Seit Stunden überlege ich mir, wie ich diesen Artikel beginnen soll. Die einfachste Option wäre wohl ein szenischer Einstieg. Dieser ist eigentlich auch keine Hexerei: Ich picke mir eine Szene heraus, schaue hin – und beschreibe sie.
Doch bei diesem Film über die Massentierhaltung fällt es mir schwer, überhaupt hinzuschauen, geschweige denn zu beschreiben. Doch die Augen vor der Realität zu verschliessen, ist falsch. Darum zwinge ich mich, hinzuschauen – fast zwei Stunden.
Mehrmals musste ich eine Pause einlegen. Manchmal konnte ich nicht anders, als die Augen zu schliessen.
Wegschauen, Augen und Ohren verschliessen wollte Samara Eckardt nicht. Die Tierschutzaktivistin lebt der Tiere wegen seit zehn Jahren vegan. Um sich ein eigenes Bild machen zu können, wie schlimm die Abläufe in der Massentierhaltung wirklich sind, arbeitete die Tierschutzaktivistin während fast drei Jahren in einem Schweineproduktionsbetrieb in Norddeutschland. «Es war mir ein Anliegen, aus erster Hand zu erfahren, was Menschen Tieren antun», sagt die 32-Jährige.
Jede Nacht plagten sie Alpträume. «Ich schämte mich, ein Mensch zu sein», so drastisch sagt sie das, obwohl sie über 400 Schweine aus der Massentierhaltung befreit habe. «Mein übergeordnetes Ziel ist es nicht, die Tiere zu retten, sondern etwas im System zu verändern, die Maschinerie zu stoppen.»
In Absprache mit dem Landwirt dokumentiert Eckardt gemeinsam mit dem Umweltschützer und Filmemacher Robert Marc Lehmann, was den Menschen sonst verborgen ist: das Leid der Schweine in der Intensivtierhaltung.
Rund 26 Millionen Schweine werden in Deutschland in 32'000 Betrieben gehalten. Deutschland ist nach China und den USA der grösste Schweinefleischerzeuger. Rund 99 Prozent der Schweine werden genauso gehalten, wie im Film dokumentiert. «Der Betrieb ist ein sogenannter Vorzeigebetrieb. All das ist Alltag in der Tierindustrie», sagt die Tierschützerin. «Das ist nichts Illegales.»
Der Film über die Massentierhaltung soll nicht als Anklage auf die Landwirte verstanden werden, sondern als reine Anklage an das System. Robert Marc Lehmann nennt es eine Dokumentation über die Zustände, die legal sind. Eine Dokumentation darüber, dass die Welt nicht in Ordnung ist.
Der Film beginnt im Geburtenraum, wo Schweine eingepfercht in viel zu engen Metallkäfigen Ferkel gebären. Totgeburten liegen auf dem ungemütlichen Plastikboden. Einige Neugeborene sind von der Mutter zerdrückt worden. Andere verbluten, weil die Mutter aus Versehen mit dem Hinterbein auf die Nachkömmlinge getreten ist.
All das geschieht, weil die Haltung in den Käfigen keine Bewegung zulässt. Die gebärenden Schweine können sich nicht einmal um die eigene Achse drehen. Geboren werden die Ferkel in Exkrementen und Blut auf dem Plastikspaltenboden, wo ihre Beinchen jeweils feststecken. Manche sind so schwach, dass sie sich selbst nicht befreien können und erfrieren. «Doch der löchrige Boden muss sein, damit man die Fäkalien und den Urin loswird», erklärt Lehmann.
Im Alter von sechs Monaten können Schweine in Deutschland künstlich besamt werden. «Die meisten haben da noch viel zu enge Becken für eine Geburt», sagt Eckardt. Unter Tränen berichtet sie von einem traumatischen Erlebnis: «Ich musste Geburtenhilfe leisten. Ich wollte das nicht. Die Schamlippen des Schweins waren stark angeschwollen, prall mit Blut gefüllt, sie waren schon blau. Doch ich dachte mir: Lieber mache ich es statt der Landwirt mit seinen viel grösseren Armen. Ich konnte das Ferkel trotz meinen kleinen Händen aber nicht richtig greifen. Der Landwirt sagte mir, dass das Ferkel vermutlich schon tot sei und ich in die Augenhöhe greifen müsse, um es herauszuholen. Ich musste das tun, weil das Ferkel sonst im Bauch des Schweines verwest wäre und die Mutter vergiftet hätte.»
