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Blockade von Schweden und Finnland: Könnte die Nato Erdoğan rauswerfen?

Blockade von Schweden und Finnland: Könnte die Nato Erdoğan rauswerfen?

29 Nato-Staaten sind dafür, nur die Türkei stellt sich quer: Präsident Erdoğan blockiert den Nato-Beitritt von Schweden und Finnland, um eigene politische Ziele zu erreichen. Muss das Militärbündnis sich das gefallen lassen?
19.05.2022, 13:5704.04.2023, 09:23
Patrick Diekmann / t-online
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epa09954928 A handout photo made available by the Turkish President?s Press Office shows Turkish President and leader of the Justice and Development Party (AKP) Recep Tayyip Erdogan (C) receiving an a ...
Recep Tayyip ErdoğanBild: keystone
Ein Artikel von
t-online

Die sicherheitspolitische Lage ist kritisch:  Russland führt in der Ukraine einen blutigen Angriffskrieg und der russische Präsident Wladimir Putin greift mit seiner Invasion auch die aktuelle Weltordnung an. Es gibt also Gründe genug, warum die Nato geschlossen auf diese Bedrohungen reagieren muss. 

Diese Geschlossenheit bekommt nun erste Risse. Die Türkei blockiert als einziges Nato-Mitglied die Aufnahme von Finnland und Schweden. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat mit der Nato-Norderweiterung plötzlich ein Druckmittel, mit dem er die Militärallianz erpressen kann, um eigene politische Ziele zu erreichen.

In der aktuellen Krise wächst im Westen deshalb die Wut auf den türkischen Präsidenten – schliesslich reiht sich der Konflikt in zahlreiche Streitigkeiten ein, die es in den vergangenen Jahren zwischen der Türkei und dem Rest der Nato gab.

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Aber hat die grosse Mehrheit der Nato-Staaten eine Möglichkeit, Erdoğans Blockade zu umgehen? Kann sie im Notfall die Türkei sogar aus dem Bündnis werfen?

Die klare Antwort lautet: Nein. Der Nordatlantik-Vertrag sieht den Rauswurf eines Mitgliedsstaates nicht vor, Nato-Mitglieder können sich nur freiwillig aus dem Bündnis zurückziehen. 

«Nach zwanzigjähriger Geltungsdauer des Vertrags kann jede Partei aus dem Vertrag ausscheiden, und zwar ein Jahr, nachdem sie der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika die Kündigung mitgeteilt hat; diese unterrichtet die Regierungen der anderen Parteien von der Hinterlegung jeder Kündigungsmitteilung.» (Nordatlantik-Vertrag, Artikel 13)

Die Folge: Der Rest der Nato wird der Türkei einen hohen Preis für die Aufnahme von Finnland und Schweden zahlen müssen. Und das, obwohl die beiden skandinavischen Länder das Militärbündnis stärken würden.

Erdoğan weiss aber auch, dass die Bedrohung durch Putin so gross ist, dass er den Preis für seine Zustimmung in die Höhe treiben kann – und die westlichen Nato-Partner ihn wahrscheinlich bezahlen werden.

Erdoğan hat alle Trümpfe in der Hand

Mitunter hätte die Nato mit diesem Konflikt rechnen müssen. Warum sollte Erdoğan der Aufnahme von zwei Ländern zustimmen, die teilweise Sanktionen gegen die Türkei verhängt haben?

Dass diese Sanktionen wahrscheinlich verschwinden müssen und dass die USA über die Wiederaufnahme der Türkei in das F-35-Programm nachdenken müssen, sind keine Überraschungen. Das Land wurde vom Kauf der amerikanischen Kampfjets ausgeschlossen, nachdem Erdoğan im Jahr 2019 S-400-Flugabwehrsysteme von Russland gekauft hatte.

Aber die türkische Regierung fordert noch mehr , und das ist vor allem ein Signal an die eigene Bevölkerung. Erdoğan will sich vom Westen nichts gefallen lassen, das kommt in seinen konservativen Wählerschichten besonders gut an und ist für den angeschlagenen Präsidenten ein Jahr vor der nächsten Wahl wichtig.

Ausserdem möchte Ankara eher als Vermittler zwischen dem Westen und Putin auftreten, schliesslich braucht die Türkei Rohstoffe aus Russland. Deshalb ist Erdoğans Erpressungsversuch auch eine Botschaft an Moskau.

Die Staats- und Regierungschefs vieler Nato-Mitglieder reagieren bisher eher nüchtern auf die Blockade. Das hat mehrere Gründe: Einerseits ist die Türkei mit ihrer Anbindung zum Mittelmeer und zum Schwarzen Meer geostrategisch sehr wichtig. Andererseits unterhält sie nach den USA die zweitgrösste Armee der Nato. Es möchte dementsprechend auch niemand, dass die Türkei die Nato verlässt. Erdoğan hat alle Trümpfe in der Hand. 

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Die Geschichte der Nato
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Die Geschichte der Nato
1949: In Washington wird am 4. April der Nordatlantikvertrag unterzeichnet. Das Bündnis hat anfangs zwölf Mitglieder: Belgien, Dänemark, Frankreich, Grossbritannien, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Portugal und die USA.
quelle: epa/u.s. national archives / u.s. national archives and records administration / handout
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213 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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jon_caduff
19.05.2022 14:11registriert Dezember 2020
Die Türkei ist aber auch ein Beitrittskandidat für die EU, und sowohl Schweden als auch Finnland werden dereinst jedes Beitrittsgesuch von Seiten der Türkei blocken. Der Schuss kann also für die Türkei - wenn auch nicht in näherer Zukunft - nach hinten losgehen.
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Fanfj
19.05.2022 14:22registriert Dezember 2020
Die Türkei führt selbst einen Angriffskrieg gegen Kurdistan...Seltsam das das den meisten Menschen egal ist...
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Hans Jürg
19.05.2022 14:48registriert Januar 2015
Wenn sich die Türkei quer legt, dann können sich die anderen Staaten auch querlegen, wenn es z.B. um Visa- oder Arbeitsbewilligungen für Türken geht. Auch Wirtschaftshilfenezahlungen können beendet werden. Man kann das Land isolieren und und und.

Es gibt viele Möglichkeiten, die Türkei zu piesaken, wenn man denn nur will.
20012
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