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Diese Massentierhaltungs-Doku ist unerträglich – und dennoch so wichtig

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Diese Massentierhaltungs-Doku ist unerträglich – und dennoch so wichtig

Ein neuer Film zweier Tieraktivisten zeigt, was sonst verborgen bleibt: die qualvollen Abläufe in der Massentierhaltung. Die Doku deckt keine Missstände auf, sondern beleuchtet auf erschreckende Weise, was in Deutschland bei der Tierhaltung legal ist.
16.11.2023, 11:3315.12.2023, 09:51
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Seit Stunden überlege ich mir, wie ich diesen Artikel beginnen soll. Die einfachste Option wäre wohl ein szenischer Einstieg. Dieser ist eigentlich auch keine Hexerei: Ich picke mir eine Szene heraus, schaue hin – und beschreibe sie.

Doch bei diesem Film über die Massentierhaltung fällt es mir schwer, überhaupt hinzuschauen, geschweige denn zu beschreiben. Doch die Augen vor der Realität zu verschliessen, ist falsch. Darum zwinge ich mich, hinzuschauen – fast zwei Stunden.

Mehrmals musste ich eine Pause einlegen. Manchmal konnte ich nicht anders, als die Augen zu schliessen.

Wie der Film entstanden ist

Wegschauen, Augen und Ohren verschliessen wollte Samara Eckardt nicht. Die Tierschutzaktivistin lebt der Tiere wegen seit zehn Jahren vegan. Um sich ein eigenes Bild machen zu können, wie schlimm die Abläufe in der Massentierhaltung wirklich sind, arbeitete die Tierschutzaktivistin während fast drei Jahren in einem Schweineproduktionsbetrieb in Norddeutschland. «Es war mir ein Anliegen, aus erster Hand zu erfahren, was Menschen Tieren antun», sagt die 32-Jährige.

Tierschützerin Samara Eckardt arbeitete fast drei Jahre in einer deutschen Schweinezucht.
Tierschützerin Samara Eckardt arbeitete fast drei Jahre in einer deutschen Schweinezucht. screenshot: youtube / robert marc lehmann

Jede Nacht plagten sie Alpträume. «Ich schämte mich, ein Mensch zu sein», so drastisch sagt sie das, obwohl sie über 400 Schweine aus der Massentierhaltung befreit habe. «Mein übergeordnetes Ziel ist es nicht, die Tiere zu retten, sondern etwas im System zu verändern, die Maschinerie zu stoppen.»

«Samara ist die Stimme der Schweine.»
Robert Marc Lehmann

In Absprache mit dem Landwirt dokumentiert Eckardt gemeinsam mit dem Umweltschützer und Filmemacher Robert Marc Lehmann, was den Menschen sonst verborgen ist: das Leid der Schweine in der Intensivtierhaltung.

Rund 26 Millionen Schweine werden in Deutschland in 32'000 Betrieben gehalten. Deutschland ist nach China und den USA der grösste Schweinefleischerzeuger. Rund 99 Prozent der Schweine werden genauso gehalten, wie im Film dokumentiert. «Der Betrieb ist ein sogenannter Vorzeigebetrieb. All das ist Alltag in der Tierindustrie», sagt die Tierschützerin. «Das ist nichts Illegales.»

«Es ist eine absolute Ausnahme, so was filmen zu können.»
Robert Marc Lehmann

Der Film über die Massentierhaltung soll nicht als Anklage auf die Landwirte verstanden werden, sondern als reine Anklage an das System. Robert Marc Lehmann nennt es eine Dokumentation über die Zustände, die legal sind. Eine Dokumentation darüber, dass die Welt nicht in Ordnung ist.

Der deutsche Meeresbiologe und Fotograf Robert Marc Lehmann ist bekannt für seine Filme über Umweltschutz sowie für seine «Mission Erde».
Der deutsche Meeresbiologe und Fotograf Robert Marc Lehmann ist bekannt für seine Filme über Umweltschutz sowie für seine «Mission Erde».screenshot: youtube

Schock 1: Der leidvolle Geburtenraum

Der Film beginnt im Geburtenraum, wo Schweine eingepfercht in viel zu engen Metallkäfigen Ferkel gebären. Totgeburten liegen auf dem ungemütlichen Plastikboden. Einige Neugeborene sind von der Mutter zerdrückt worden. Andere verbluten, weil die Mutter aus Versehen mit dem Hinterbein auf die Nachkömmlinge getreten ist.

