Unter Nato-Staaten wird zurzeit kontrovers diskutiert, ob die Ukraine sämtliche vom Westen gelieferten Waffen auch für Angriffe auf militärische Ziele in Russland nutzen können sollte. Die Ukraine fordert dies seit längerem, um russische Stellungen in dem seit mehr als zwei Jahren andauernden Krieg effektiver zu bekämpfen.
Bisher setzt das Land dafür vor allem eigene Raketen und Drohnen ein. Die westlichen Waffen zielen bisher in erster Linie auf russische Stellungen in den von Moskau besetzten Gebieten der Ukraine.
Einzelne Verbündete der Ukraine wollen es dem von Moskau angegriffenen Land erlauben, westliche Waffen künftig auch für Angriffe gegen Ziele auf russischem Staatsgebiet einzusetzen.
Länder wie die USA und Deutschland haben die Abgabe bestimmter Systeme nach Angaben aus Bündniskreisen zum Teil an strenge Auflagen für deren Nutzung gekoppelt.
Diese sehen zum Beispiel vor, dass mit ihnen keine Angriffe auf Ziele in Russland ausgeführt werden dürfen. Hintergrund ist die Befürchtung, dass die Nato zur Kriegspartei werden könnte.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte sich dafür ausgesprochen, bestehende Beschränkungen für ukrainische Angriffe zumindest teilweise aufzuheben. Hintergrund ist insbesondere die Situation in der Region Charkiw, wo Kämpfe teilweise direkt an der Grenze stattfinden.
Eine neue tschechische Initiative will nun gelieferte Artilleriegeschosse ohne Einschränkungen auch gegen militärische Ziele in Russland nutzen können. Der tschechische Aussenminister Jan Lipavsky sagte am Donnerstag am Rande eines Nato-Aussenministertreffens in Prag:
Er betonte, dass der Grossteil der geplanten Munitionslieferungen über sein Land laufen werde.
Tschechien will der Ukraine über die neue Initiative bis zu 800'000 Artilleriegranaten zur Verfügung stellen. Nach Angaben von Regierungschef Petr Fiala haben inzwischen 15 EU- und Nato-Staaten rund 1,6 Milliarden Euro für das Vorhaben zugesagt – darunter auch Deutschland.
Die Munition soll vor allem in Staaten aufgekauft werden, die nicht zur Nato und EU gehören. Details werden aber geheim gehalten.
Die ersten Lieferungen in die Ukraine sollen nach Angaben von Lipavsky im Juni erfolgen. Fiala hatte zuletzt gesagt, die Ukraine könne in den nächsten Tagen mit einer ersten Lieferung rechnen, die aus Zehntausenden 155-Millimeter-Granaten bestehe.
Neben Nato-Generalsekretär Stoltenberg sind auch Verteidigungsminister östlicher Nato-Staaten der Ansicht, dass es keine unverantwortlichen Eskalationsrisiken gibt.
Stoltenberg verwies etwa darauf, dass der Ukraine gespendete Waffen nach der Übergabe ukrainische Waffen seien und ein Teil der Nato-Staaten der Ukraine schon seit jeher Waffen ohne Auflagen liefere. Zudem betonte er, dass der Einsatz von Waffen gegen militärische Ziele durch das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine gedeckt sei.
Ganz klar auf seiner Seite steht von den grossen Nato-Staaten bislang aber nur Frankreich. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte am Montag nach einem Gespräch mit Scholz: «Wir denken, dass wir ihnen erlauben sollten, die Militärstandorte, von denen aus die Raketen abgefeuert werden, und im Grunde genommen die militärischen Standorte, von denen aus die Ukraine angegriffen wird, zu neutralisieren.»
Anders als Frankreich liessen der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und der US-Präsident Joe Biden nicht öffentlich erkennen, dass sie bestehende Auflagen weitgehend lockern wollen.
Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, hatte am Mittwoch vor Journalisten auf Nachfrage diese Position nochmals bekräftigt:
Die «New York Times» hatte vor einigen Tagen allerdings berichtet, dass US-Aussenminister Antony Blinken intern dafür werbe, der Ukraine Schläge gegen russisches Gebiet mit US-Waffen zu ermöglichen. Er wolle Präsident Joe Biden zu einer Aufhebung der Einschränkungen bewegen, hiess es. Das Aussenministerium wollte den Bericht damals weder dementieren noch bestätigen, sondern verwies auf die bekannte US-Position.
US-Aussenminister Antony Blinken hatte am Mittwoch am Rande einer Pressekonferenz in Moldau denn auch Flexibilität angedeutet. Seit Beginn des Krieges habe die US-Regierung ihre Unterstützung für die Ukraine an die sich verändernden Bedingungen angepasst: «Ich bin zuversichtlich, dass wir das auch weiterhin tun werden.»
Auch Italien stellt sich gegen das Einsetzen von westlichen Waffen auf russischem Staatsgebiet. Der italienische Aussenminister Antonio Tajani sagte gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Sender RAI: «Alle Waffen, die aus Italien (in die Ukraine) gehen, sollten in der Ukraine eingesetzt werden.»
Der Kreml in Moskau warnte am Donnerstag erneut mit Nachdruck vor einer Erlaubnis des Westens für den Einsatz seiner Waffen in der Ukraine für Angriffe auf Russland. «Dies alles wird natürlich unweigerlich seine Folgen haben», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow.
«Und es wird letztlich den Interessen jener Länder sehr schaden, die den Weg der Eskalation der Spannungen eingeschlagen haben.» Die Staaten der Nato, allen voran der USA, wählten mit «kriegerischen Äusserungen» absichtlich einen Eskalationskurs.
In Wien warnte der russische Diplomat Konstantin Gawrilow den Westen vor dem Überschreiten von «roten Linien». Russland habe das Recht, Atomwaffen als Antwort für eine Aggression anzuwenden – auch bei einem Angriff mit konventionellen Waffen, wenn damit das Bestehen des Staates in Gefahr sei.
Moskau behalte sich dabei die «nötige Unbestimmtheit über die Art und den Umfang unserer möglichen nuklearen Reaktion auf eine Aggression» vor, sagte er bei einer Veranstaltung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Kremlpropagandisten in Staatsmedien sprechen sich immer wieder für einen nuklearen Schlag gegen die Ukraine oder auch gegen den Westen aus. In einem Beitrag für die Zeitschrift «Profil» rief nun auch der Politologe Dmitri Suslow den Kreml angesichts des möglichen Einsatzes von Nato-Waffen gegen Russland dazu auf, zumindest eine «demonstrative atomare Explosion» ausserhalb des Kriegsgebiets herbeizuführen, um seine Abschreckungspolitik zu unterstreichen.
Zuletzt schlug der Propagandist Wladimir Solowjow vor, etwa Charkiw, die zweitgrösste Stadt der Ukraine nahe der russischen Grenze, in nukleare Asche zu verwandeln. Kremlchef Wladimir Putin selbst hatte in dem Konflikt immer wieder auf die «Unbesiegbarkeit» der russischen Atomwaffen verwiesen.
(hah/sda/dpa)
Und warum der Westen dadurch Kriegspartei werden sollte, erschliesst
sich mir nicht. Was ist mit Nordkorea, Iran und China, dessen Waffen oder Bauteile dafür, die Ukraine zerstört?
Die Gleitbombenproblematik ist ein Beispiel dafür, dass Russland auf seinen Boden bekämpft werden muss.
Natürlich nur militärische Einrichtungen, nicht die Bevölkerung ermorden, wie Russland dies tut!
Denn nun kann ich mir auch erklären, wenn man die alten Aufnahmen von 1914 sieht, wie die Deutschen jubelnd in die Züge gestiegen sind und Richtung Frankreich fuhren, im sicheren Siegesrausch. Genau so ein 2. Mal 1939, wieder die gleiche Begeisterung, aber nur bei den Jungen. Die "Alten" wussten, was auf sie zukommt.
Wenn jeder der Kriegsbegeisterten mal ein paar Tage vor Ort wäre, keiner würde mehr so schreiben/"liken".