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Die Polen sind ein stolzes Volk, aber auch ein leidgeprüftes. Im 19. Jahrhundert wurde ihr Staat faktisch von der Landkarte getilgt. Im 20. Jahrhundert erlitten sie den Terror der Nazi-Besatzung und danach vier Jahrzehnte unter kommunistischer Herrschaft. Den letzten Schicksalsschlag erlebte Polen vor sechs Jahren, am 10. April 2010: Beim Absturz einer Regierungsmaschine, die sich im Anflug auf die russische Stadt Smolensk befand, kamen alle 96 Insassen ums Leben.
Unter den Opfern befanden sich zahlreiche Angehörige der polnischen Elite, darunter Regierungsmitglieder und Parlamentarier, hohe Militärs, der Notenbankchef sowie der damalige Staatspräsident Lech Kaczynski und seine Frau Maria. Eine russische und eine polnische Kommission kamen unabhängig voneinander zum Schluss, dass ein Pilotenfehler zum Absturz geführt hatte. Zum fraglichen Zeitpunkt lag Nebel über dem Flughafen von Smolensk.
Einer hat diese Version nie akzeptiert: Lech Kaczynskis Zwillingsbruder Jaroslaw. Er ist heute als Chef der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) der starke Mann in Polen. Er vermutet eine Explosion an Bord des Flugzeugs. Nach dem Wahlsieg der PiS im letzten November ordnete Kaczynski an, den Fall wieder aufzurollen. Nun sollen die Leichen exhumiert werden, um zu ermitteln, ob sie einer Explosion zum Opfer fielen, teilte die Staatsanwaltschaft am Dienstag mit.
Die neuen Untersuchungen könnten die
ohnehin gestörten Beziehungen zwischen Polen und Russland weiter
belasten. Die PiS hat Russland zwar nie direkt vorgeworfen, für den
Absturz und den Tod des damaligen polnischen Präsidenten
verantwortlich zu sein. Russland habe aber davon profitiert, lautet
die Position der nationalkonservativen Partei. Ausserdem warfen
PiS-Funktionäre Russland vor, die Ermittlungen zu verzögern und den
Polen Beweisstücke vorzuenthalten.
Für böses Blut sorgte etwa die Andeutung im russischen Bericht, der polnische Luftwaffenchef habe die Piloten der Unglücksmaschine dazu gedrängt, trotz der schlechten Sicht in Smolensk zu landen. Die Delegation flog damals nach Russland, um den 70. Jahrestag des Massakers von Katyn zu begehen. Rund 22'000 polnische Offiziere und Intellektuelle wurden im April und Mai 1940 auf Anordnung von Sowjetdiktator Josef Stalin getötet. Jahrzehntelang hatte die Sowjetunion Nazi-Deutschland für das Massaker an den Polen verantwortlich gemacht.
Im Visier der neuen Ermittlungen ist auch die rechtsliberale Vorgängerregierung. Jaroslaw Kaczynski hat den damaligen Ministerpräsidenten und heutigen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk indirekt für den Absturz mitverantwortlich gemacht. Er fühlt sich durch ein Gerichtsurteil vom Dienstag bestätigt. Der damals für den Personenschutz zuständige General wurde verurteilt, weil er bei der Vorbereitung der Reise seine Pflichten nicht ausreichend erfüllt habe.
Der Flughafen von Smolensk hätte überhaupt nicht als Landeort in Betracht gezogen werden dürfen, meinte das Gericht. Gleichzeitig wies es die Anschlagsthese zurück. Kaczyinski reagierte dennoch zufrieden: «Ich hoffe, es wird noch weitere Urteile geben.» (pbl/sda)