In der Massentierhaltung in Deutschland werden die Schwänze der Schweine präventiv kupiert, damit sich die Tiere nicht aus Stress und Langweile die Schwänze abbeissen. Das Problem ist somit aber nicht begraben. «Oftmals sind die Schamlippen der Schweine durch die Ferkel abgefressen», erzählt Eckardt. «Den Ferkeln ist langweilig. Die haben nichts, womit sie spielen können. So entwickeln sie Verhaltensstörungen.»
Wie stark die Tiere unter der Haltung leiden, wie unterbeschäftigt sie sind, zeigt sich im Film, als Eckardt eines der Schweine für einen kurzen Moment aus dem Metallgehege befreite. Im Gang lässt sich das Schwein auf hartem Boden nieder und urinierte. Überglücklich suhlt es im eigenen Urin.
Wenn die Schweine von der Geburtenstation wieder in die Gruppenhaltung gelassen werden, wo sie sich immerhin ein bisschen bewegen können, wedeln sie mit ihren abgetrennten Schwänzen. Sie freuen sich. Doch nicht lange. Sobald sie realisieren, dass ihre Kinder nicht mehr bei ihnen sind, beginnen sie schrill zu schreien. «Die Schweine schreien sich rund drei Tage lange die Seele aus dem Leib», erzählt Eckardt.
Die industrielle Schweinezucht ist darauf ausgerichtet, mit den Tieren den maximalen Gewinn zu erzielen. Die Schweine sind inzwischen so gezüchtet, dass sie zu viele Kinder zur Welt bringen – aber nicht genügend Milch produzieren können, um ihre Kinder zu ernähren.
14 bis 18 Zitzen hat ein Schwein. Eines der Schweine in dem Betrieb hat 21 Ferkel zur Welt gebracht. Das hat blutige Folgen. Im Film sieht man, wie sich die Ferkel streiten und sich gegenseitig in den Kopf beissen, um an eine Zitze zu kommen.
Die dadurch entstehenden Schädelverletzungen müssen mit Antibiotika behandelt werden – genauso wie die vielen kranken Tiere, die unter aufgeblähten Bäuchen, Nabelbrüchen oder herausstehenden Gedärmen leiden. «Der Einsatz von Medikamenten ist sehr hoch», sagt Lehmann.
Um die überzüchteten Schweine empfängnisbereiter zu machen, verabreicht man den Tieren sogenanntes Blutstutenhormon, das mit Kuhmilch angereichert wird. «So zieht man auch noch die Kuhmilchindustrie mit ins Boot», so Lehmann.
Und es ist nicht die einzige Industrie, die mit der Schweinezucht verwoben ist. Ein Inhaltsstoff des Kraftfutters für die Schweine ist Fischmehl. «Somit hat man alle schlimmen Massentierhaltungsindustrien miteinander verbunden», sagt der Umweltschützer.
Das Tierschutzgesetz in Deutschland schreibt vor, dass die Tiere nach deren Bedürfnissen gehalten werden. Im Falle eines 50 bis 110 Kilogramm schweren Mastschwein sehen diese «Bedürfnisse» in der konventionellen Tierhaltung so aus: keine Auslaufmöglichkeiten, eine Liegefläche von 0,75 Quadratmeter auf hartem Boden, separiert von den Kindern.
Erschreckend ist vor allem der quasi inaktive Kontrollmechanismus: Im Schnitt werden die Massentierhaltungsbetriebe in Deutschland alle 19 Jahre kontrolliert. Insgesamt gibt es über 205'000 tierhaltende Betriebe. Dem gegenüber stehen nur 3320 Stellen im Veterinäramt, das sich um den Tierschutz und die Tiergesundheit kümmert.
«Man denkt nicht darüber nach, dass die Tiere über Jahre immer wieder traumatisiert werden. Jeden Tag sind sie Qualen und Schmerzen ausgesetzt. Jeder Raum ist erfüllt von Leid», sagt Umweltschützer Lehmann.
Von aussen ist es schwierig nachzuvollziehen, was sich Samara Eckardt selbst auferlegt hat. Wie konnte die Tierschützerin das Leid der Tiere in dem Schweinebetrieb fast drei Jahre lang aushalten? «Mir wurde in dieser Zeit oft gesagt, dass ich richtig beschissen aussehe, dass ich sehr gealtert bin», so die Tierschützerin.
Innerlich habe sie sich aber trotz dieser schlimmen und traumatisierenden Erfahrung noch nie so schön gefühlt. «Für mich ist es selbstverständlich, etwas gegen die systematische Entwürdigung der Tiere zu tun.» Denn:
Eine Regulation ist unumgänglich.
Ja, der Fleischpreis wird steigen und der Konsum wird dadurch abnehmen. Das ist ohnehin dringend notwendig. Tierwohl und Klimaschutz profitieren.