All das geschieht, weil die Haltung in den Käfigen keine Bewegung zulässt. Die gebärenden Schweine können sich nicht einmal um die eigene Achse drehen. Geboren werden die Ferkel in Exkrementen und Blut auf dem Plastikspaltenboden, wo ihre Beinchen jeweils feststecken. Manche sind so schwach, dass sie sich selbst nicht befreien können und erfrieren. «Doch der löchrige Boden muss sein, damit man die Fäkalien und den Urin loswird», erklärt Lehmann.

Das Beinchen eines neugeborenen Ferkel steckt im Spaltenboden fest.
Das Beinchen eines neugeborenen Ferkel steckt im Spaltenboden fest.screenshot: youtube / film von Robert Marc Lehmann
Die Mutter ist auf ihr Neugeborenes getreten, Robert Marc Lehmann verarztet die offene Wunde.
Die Mutter ist auf ihr Neugeborenes getreten, Robert Marc Lehmann verarztet die offene Wunde.screenshot: youtube / film von Robert Marc Lehmann

Im Alter von sechs Monaten können Schweine in Deutschland künstlich besamt werden. «Die meisten haben da noch viel zu enge Becken für eine Geburt», sagt Eckardt. Unter Tränen berichtet sie von einem traumatischen Erlebnis: «Ich musste Geburtenhilfe leisten. Ich wollte das nicht. Die Schamlippen des Schweins waren stark angeschwollen, prall mit Blut gefüllt, sie waren schon blau. Doch ich dachte mir: Lieber mache ich es statt der Landwirt mit seinen viel grösseren Armen. Ich konnte das Ferkel trotz meinen kleinen Händen aber nicht richtig greifen. Der Landwirt sagte mir, dass das Ferkel vermutlich schon tot sei und ich in die Augenhöhe greifen müsse, um es herauszuholen. Ich musste das tun, weil das Ferkel sonst im Bauch des Schweines verwest wäre und die Mutter vergiftet hätte.»

Surprise
Achtung, das Bild könnte verstörend wirken. Es zeigt Totgeburten.screenshot: youtube / film von robert marc lehmann

Schock 2: Langeweile, Verhaltensstörungen und Kannibalismus

In der Massentierhaltung in Deutschland werden die Schwänze der Schweine präventiv kupiert, damit sich die Tiere nicht aus Stress und Langweile die Schwänze abbeissen. Das Problem ist somit aber nicht begraben. «Oftmals sind die Schamlippen der Schweine durch die Ferkel abgefressen», erzählt Eckardt. «Den Ferkeln ist langweilig. Die haben nichts, womit sie spielen können. So entwickeln sie Verhaltensstörungen.»

«Manchmal bleibt dem Schwein nichts anderes übrig, als sich lebendig auffressen zu lassen.»
Robert Marc Lehmann

Wie stark die Tiere unter der Haltung leiden, wie unterbeschäftigt sie sind, zeigt sich im Film, als Eckardt eines der Schweine für einen kurzen Moment aus dem Metallgehege befreite. Im Gang lässt sich das Schwein auf hartem Boden nieder und urinierte. Überglücklich suhlt es im eigenen Urin.

Das Mutterschwein möchte zurück zu seinen Kindern.
Das Mutterschwein möchte zurück zu seinen Kindern.screenshot: youtube / film von robert marc lehmann
«Ich möchte, dass die Menschen verstehen, dass Schweine ihre Kinder genauso sehr lieben wie jede menschliche Mutter.»
Samara Eckardt

Wenn die Schweine von der Geburtenstation wieder in die Gruppenhaltung gelassen werden, wo sie sich immerhin ein bisschen bewegen können, wedeln sie mit ihren abgetrennten Schwänzen. Sie freuen sich. Doch nicht lange. Sobald sie realisieren, dass ihre Kinder nicht mehr bei ihnen sind, beginnen sie schrill zu schreien. «Die Schweine schreien sich rund drei Tage lange die Seele aus dem Leib», erzählt Eckardt.

«Wenn Schweine schreien, geht das durch Mark und Bein.»
Samara Eckardt

Schock 2: Tierisches Futter

Die industrielle Schweinezucht ist darauf ausgerichtet, mit den Tieren den maximalen Gewinn zu erzielen. Die Schweine sind inzwischen so gezüchtet, dass sie zu viele Kinder zur Welt bringen – aber nicht genügend Milch produzieren können, um ihre Kinder zu ernähren.

14 bis 18 Zitzen hat ein Schwein. Eines der Schweine in dem Betrieb hat 21 Ferkel zur Welt gebracht. Das hat blutige Folgen. Im Film sieht man, wie sich die Ferkel streiten und sich gegenseitig in den Kopf beissen, um an eine Zitze zu kommen.

