Das libanesische Parlament hat Generalstabschef Joseph Aoun zum neuen Präsidenten des Landes gewählt. Aoun erhielt in einer zweiten Abstimmung 99 Stimmen und erreichte damit die erforderliche Mehrheit.
Aoun ist als Armeechef derzeit auch dafür zuständig, die im November vereinbarte Waffenruhe zwischen der mit dem Regime in Iran verbündeten Hisbollah-Miliz und Israel zu überwachen. Beobachter sehen in seiner Wahl eine Chance für einen politischen Neustart im Land, um ein mehr als zwei Jahre andauerndes politisches Machtvakuum zu beenden.
Eine verheerende Wirtschaftskrise, politisches Machtvakuum, massive Korruption und zuletzt der Krieg der Hisbollah mit Israel: Lange Zeit sah es nicht gut aus für den Libanon. Nun stehen die Zeichen zum ersten Mal seit langem wieder auf Hoffnung
«Heute hat eine neue Phase in der Geschichte des Libanon begonnen», sagte Aoun in seiner Antrittsrede im Parlament. «Wir werden in die Armee investieren, um die Grenzen zu sichern, den Terrorismus zu bekämpfen, internationale Resolutionen umzusetzen und um israelische Angriffe zu verhindern», sagte er. Er betonte, es werde keine Immunität für Kriminelle und Korruption geben.
Der Krieg zwischen der Hisbollah und Israel im vergangenen Jahr hatte den Libanon zuletzt weiter in die Krise gestürzt. Mit der Einigung auf Aoun wird auch der Weg für internationale Hilfe zum Wiederaufbau geebnet. Die USA, Saudi-Arabien und Frankreich hatten dies immer wieder zur Bedingung gemacht.
Eine erste Abstimmung am Morgen hatte noch kein Ergebnis gebracht. Die Hisbollah und die mit ihr verbündete Amal-Bewegung stimmten im ersten Wahlgang noch nicht für Aoun. Nach einer Pause zur Beratung gaben sie dem Armeechef in der zweiten Runde ihre Stimmen.
Der israelische Aussenminister Gideon Sa'ar hat dem libanesischen Generalstabschef Joseph Aoun zu dessen Wahl zum neuen Präsidenten des Landes gratuliert.
«Ich hoffe, dass diese Wahl zu Stabilität, einer besseren Zukunft für den Libanon und sein Volk sowie zu gutnachbarlichen Beziehungen beitragen wird», schrieb Sa'ar auf der Plattform X.
I congratulate Lebanon upon the election of a new President, following a lengthy political crisis. I hope that this choice will contribute towards stability, a better future for Lebanon and its people and to good neighborly relations.
— Gideon Sa'ar | גדעון סער (@gidonsaar) January 9, 2025
Auf den Strassen Beiruts wurden Süssigkeiten verteilt. Die ersten Bilder mit dem Gesicht des neu ernannten Staatsoberhaupts zierten schon wenig später die Strassen der Hauptstadt. Im Land gibt es insgesamt 18 offiziell anerkannte religiöse Konfessionen. Der Grossteil der Menschen sind schiitische und sunnitische Muslime, danach kommen Christen.
Die Wahl Aouns weckt Hoffnung auf einen politischen Neustart in dem konfessionell stark gespaltenen Land. «Ich musste mich selbst kneifen, als sie das Ergebnis verkündeten», sagte eine Bewohnerin Beiruts der Deutschen Presse-Agentur. Ein anderer sagte: «Ich habe seine Rede im Parlament verfolgt und habe das Gefühl, der Libanon wird zu neuem Leben erweckt.» Aoun sei die Zukunft des Libanons, sagte ein anderer.
Es war der 13. Anlauf des Parlaments zur Wahl eines Präsidenten. Das kleine Mittelmeerland ist seit mehr als zwei Jahren ohne Staatschef, nachdem Michel Aoun – nicht verwandt mit Armeechef Aoun – Ende Oktober 2022 planmässig aus dem Amt geschieden war. Seitdem wurde das Land mit rund sechs Millionen Einwohnern von Ministerpräsident Nadschib Mikati geschäftsführend geleitet. Die aktuelle Regierung ist nur eingeschränkt handlungsfähig. Die Wahl eines Präsidenten scheiterte immer wieder an Machtkämpfen innerhalb der politischen Elite.
Bis zuletzt war nicht klar, ob sich die politischen Blöcke auf einen Kandidaten verständigen würden. Die Einigung auf Joseph Aoun sei nun der Versuch, alle unter der Armee zu vereinen, sagte ein Regierungsvertreter der Deutschen Presse-Agentur.
Joseph Aoun, der am Freitag 61 Jahre alt wird, stammt aus einer Familie maronitischer Christen aus einem Vorort östlich von Beirut. Während der israelischen Besatzung im Libanon in den 1980er Jahren begann er eine Laufbahn an der Militärakademie. Er wurde später zum General und 2017 zum Kommandeur der Streitkräfte ernannt. Er hat unter anderem Politikwissenschaft und internationale Beziehungen studiert, hatte aber bisher kein politisches Amt inne. Aoun ist verheiratet und Vater zweier Kinder.
Der Libanon hat konfessionell eine grosse Vielfalt, und die Macht ist seit Jahrzehnten nach einem Proporz-System aufgeteilt. Der Präsident ist demnach immer ein maronitischer Christ, der Regierungschef ein Sunnit und der Parlamentspräsident ein Schiit. Eine besonders einflussreiche Rolle spielte dabei bisher auch die mit dem Regime in Iran verbündete Hisbollah. Diese hatte bis zuletzt ihren Wunschkandidaten Suleiman Frangieh unterstützt. Frangieh kündigte am Mittwochabend an, seine Kandidatur zurückzuziehen.
Die überraschende Einigung auf Aoun ist ein Zeichen, dass der politische Einfluss der Hisbollah im Land sinkt. Sie ist nach dem Krieg mit Israel, in dem unter anderem ihr Chef Hassan Nasrallah getötet wurde, und dem Umsturz in Syrien stark geschwächt. Immer wieder hat sie Kandidaten für das Amt des Präsidenten wie auch des Regierungschefs blockiert und damit den Eindruck entstehen lassen, dass sie die Wahl der beiden wichtigsten Ämter im Land diktieren kann.
(rbu/hkl/sda/dpa)