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Polen: Staatskrise droht – Verurteilte flüchten in den Präsidentenpalast

Polen droht eine Krise: PiS-Politiker fliehen in Präsidentenpalast und werden festgenommen

09.01.2024, 21:0009.01.2024, 21:33
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Eigentlich hätten Polens ehemaliger Innenminister Mariusz Kaminski und sein früherer Staatssekretär Maciej Wasik am Dienstag ihre zweijährige Haftstrafe antreten müssen. Doch als Polizeibeamte ihre Wohnungen durchsuchten, stiessen sie ins Leere: Die beiden rechtskräftig wegen Amtsmissbrauchs verurteilten Abgeordneten der abgelösten Regierungspartei PiS waren ausgeflogen.

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Der ehemalige polnische Innenminister Mariusz Kaminski.Bild: keystone

Wenig später erfuhren die erstaunten Polen durch einen Post des Präsidialamts auf der Plattform X, wo sich die Gesuchten aufhielten: bei einem Empfang des Staatsoberhaupts Andrzej Duda im Präsidentenpalast. Dort blieben sie mehrere Stunden – erst am Abend wurden sie schliesslich festgenommen, wie die Polizei in Warschau auf X mitteilte.

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Der polnische Präsidentenpalast in Warschau.Bild: keystone

Was anmutet wie eine Posse, ist in Wahrheit die Zuspitzung eines Konflikts zwischen dem neuen und dem alten Regierungslager in Polen, der sich für das EU- und Nato-Land zu einer Staatskrise auswachsen könnte. Der Machtkampf zwischen der seit dem 15. Dezember amtierenden Mitte-Links-Regierung von Donald Tusk und der abgewählten nationalkonservativen PiS, aus deren Lager auch Präsident Duda stammt, ist eskaliert.

Eine eigentlich für Mittwoch geplante Parlamentssitzung wurde wegen der chaotischen Lage auf kommende Woche verschoben. Tusk drohte Duda und dem PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, sie würden wegen «Sabotage der Verfassung» zur Verantwortung gezogen.

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Da schien die Welt noch in Ordnung zu sein: Andrzej Duda (links) schüttelt Donald Tust nach dessen Wahl die Hand.Bild: keystone

Zwischenzeitlich sah es so auf, als hätten die per Haftbefehl gesuchten PiS-Abgeordneten im Palast von Präsident Duda Schutz gefunden. Am Nachmittag meldeten sich Kaminski und Wasik dort im Hof zu Wort. «Wir verstecken uns nicht. Im Moment sind wir bei Polens Präsidenten, bis das Böse verliert», sagte Kaminski. Wie lange sie dort bleiben wollten, sagte er nicht. Am Abend drang die Polizei auf das Gelände vor und nahm die Politiker fest. Nach polnischen Medienberichten soll Duda das Gebäude zuvor verlassen haben.

Duda begnadigte die Verurteilten vor mehreren Jahren

Der Fall der beiden PiS-Politiker hat eine lange Vorgeschichte. Im Jahr 2015, direkt nach der Machtübernahme der PiS, hatte Duda Kaminski und Wasik in einer umstrittenen Entscheidung begnadigt. Beide waren zuvor in erster Instanz wegen Amtsmissbrauchs zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Grund der Verurteilung war eine im Jahr 2007 aufgedeckte Affäre, bei der die damals von Kaminski geleitete Antikorruptionsbehörde gezielt einen Korruptionsfall inszeniert haben soll, um den damaligen Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper zu diskreditieren. Kaminski und Wasik gingen gegen das Urteil in Berufung.

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Mariusz Kaminski und Andrzej Duda im September 2023.Bild: keystone

Im vergangenen Juni hatte der Oberste Gerichtshof die Begnadigung Kaminskis und Wasiks durch den Präsidenten aufgehoben. Begnadigt werden könne nur, wer rechtskräftig verurteilt sei, hiess es in der Urteilsbegründung. Beide mussten sich erneut dem Verfahren stellen. Ende Dezember verurteilte sie das Warschauer Bezirksgericht zu zwei Jahren Haft. Das Gericht verfügte auch, dass beide PiS-Politiker für fünf Jahre kein öffentliches Amt bekleiden dürften und ihr Abgeordnetenmandat verlieren.

Duda hatte in den vergangenen Tagen mehrfach betont, dass nach seiner Auffassung die Begnadigung weiter gelte - die führenden Verfassungsrechtler in Polen sehen das anders. Beide Politiker hatten angekündigt, sie wollten ihr Abgeordnetenmandat weiter wahrnehmen und zu den Parlamentssitzungen erscheinen.

Tusks Appell

Am Nachmittag richtete ein sichtlich aufgewühlter Ministerpräsident Tusk klare Worte an Duda: «Herr Präsident, mein inständiger Appell zum Wohle des polnischen Staates: Sie müssen dieses Spektakel beenden. Es wird uns in eine sehr gefährliche Situation führen». Die Handlungen zielten auf die Fundamente des Staates.

Tusk zitierte mit Blick auf das Verhalten des Präsidenten auch aus dem polnischen Strafgesetzbuch: «Wer ein Strafverfahren dadurch behindert oder vereitelt, dass er einem Straftäter hilft, sich der strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen, (...) wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.» Und er warnte: Duda und der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski würden für ihr Treiben zur Verantwortung gezogen. Eine gewaltsame Festnahme von Kaminski und Wasik im Präsidentenpalast schloss Tusk aber eindeutig aus. (dab/sda/dpa)

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43 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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manuel0263
09.01.2024 21:32registriert Februar 2017
Populisten können die Macht einfach nicht abgeben. Unter speziellen Umständen werden sie demokratisch gewählt, um die Demokratie dann mit Füssen zu treten.
Wann endlich begreifen das die Wähler endlich? Für schwierige Probleme hat es keine einfachen Lösungen...sonst hätte man diese längst gefunden. Falsche Versprechungen kann jeder machen.
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James McNew
09.01.2024 22:11registriert Februar 2014
Unglaublich, was sich diese anti-demokratischen Rechtspopulisten wieder leisten. Etwas anderes als den persönlichen Vorteil interessiert diese Leute nicht, höchstens noch, den Gegner, „das Böse“, möglichst leiden zu sehen.

Erschreckender ist eigentlich nur noch, dass eine gewisse Partei, die sogar doppelt im Bundesrat vertreten ist, im grossen und ganzen ziemlich grossen Sympathien für solche Gesellen empfindet.
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FrancoL
09.01.2024 23:16registriert November 2015
Ein Lehrstück für jede und jeden der behauptet, dass Populisten ihre Macht nicht missbrauchen.
Aber ich bin sicher dass übermorgen dass schon wieder vergessen ist.
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