Immer wenn Wladimir Putin über Demokratie spricht, klingt das in westlichen Ohren wie ein sarkastischer Scherz. Ein Witz, der eigentlich nicht wirklich lustig ist. Und manchmal kann sich der russische Präsident dabei ein Lächeln nicht verkneifen. «Wir haben doch Demokratie», sagt der 71-Jährige am Donnerstag bei seiner jährlichen Pressekonferenz, als er eine Frage aus dem Publikum zulässt.
Dabei mussten die Fragen vorher eingereicht werden, sein Sprecher Dmitri Peskow unterstützt bei der Moderation. Die grosse Putin-Show wurde vom Kreml sorgsam inszeniert – schliesslich befindet sich Russland im Krieg und in wenigen Monaten findet die nächste Präsidentschaftswahl statt.
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Der Sieger der kommenden Wahl steht eigentlich schon fest: Es ist Putin, der die russische Verfassung ändern liess, um überhaupt noch einmal antreten zu können. Trotz der grossen Inszenierung zeigt die Putin-Show, wie das politische Innenleben in Russland derzeit aussieht: Im vergangenen Kriegsjahr lief es für Russland schlecht und Putin verschwand regelrecht von der Bildfläche. Nun finden öffentliche Auftritte wieder statt, der Kremlchef hat Oberwasser.
Die Pressekonferenz bringt vor allem eine bittere Erkenntnis für die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer: Putin wird seinen Krieg in der Ukraine weiterführen. Er sieht sich auf der Siegerstrasse, im Westen dagegen wittert er Unentschlossenheit – eine Schwäche, auf die der Kreml-Chef gehofft hat. Aktuell scheint es zumindest so, als könnte sein perfider Plan am Ende aufgehen.
Putin lässt an diesem Donnerstag keinen Zweifel daran, dass er an seinen Kriegszielen festhält. «Frieden werden wir haben, wenn wir unsere Ziele erreicht haben», erklärt der Präsident. Und diese Ziele seien unverändert: Es gehe um die «Entmilitarisierung» und die «Entnazifizierung» der Ukraine.
In Russland hatten diese Begriffe in diesem Jahr an Gewicht verloren. Einerseits zeigte eine Studie, die der Kreml in Auftrag gab, dass die russische Bevölkerung nicht an das Narrativ eines Nazi-Regimes in Kiew glaubte. Andererseits schien auch die russische Führung ihre Kriegsziele angepasst zu haben. Für Moskau ging es monatelang nur noch um das Minimalziel: die Verteidigung der völkerrechtswidrig annektierten Gebiete.
Doch Putins aktuelle Auslassungen über eine Entmilitarisierung zeigen, dass er einen gewaltsamen Regimewechsel in Kiew wieder in Betracht zieht. Diese Zuversicht kommt nicht von ungefähr, denn das Kriegsblatt hat sich in den vergangenen Monaten zu Gunsten Russlands gewendet.
Die ukrainische Gegenoffensive seit dem Frühsommer brachte für Kiew nicht die erhofften Ergebnisse, wie Putin an diesem Donnerstag gleich mehrfach bemerkt und sogar die Anzahl von Panzer aufzählt, die die russische Armee zerstört habe. «Alles, was der Westen versprochen hat, hat die Ukraine bekommen – und sogar mehr», sagt Putin. «Wir haben alles vernichtet. Das ist die Entmilitarisierung.»
Kein Wort über die eigenen Verluste. Denn Militärexperten sind sich einig darüber, dass Putin zum Beispiel bei Kämpfen um Bachmut oder Awdijiwka im Osten der Ukraine massenhaft russische Soldaten und Material verheizt hat. Kritik kam auch von russischen Militärbloggern und aus Teilen der russischen Armee.
Doch der russische Präsident folgt einer perfiden Abnutzungsstrategie: Russland kann eigene Verluste an Menschenleben besser kompensieren als die Ukraine. Mittelfristig scheint dieses Kalkül aufzugehen und auch deswegen wagt sich Putin langsam wieder in die Öffentlichkeit.
Dabei ist es durchaus makaber, dass Putin zunächst auf seiner Pressekonferenz – die auch den Namen «Draht zum Volk» trägt – über Arbeitslosenzahlen und eine gestiegene Lebenserwartung in Russland spricht. Wenn Tausende Menschen an der Front sterben und die Armee Menschen gegen ihren Willen in den Militärdienst einzieht, dürfte klar sein, dass auch die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Die von Putin proklamierte gestiegene Lebenserwartung dürfte zumindest in Zweifel gezogen werden, da Tausende Russen in der Ukraine sterben und die russische Armee keine Opferzahlen veröffentlicht.
