Chaos bei Gaza-Hilfsflottille: Streit, Rassismus und Intrigen
Christoph Kolumbus benötigte 35 Tage, um von den Kanaren aus durch unerforschte Gewässer in der Neuen Welt zu landen. Die Gaza-Hilfsflottille ist bereits seit 23 Tagen im wohlbekannten Mittelmeer unterwegs und immer noch ein ziemliches Stück von ihrem Ziel entfernt. Nach dem von einem angeblichen Drohnenangriff überschatteten Aufenthalt in Tunis und einem Reparaturstopp auf Sizilien rechnen die rund 40 Schiffe noch mit weiteren 5 Tagen Seereise, bis sie die «Hoch-Risiko-Zone» vor der Küste Gazas erreichen.
Doch die nautische Schleichfahrt ist nicht das einzige Problem der Pro-Palästina-Aktivisten. Inzwischen hängt, wie verschiedene Medien berichten, an Bord der Haussegen schief. Im Fokus steht dabei auch Greta Thunberg, die wohl bekannteste Schiffsgefährtin der Flotte. Wie die linke italienische Tageszeitung «Il Manifesto» zuerst berichtete, quittierte die junge Schwedin ihre Mitarbeit im Leitungsgremium der Global Sumud Flotilla (GSF) und setzte vom zentralen «Familienboot» auf ein Nebenschiff über.
Thunbergs Abgang wurde mit dem Umstand begründet, die eigene Führung kommuniziere zu viel über interne Probleme und zu wenig über den «Genozid in Palästina». Sie wolle zwar weiterhin als Aktivistin an Bord wirken, sehe ihre Rolle jedoch nicht mehr im Steuerungskomitee. Auf Instagram postete Thunberg anschliessend ein Video, in dem sie eine Palästina-Flagge in den Fahrtwind hält: «Wir segeln für eine Welt frei von jeder Form von Rassismus und Unterdrückung», schrieb sie darunter.
Streit wegen homosexueller Mitreisenden
Dies darf – gewollt oder ungewollt – als Appell an die eigene Seite verstanden werden. Wie das französischsprachige Magazin «Le Courrier de l’Atlas» schrieb, ist der tunesische GSF-Koordinator Khaled Boujemâa aus Protest zurückgetreten. In Videos auf sozialen Medien beklagte er, über die Identität einzelner Teilnehmer, darunter der Aktivist Saif Ayadi, «belogen» worden zu sein. Auch die Aktivistin Mariem Meftah sowie der TV-Moderator Samir Elwafi sprachen von einer «roten Linie», die mit dem Auftreten queerer Aktivisten überschritten worden sei. Auf Facebook erklärte Meftah, «Homosexualität ist Privatsache», aber eine solche LGBTQ+-Agenda sei mit islamischen Überzeugungen unvereinbar und dürfe nicht mit der «palästinensischen Sache» vermischt werden.
Ein weiterer Abgang betrifft schliesslich den GSF-Sprecher Yusuf Omar, der die Flotte verlassen hat, um «der Sache in Gaza direkt zu dienen». Zuvor verteidigte Omar den Rauswurf einer italienischen Journalistin der Tageszeitung «La Stampa». Diese wollte sich in Catania auf Einladung hin der Gaza-Hilfsflotte anschliessen, sei aber von GSF-Aktivisten als «gefährliche Journalistin» beschimpft und regelrecht aus dem Hafen weggemobbt worden, wie die Rai berichtete. «Der Entscheid, gewisse Medien von den Schiffen zu entfernen, ist ein strategischer gewesen, um die Aufmerksamkeit von der Flotte auf den Genozid in Gaza umzuleiten», rechtfertigte Omar die Zensurmassnahme.
Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wurde doch Omar selbst zum Abgang gezwungen, weil sich laut «Il Manifesto» das Leitungsgremium über seine sensationalistische Kommunikation beim Drohnenzwischenfall in Tunis enervierte. Dort verkündete die Hilfsflotte am 8. September, von einer Drohne angegriffen worden zu sein und postete entsprechende Videos. Die tunesischen Behörden wiesen die Darstellung zurück und sprachen von einem Feuer an Bord, das von einer brennenden Rettungsweste und der möglichen Fehlmanipulation einer Signalrakete ausgegangen sei.
Was das eigentliche Ziel der Gaza-Hilfsflotte angeht, so hat das israelische Aussenministerium eine Warnung veröffentlicht: Israel werde den Schiffen nicht erlauben, die rechtmässige Seeblockade vor Gaza zu durchbrechen und die Kampfzone zu betreten. Sollte der Wunsch nach Hilfestellung genuin sein, anstatt bloss «der Hamas zu dienen», werden die Sumud-Schiffe dazu aufgerufen, ihre Güter im Hafen von Aschkelon zu entladen, von wo aus Israel diese «umgehend» in den Gaza-Streifen bringen würde.