Elizabeth Alexandra Mary aus dem Hause Windsor war nicht nur die Queen. Sie war DIE QUEEN. Die grosse Nachfolgerin der grossen britischen Monarchinnen Elizabeth I. und Victoria. Eine Frau, deren Leben mehrfach verfilmt wurde, zuletzt in der Serie «The Crown», einem der grössten Investitions-Objekte von Netflix. Wie passend. Schliesslich war Elizabeth II. eine Königin, die durch die Tradition gekrönt, aber vom Fernsehen wachgeküsst wurde.
Am 6. Februar 1952 fand ein Diener King George VI. tot in seinem Bett. Der Monarch wider Willen, der seinen abgesetzten Bruder Edward hatte ersetzen müssen, war an den Folgen seiner Sucht gestorben. Als Kettenraucher hatte George an Lungenkrebs und Arteriosklerose gelitten. Und so wurde seine Tochter, die schöne 25-jährige Kronprinzessin Elizabeth, zur Thronfolgerin.
Ein Jahr später war sie die Märchengestalt, deren Krönung mit einem Schlag Abermillionen Menschen weltweit schauten. Allein 27 Millionen sassen in Grossbritannien vor den Fernsehgeräten, 85 Millionen schauten sich in den USA einen Zusammenschnitt der Höhepunkte an, Deutschland übertrug live sämtliche 11 Stunden des Grossereignisses, die Berichterstattung wurde in 39 Sprachen übersetzt.
Unter den amerikanischen Journalisten, die an jenem 2. Juni 1953 aus London über die Krönung berichten durften, war auch eine gewisse Jacqueline Bouvier, die später einen Kennedy heiratete und zur First Lady im Weissen Haus wurde. In London konnte sie sich hautnah anschauen, wie man das macht mit der Macht und den Medien. Wie man einen Mythos und eine Aura kreiert, obwohl der Mensch dahinter recht einfach ist.
Denn jener 2. Juni war der Tag, der das Fernsehen zum Massenmedium und Elizabeth in der ausgemergelten Nachkriegswelt zur Lichtgestalt machte. Und es war – neben ihren Pferden – der grösste Exzess, den sich die strenge, selbstkritische Monarchin erlaubte.
Ihre Bildung schätzte sie damals selbst als unzulänglich ein, ihre Reden wirkten immer etwas überdiszipliniert und steif, ein Abrücken vom höfischen Protokoll oder gar dessen Reformation war für sie undenkbar. Als ihre Schwester Margaret mit 24 den geschiedenen Royal-Air-Force-Piloten Peter Townsend heiraten wollte, war für die Königin klar, dass Margaret dann gemäss dem «Royal Marriage Act» von 1772 alle royalen Privilegien verlieren müsste. Genau so war es schliesslich ihrem Onkel, King Edward VIII., ergangen, der aus Liebe zur geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson auf den Thron verzichten musste.
Während ihrer Amtszeit erlebt sie 14 amerikanische Präsidenten und 15 britische Premierminister, von denen die prominentesten Winston Churchill und Margaret Thatcher hiessen. Churchill und sie verehrten einander, Thatcher dagegen betrachtete die Queen als heimliche Sozialdemokratin, und die Queen sorgte dafür, dass Grossbritannien gegen den Willen seiner Premierministerin Sanktionen gegen das Apartheidregime in Südafrika befürwortete.
Als Mutter hatte die Queen weniger Glück. Drei ihrer vier Kinder liessen sich scheiden. Charles von Diana, Andrew von Sarah Ferguson und Anne von Mark Philipps, der sie für eine dreissig Jahre Jüngere verliess. Nur Edward blieb bis heute bei seiner Sophie. Anlässlich ihres 40. Thronjubiläums 1992 bezeichnete die Queen das laufende Jahr als ihr «Annus Horribilis»: Windsor Castle hatte gebrannt, Annes Scheidung wurde rechtskräftig, Nacktfotos von Sarah Ferguson und Aufnahmen intimer Telefongespräche zwischen Diana und einem verdächtig vertrauten Jugendfreund tauchten auf.
Rückblickend dürfte die Ehe von Charles und Diana angesichts der Verwicklungen von Andrew in Jeffrey Epsteins Handel mit minderjährigen Mädchen nur der zweitgrösste Skandal gewesen sein. Prinz Philip und die Queen entliessen Andrew aus seinen royalen Pflichten, selbst zur Hochzeit seiner Tochter Beatrice im Juli 2020 durfte er nicht erscheinen.
Elizabeth hatte sich schon mit 13 Jahren in ihren Cousin dritten Grades, den griechischen Prinzen Philip, verguckt und setzte alles daran, dass er ihr drei Jahre später erlag. Die Erziehung ihrer Kinder überliess sie vorwiegend ihrem Gatten.
