahren, Snowboarden und Surfen, es ist ein Gleiten, ein Schweben, wie August es gesagt hat: Man wird eins mit dem Gefährt, die Bewegungen fühlen sich absolut natürlich an – es ist 100 Prozent intuitiv.

Wie ist der Bremsweg?
Hill:
Der Bremsweg hängt extrem stark vom Fahrer ab. Unerfahrene Fahrer tendieren dazu, zu schnell, zu stark zu bremsen. Die Technik dabei ist, nicht nur nach hinten zu lehnen, sondern sich gleichzeitig auch zur Seite zu drehen. Ähnlich wie bei einem Hockey-Stopp, einfach ohne dabei zu rutschen.
Engle: Ich schätze, wir haben ungefähr denselben Bremsweg wie ein Fahrrad mit dem Unterschied, dass wir uns im Extremfall auch zur Seite bewegen können. Ein guter Fahrer wird nicht einfach nur versuchen, so hart wie möglich zu bremsen, er wird weiterhin nach Lücken Ausschau halten und versuchen, kontrolliert auszuweichen.

Paul Engle fährt unter dem Kosenamen «Elektric Airbender»
Paul Engle fährt unter dem Kosenamen «Elektric Airbender»bild: thedanellygroup

Und jetzt habt ihr euch zu einer Art Team zusammengetan?
Hill
: Korrekt! Wir fahren unter dem Label True2One.

Was muss man sich darunter vorstellen?
Hill:
True2One will eine Gemeinschaft von Fahrerinnen und Fahrern aufbauen, wir wollen mit positiven Vibes motivieren, mit Tipps und Ratschlägen helfen. Wir wollen versuchen, jeden Tag ein Stückchen besser zu werden, zu inspirieren und am Ende etwas dazu beizutragen, dass der Verkehr etwas grüner wird. Wir haben mittlerweile Ortsgruppen auf der ganzen Welt.
Engle: Bei True2One geht es nicht nur um das, was man bei Instagram sieht – es ist nicht einfach nur konsumorientiert. Wir versuchen jeden Tag unser Bestes zu geben. Unser Motto lautet: «Besser, jeden Tag».

Ich bin beruhigt. Das ist nun wieder sehr amerikanisch – auf eine gute Art und Weise selbstverständlich.
Hill [lacht]:
Danke, dass Sie das noch klargestellt haben! Aber Amerika verändert sich. Vielleicht müssen wir ja bald zu euch fliehen.

Wie reagieren die Leute, wenn sie euch sehen?
Hill:
Fantastisch. Man kann den Leuten das Staunen förmlich ansehen. Die Leute lieben es – auch die Polizei. Wir kriegen eigentlich nur positive Reaktionen und das tut der Seele enorm gut.
Engle: Das tut es wirklich. Manchmal feuern uns die Leute am Strassenrand an, Schulkinder wollen Fotos mit uns schiessen, manchmal auch alte Damen. Das Feedback ist wirklich enorm aufbauend.

Sogar die Rückmeldungen der Polizei sind positiv?
Engle:
Von der Polizei vor allem. Mich haben sie schon rausgewunken, nur um zu fragen, wo man so ein Teil kaufen kann.
Hill: Polizisten sind auch nur Menschen. Auch sie lassen sich verzücken. In all meinen Jahren als EUC-Fahrer hatte ich nie auch nur das kleinste Problem mit der Polizei.

Ihr tut also nicht illegales?
August: Es ist eine Grauzone. Die Regulierungen sind ungefähr wie diejenigen für Scooter.

Es gibt Videos mit EUC-Fahrern auf Highways …
Hill: Wir haben auch zwei Fahrer, die regelmässig auf Highways unterwegs sind. Die sind sich solche Fahrten gewohnt und bewältigen sie ohne Probleme. Es ist die schnellste Art, vorwärtszukommen. Paul und ich befahren Highways nur für sehr kurze Strecken …
Engle: … vielleicht drei, vier Kilometer, von einer Ausfahrt zur anderen. Zum Glück schaffen unsere Geräte diese Geschwindigkeiten. Aber wir entfalten unsere Wirkung eher in einem urbanen Setting.

Mir graut nur schon vom Gedanken daran, mit 90 km/h auf einem Einrad zu sitzen.
Engle:
Stehend wird der Gegenwind ab 55 km/h ungemütlich. Deshalb empfiehlt es sich, bei höheren Geschwindigkeiten zu sitzen. Man ist so auch aerodynamischer und belastet den Motor und die Batterie weniger.

Da fällt mir zum Schluss noch ein, Herr Hill, Sie tragen nicht immer einen Helm.
Engle:
Ich sags ihm immer wieder!
Hill: Ich trage zu 98 Prozent einen Helm. An den verbleibenden zwei Prozent werde ich arbeiten.

Ehrenwort!

August Hill kann man hier auf Instagram folgen.

Paul Engle ist ebenfalls auf Instagram aktiv.

Bei «Layla» drehen die Deutschen durch

Video: watson
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Lilium präsentiert neues Elektro-Flugtaxi bei erfolgreichem Erstflug
1 / 16
Lilium präsentiert neues Elektro-Flugtaxi bei erfolgreichem Erstflug
Das deutsche Startup Lilium entwickelt einen Flugtaxi-Dienst. Der Prototyp des Elektro-Jets ist Anfang Mai 2019 zum ersten Mal abgehoben.
Auf Facebook teilenAuf X teilen
«Es wird mir schlecht» – Toggi und Baroni im Polestar-Testdrive
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
70 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Tepalus
16.07.2022 18:10registriert Oktober 2016
Wären wir dafür gemacht, mit 90 km/h die Kontrolle zu behalten, bräuchten wir diese Dinger nicht.

Riecht reichlich nach nicht markierter Gratis-Werbung für ein Produkt und dessen Influencer.
15512
Melden
Zum Kommentar
avatar
E.H.Rlech
16.07.2022 18:14registriert Mai 2022
Bin gerade in Vancouver, die Dinger sehen verdammt gefährlich aus. Sie sind wahnsinnig schnell und man sieht sie nie kommen
1112
Melden
Zum Kommentar
avatar
Typu
16.07.2022 18:07registriert Oktober 2015
Sieht doof aus. Tiefliegend und für übrige verkehrsteilnehmer schwierig zu erkennen. Ungeschützt. Sorry nix für mich.
1088
Melden
Zum Kommentar
70
Bilder aus dem Palast – so luxuriös lebte Baschar al-Assad
Der syrische Diktator Baschar al-Assad hat Syrien verlassen. Nun tauchen Videos aus seinem Palast auf. Sie zeigen, wie luxuriös der ehemalige Machthaber gelebt hat.

Nachdem sich am Sonntag Rebellen der Haiat Tahrir al-Scham Miliz Zugang zum Palast von Baschar al-Assad verschafft hatten, trauen sich immer mehr Damaszenerinnen und Damaszener in die Residenz. Darin befinden sich nebst unzähligen Gemälden und Postern mit Baschar al-Assads Konterfei – jetzt alle heruntergerissen und auf dem Marmorboden verteilt – massenweise Luxuswaren. Menschen tragen sowohl Möbel als auch Louis-Vuitton-Taschen nach draussen.

Zur Story