Es ist demnach auch wieder eine grosse Lügenshow des Kreml. «Die Jungs kämpfen super, wirklich super», meint Putin und fügt hinzu, dass eine weitere Mobilisierung derzeit nicht nötig sei. Zum Ende des Jahres sollen ihm zufolge zwar 412'000 Männer in der Ukraine kämpfen. 486'000 Rekruten habe Russland für den Kampf freiwillig gewonnen. Ohnehin würden sich täglich zahlreiche Menschen freiwillig melden.
Beobachter in Russland bemerkten jedoch im vergangenen Jahr, dass die Mobilisierungswellen nie aufgehört hätten. Nur lief der Einzug in den Militärdienst angeblich verdeckt und kleinteilig ab. Das würde, gemessen am Personalbedarf an der Front, auch Sinn ergeben.
Doch in ebendiesem Abnutzungskrieg sieht sich Putin momentan im Vorteil. In einer Frage bringt eine Journalistin die russische Lesart auf den Punkt: «Es wird klar, dass die westlichen Staaten die Ukraine nicht mehr unterstützen wollen.»
Genau darauf spekuliert Putin, um am Ende als Sieger und ohne Gesichtsverlust aus diesem Krieg zu kommen. Und Sieger gelten international nicht als Paria, mit ihnen wird wieder gesprochen. Die Ukraine könne gar nichts mehr selbst herstellen, würde alles aus dem Ausland bekommen, erklärt Putin süffisant. «Das ‹für umsonst› könnte aber auch bald mal vorbei sein.»
Dabei spielt der russische Präsident auf das grosse Ukraine-Hilfspaket an, das aktuell in den USA von den Republikanern blockiert wird. Und auf die Uneinigkeit in der Europäischen Union und die Unfähigkeit des Westens, ausreichend Munition für die Ukraine zu produzieren. All das wertet Putin als Schwäche, während er seine Wirtschaft auf die Kriegsproduktion umgestellt hat.
Dennoch ist es zynisch, wenn Putin auf seiner Pressekonferenz über Wirtschaftswachstum spricht. Klar, die russische Wirtschaft könnte aktuell wieder wachsen, aber das ist kein nachhaltiges Wachstum. Denn die russische Wirtschaft produziert Kriegsgüter, die in dem Konflikt entweder verbraucht oder zerstört werden. Das sagt am Ende nichts über die Stabilität der russischen Wirtschaft aus, wenngleich Russland tatsächlich die westlichen Sanktionen besser verkraften konnte, als westliche Experten und auch der Kreml selbst gedacht hätten – wie Putin betont.
Doch es ist am Ende nicht nur der Westen, der sich Sorgen über einen siegestrunkenen Putin machen müsste. Auch die russische Gesellschaft stünde laut dem Kreml-Chef vor einer «Konsolidierung». Gemeint damit ist die gewaltsame Gleichschaltung der russischen Öffentlichkeit. Kritik an der Führung ist nicht erwünscht, Kritiker landen in Straflagern oder müssen das Land verlassen.
Dafür bedient sich der russische Präsident in seinen Ausführungen ausgerechnet beim deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck. «Bismarck hat in Russland gedient, bevor er ein grosser deutscher Staatsmann wurde», erklärt Putin. Bismarck habe gesagt: «Der Krieg wird nicht von Feldherren gewonnen, sondern von Lehrern und Priestern.» Eine Auffassung, die Putin teilt. «Die patriotische Erziehung ist sehr wichtig», meint der russische Präsident. Deshalb würden nun immer mehr Kriegsveteranen in Schulen arbeiten.
Die Indoktrinierung der jüngeren Bevölkerung in Russland wird also weiter zunehmen. Wie in der Sowjetunion werden der Hass und das Misstrauen gegenüber dem Westen erneut Lehrstoff in Schulen, unterrichtet von Soldaten, die von der Gewalt an der Front teilweise traumatisiert sind.
Demokratie, Opposition und öffentliche Kritik. All das lässt Putin nur zum Schein wahren. Auf der Pressekonferenz werden im Hintergrund kritische Fragen von Russinnen und Russen eingeblendet, die die ständige Propaganda oder die hohen Lebensmittelpreise kritisieren. Damit will der Kreml offenbar zeigen, dass alles gesagt werden darf. Doch Putin wird mit diesen Fragen nicht konfrontiert, auch nicht an diesem Donnerstag, an dem die Journalisten ihre Fragen sorgsam von Karten abgelesen haben.