«Die kleinen Schweine fressen sich gegenseitig das Gesicht weg.»
Robert Marc Lehmann

Die dadurch entstehenden Schädelverletzungen müssen mit Antibiotika behandelt werden – genauso wie die vielen kranken Tiere, die unter aufgeblähten Bäuchen, Nabelbrüchen oder herausstehenden Gedärmen leiden. «Der Einsatz von Medikamenten ist sehr hoch», sagt Lehmann.

Samara Eckardt sammelt die toten Ferkel ein.
Samara Eckardt sammelt die toten Ferkel ein.screenshot: youtube / film von robert marc lehmann

Um die überzüchteten Schweine empfängnisbereiter zu machen, verabreicht man den Tieren sogenanntes Blutstutenhormon, das mit Kuhmilch angereichert wird. «So zieht man auch noch die Kuhmilchindustrie mit ins Boot», so Lehmann.

Und es ist nicht die einzige Industrie, die mit der Schweinezucht verwoben ist. Ein Inhaltsstoff des Kraftfutters für die Schweine ist Fischmehl. «Somit hat man alle schlimmen Massentierhaltungsindustrien miteinander verbunden», sagt der Umweltschützer.

Schock 4: Praktisch keine Tierschutzkontrollen

Das Tierschutzgesetz in Deutschland schreibt vor, dass die Tiere nach deren Bedürfnissen gehalten werden. Im Falle eines 50 bis 110 Kilogramm schweren Mastschwein sehen diese «Bedürfnisse» in der konventionellen Tierhaltung so aus: keine Auslaufmöglichkeiten, eine Liegefläche von 0,75 Quadratmeter auf hartem Boden, separiert von den Kindern.

Erschreckend ist vor allem der quasi inaktive Kontrollmechanismus: Im Schnitt werden die Massentierhaltungsbetriebe in Deutschland alle 19 Jahre kontrolliert. Insgesamt gibt es über 205'000 tierhaltende Betriebe. Dem gegenüber stehen nur 3320 Stellen im Veterinäramt, das sich um den Tierschutz und die Tiergesundheit kümmert.

Weidehaltung findet in Deutschland nur in Ausnahmefällen statt.
Weidehaltung findet in Deutschland nur in Ausnahmefällen statt.screenshot: youtube / film von robert marc lehmann

«Man denkt nicht darüber nach, dass die Tiere über Jahre immer wieder traumatisiert werden. Jeden Tag sind sie Qualen und Schmerzen ausgesetzt. Jeder Raum ist erfüllt von Leid», sagt Umweltschützer Lehmann.

Wie erträgt man das?

Von aussen ist es schwierig nachzuvollziehen, was sich Samara Eckardt selbst auferlegt hat. Wie konnte die Tierschützerin das Leid der Tiere in dem Schweinebetrieb fast drei Jahre lang aushalten? «Mir wurde in dieser Zeit oft gesagt, dass ich richtig beschissen aussehe, dass ich sehr gealtert bin», so die Tierschützerin.

Innerlich habe sie sich aber trotz dieser schlimmen und traumatisierenden Erfahrung noch nie so schön gefühlt. «Für mich ist es selbstverständlich, etwas gegen die systematische Entwürdigung der Tiere zu tun.» Denn:

«Ich kann den Stall jederzeit verlassen und mich erholen – die Tiere können das nicht.»
Samara Eckardt

Hier kannst du dir den ganzen Film anschauen:

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447 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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PD Dr.med.
16.11.2023 11:44registriert November 2022
So viel zur „freien Marktwirtschaft“.
Eine Regulation ist unumgänglich.
Ja, der Fleischpreis wird steigen und der Konsum wird dadurch abnehmen. Das ist ohnehin dringend notwendig. Tierwohl und Klimaschutz profitieren.
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Schlüsselblüemli
16.11.2023 11:54registriert April 2020
Der Besuch von solchen Anlagen sollte in jeder Schule als Pflicht gelten. Dann kann jeder selbst entscheiden ob er Fleisch essen will oder nicht.
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H.P. Liebling
16.11.2023 11:46registriert September 2018
Ufff... allein der Text ist schwer zu ertragen. Und ja, ich esse auch Fleisch. Dies allerdings sehr ausgewählt. Ich bin auf einem Bauernhof gross geworden, auf dem jeweils 2 Schweine gehalten wurden und die man - für jeden selbstverständlich - dann im Herbst/Winter auch gegessen hat. Ich habe so einen in meinen Augen vernünftigen Bezug zu Fleisch, Leben und Tod aufgebaut. Aber das tut allein schon beim Lesen weh. Ich glaube nicht, dass ich die Doku ertragen könnte (obwohl es für einen Fleischesser Pflichtlektüre sein sollte). Ganz krass.
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