Abgesehen von Philip liebte sie Pferde und ihre kleinen Corgies mehr als jedes andere Lebewesen. Mit drei Jahren sass sie zum ersten Mal auf einem Pferd, danach wollte sie am liebsten selbst eins sein, neben 150 Puppen besass sie 30 Holzpferde. Sie war eine perfekte Reiterin, konnte Autos flicken und sass am liebsten ohne Sicherheitsgurte am Steuer. Ihr Make-up beschränkte sie auf Lippenstift und einen einzigen Nagellack, ihre Brauen zupfte sie nie.
Ihr liebstes Zuhause war kein Schloss, sondern die Jacht Britannia, an deren Entwurf sie und Philip beteiligt gewesen waren und mit der sie von 1953 bis 1997 über die Weltmeere reiste. Die tägliche Post, all die Papiere, die sie unterzeichnen musste, wurden ihr in vordigitalen Zeiten auf See von einem Militärhelikopter geliefert. Überhaupt liebte sie alles Militärische, bis zuletzt zeigte sie angesichts von Paraden und Fliegerstaffeln grosse Begeisterung.
Unter ihren Schlössern favorisierte sie Balmoral, wo sie auch starb. Sie war dort so sehr Privatperson wie nirgendwo sonst, als sie eines Tages im nahe gelegenen Dorf einkaufen ging, sagte ein Passant: «Sie gleichen der Queen!» «Wie beruhigend», antwortete die Queen. 1939 hatte ihr Vater Balmoral für Frauen und Kinder geöffnet, die sich vor den Angriffen der Nazis auf Glasgow in Sicherheit bringen mussten. Elizabeth und Margaret servierten den Hilfesuchenden Tee.
Sie selbst liebte ihren Tee ein Leben lang lauwarm und rotes Fleisch well done. Knoblauch war in der Hofküche verboten, sie mochte keine scharfen Gewürze, Fisch musste entgrätet, Poulet entbeint serviert werden. Austern und Muscheln gab es nur gekocht, Pasta nie mit Sauce, und auf all ihren Reisen führte sie aus Angst vor verschmutztem Wasser das britische Mineralwasser Malvern Water mit sich, aus dem auch die Eiswürfel für ihre Getränke gefroren wurden. Ihre einzige kulinarische Extravaganz war Gin in verschiedenen Kombinationen und vor jedem Essen. Mittags und abends.
Mit ihrer Familie sorgte sie auch in den letzten Jahrzehnten für unzählige TV-Momente für Abermillionen – die Hochzeiten von Charles und Diana, Charles und Camilla, William und Kate, Meghan und Harry (und deren Interview mit Oprah Winfrey). Und natürlich die Abschiedszeremonien für Diana, die am 31. August 1997 von Paparazzi gejagt mit ihrem Lover in Paris ums Leben kam, und für ihren Gatten Philip, den Duke of Edinburgh, der am 9. April 2021 nach über 70 gemeinsamen Jahren verstarb.
Öffentlich gezeigte Emotionen waren nie die Kernkompetenz der Königin, nach Dianas Tod schwoll die seit den 80er-Jahren manifeste Kritik an der Monarchie und besonders an ihrer Person noch einmal an. Sie hielt allem unbeirrt stand. Hielt es aus, bis jeder Sturm wieder abgeebbt war. Verliess sich darauf, dass sie dem Volk mehr an Symbolpolitik und medialer und touristischer Attraktion gab als dass sie ihm an Steuergeldern, von denen die Monarchie finanziert wird, abnahm.
Abgesehen von ihren bunten Kostümen, die sie nur trug, um in grossen Menschenmengen aufzufallen, war sie auf unnachahmlich unflamboyante Art britisch blass. War die verlässlich spröde Grossmutter, die sich ihre durch Brexit und Covid erschütterte Nation in glasklaren, gut dosiert besorgten und minimal ironischen Reden zur Brust nahm.
Doch ihre Kraft schwand dahin, immer öfter nahm sie in den letzten Monaten öffentliche Pflichten nicht mehr wahr. An ihrem 70. Thronjubiläum, dem «Platinum Jubilee» Anfang Juni, war sie am grossen Festumzug nur als Hologramm in der goldenen Kutsche präsent und lieferte zusammen mit Paddington Bear das im Voraus aufgezeichnete Video der Herzen. Die Zahl ihrer realen Auftritte aber reduzierte sie auf drei, die jeweils nur wenige Minuten dauerten. Es sei ein wenig wie in Nordkorea , schrieb der «Guardian», grosse Militärparaden, Festgottesdienste und Umzügen würden zu Ehren einer abwesenden Persönlichkeit abgehalten, deren gute Gesundheit immer wieder krampfhaft beschworen werden müsse.
Weder Charles noch William werden in ihrer Nachfolge ein vergleichbares Format entwickeln können. Jetzt starb Elizabeth II. mit beeindruckenden 70 Amts- und 96 Lebensjahren. Die Majestät aller Majestäten möge in verdientem Frieden ruhen.