Die Weltraumagentur Esa will Europas Rolle in der Raumfahrt stärken. Auch die Politik stellt sich hinter Pläne für mehr Unabhängigkeit. Ein zentrales Thema wird nun von Fachleuten besprochen, die mit dem All nicht unbedingt vertraut sind.
Die Diskussion um einen autonomen Zugang Europas zum All nimmt Fahrt auf. Eine unabhängige Fachgruppe soll sich künftig mit der bemannten Weltraumforschung für Europa befassen und der Europäischen Weltraumagentur Esa und ihren Mitgliedsländern – darunter die Schweiz – im Herbst Bericht erstatten. Esa-Generaldirektor Josef Aschbacher freute sich über das Mandat zur Schaffung der Gruppe beim Weltraumgipfel im südfranzösischen Toulouse am Mittwoch. «Diese Entscheidung wird prägen, wie Europa im kommenden Jahrzehnt aussehen wird.»
Im Gegensatz zu anderen Grössen in der Raumfahrt hat Europa keinen autonomen Zugang zum Kosmos, kann also selbst keine Astronautinnen und Astronauten ins All schicken. Zwar gibt es in Kourou in Französisch-Guyana einen europäischen Weltraumbahnhof, doch fehlt es an einem europäischen Raumschiff für bemannte Flüge.
Die Esa-Astronauten fliegen derzeit bei der US-Weltraumagentur Nasa mit. In den vergangenen Jahren haben mit der Kommerzialisierung der Raumfahrt auch private Anbieter den Weg ins All möglich gemacht. Europa blieb dabei zurück. Laut Aschbacher kann Europa es sich aber nicht leisten, keinen autonomen Zugang zum All zu haben.
Ob es diesen letztlich geben wird, ist aber noch offen. Die Fachleute sollen nun beraten und dabei helfen, «die richtige Entscheidung zu treffen», wie Aschbacher sagte. Die Gruppe solle aus Experten aus allen Lebensbereichen bestehen, die meisten davon nicht aus der Raumfahrt. Auch etwa die Gebiete Kunst und Philosophie sollen in dem unabhängigen Gremium vertreten sein.
Die Unabhängigkeit Europas spielte auch bei weiteren strategischen Fragen in Toulouse eine entscheidende Rolle. Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, der den Sitzungen des Esa-Ministerrats und des informellen Treffens der EU-Minister in Toulouse vorsass, betonte die Bedeutung eines autonomen europäischen Netzes zum Internetempfang. Man wolle nicht von den USA oder China in diesem Bereich abhängig sein. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron nannte das All den «Schlüssel all unserer Unabhängigkeiten». Der Weltraum sei daher eine europäische Priorität.
Macron sagte auch, das All könne ein entscheidender Faktor sein, um CO2-Emissionen zu verringern. Ein Esa-Projekt zur gezielteren Nutzung von Erdbeobachtungsdaten zur Eindämmung des Klimawandels fand bei den Ministern Unterstützung. Langfristig soll das Vorhaben auch helfen, die Wirtschaft kohlenstoffärmer zu gestalten.
Die für Raumfahrt zuständigen Minister der Europäischen Union und die Esa berieten auch über den Schutz von Infrastruktur im All und die Kontrolle von Weltraumschrott. Le Maire sagte: «Das All ist weder ein Wilder Westen noch ein Mülleimer.»
Der Gipfel in Toulouse vereinte eine Tagung des Esa-Ministerrats und eine informelle Sitzung der zuständigen Minister der Europäischen Union. Macron betonte dabei die Notwendigkeit, eine gemeinsame europäische Weltraumstrategie zu schaffen. Laut Le Maire, wurde die europäische Ambition im All in Toulouse bestätigt. Auch die Esa schrieb von Entschlüssen, die Europa zu einer führenden Rolle in der Raumfahrt helfen sollen. Ein neuer Weltraumgipfel wird für 2023 anvisiert. (saw/sda/dpa)