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Ungarn blockt Russland-Sanktionen der EU – wegen Patriarch Kirill

Ungarn blockiert EU-Sanktionen gegen Russland – wegen Kirchen-Oberhaupt Kirill

02.06.2022, 04:2102.06.2022, 09:39
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Was ist passiert?

Ungarn verlangt weitere Änderungen an dem neuen EU-Sanktionspaket gegen Russland und blockiert damit erneut dessen Inkrafttreten. Plan der EU war eigentlich, das Beschlussverfahren für das sechste Sanktionspaket an diesem Mittwoch endlich auf den Weg zu bringen.

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Zuvor war in der Nacht zum Dienstag nach wochenlangem Streit bei einem Gipfeltreffen eine Einigung im Streit über das ebenfalls geplante Öl-Embargo erzielt worden. Ungarn setzte dabei durch, das Öllieferungen per Pipeline zunächst von dem Einfuhrstopp ausgenommen werden.

Welchen Grund hat Ungarn?

Ungarn fordert, auf die geplanten Strafmassnahmen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill zu verzichten, wie mehrere Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur am Mittwochabend bestätigten.

In this handout photo released by Russian Orthodox Church Press Service, Russian Orthodox Church Patriarch Kirill conducts the Easter service at the Christ the Savior Cathedral in Moscow, Russia, late ...
Kirill, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche.Bild: keystone

Konkret würden Sanktionen gegen Kirill bedeuten, dass der Geistliche nicht mehr in die EU einreisen darf. Zudem müssten möglicherweise von ihm in der EU vorhandene Vermögenswerte eingefroren werden.

Beim EU-Gipfel am Montag und Dienstag waren die geplanten Sanktionen gegen Kirill nach Angaben von Diplomaten nicht thematisiert worden. Orban hatte allerdings bereits Anfang Mai in einem Rundfunk-Interview seine Ablehnung zum Ausdruck gebracht. «Ungarn wird seine Zustimmung nicht dazu geben, dass man mit Kirchenführern auf eine solche Weise umgeht», sagte er damals. «Aus prinzipiellen Gründen ist das eine noch wichtigere Angelegenheit als das Öl-Embargo.»

epaselect epa09986416 Hungary's Prime Minister Viktor Orban arrives at the first day of a Special European Summit on Ukraine at the European Council, in Brussels, Belgium, 30 May 2022. EPA/STEPHA ...
Ungarns Präsident Viktor Orban hält Sanktionen gegen Kirill nicht für sinnvoll.Bild: keystone

Warum ist Patriarch Kirill derart umstritten?

Patriarch Kirill soll nach dem Willen der anderen EU-Staaten wegen seiner Unterstützung für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auf die Sanktionsliste der EU kommen. Kirill pflegt engen Kontakt zu Präsident Wladimir Putin und zeigte sich bislang sehr kremltreu.

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Kirill und Putin pflegen einen engen Kontakt zueinander.Bild: Keystone/EPA

Der 75-Jährige stellte sich in seinen Predigten immer wieder hinter den Kriegskurs und behauptete zuletzt sogar, dass Russland noch nie ein anderes Land angegriffen habe. Das katholische Kirchenoberhaupt Papst Franziskus sagte zuletzt ein geplantes Treffen mit Kirill ab.

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Solche Bilder wird man nicht mehr so bald sehen – Franziskus und Kirill bei einem Treffen im Jahr 2016.Bild: keystone

Der für die «verfolgten Christen in der Welt» zuständige ungarische Staatssekretär Tristan Azbej erklärte wenig später zur ungarischen Haltung: «Die russisch-orthodoxe Kirche hat weltweit 160 Millionen Gläubige und 40'000 Priester. Die «völlig irre Vorstellung der EU-Kommission würde es dem orthodoxen Kirchenoberhaupt sogar verbieten, das Territorium der EU zu betreten, das heisst, die dort lebenden Gläubigen von ihrem religiösen Führer isolieren. Diese Idee ist schädlich, sie führt nicht zur Versöhnung.»

In Ungarn selbst gibt es nach EU-Zahlen kaum Anhänger der russisch-orthodoxen Kirche. Die grosse Mehrheit der Gläubigen ist demnach katholisch.

Welche Sanktionen werden ebenfalls blockiert?

Neben dem Öl-Embargo und den Sanktionen gegen den Patriarchen soll das sechste grosse Sanktionspaket der EU gegen Russland noch zahlreiche weitere Massnahmen enthalten. So ist geplant, die grösste russische Bank, die Sberbank, aus dem Finanzkommunikationsnetzwerk Swift auszuschliessen. Zudem sollen mehrere russische Nachrichtensender in der EU verboten werden.

Der wirtschaftlich besonders relevante Boykott gegen Öllieferungen aus Russland sieht vor, im kommenden Jahr auf dem Seeweg kein Öl mehr in die EU zu lassen. Lediglich Ungarn, die Slowakei und Tschechien sollen wegen ihrer grossen Abhängigkeit noch bis auf Weiteres russisches Öl über die Druschba-Pipeline importieren dürfen.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zufolge wird die EU trotz der Ausnahme für Pipeline-Lieferungen bis Ende des Jahres rund 90 Prozent weniger Öl aus Russland beziehen. Nach Schätzungen der EU-Denkfabrik Bruegel gaben EU-Staaten bis vor Kurzem noch täglich etwa 450 Millionen Euro für Öl aus Russland sowie 400 Millionen für Gas aus.

Was passiert jetzt?

Wie der Streit gelöst werden könnte, war am Mittwochabend zunächst unklar. Nach Angaben von Diplomaten könnte es an diesem Donnerstag am Rande eines EU-Ministertreffens in Luxemburg weitere Gespräche und einen neuen Einigungsversuch geben. (sda/dpa)

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143 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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du_bist_du
02.06.2022 04:33registriert Mai 2020
Selber Schuld wer auf die Idee kam, Länder wie Ungarn in einen Verein aufzunehmen, bei dem Einstimmigkeit und keine Möglichkeit eines Ausschlusses festgeschrieben sind.
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kleine_lesebrille
02.06.2022 05:27registriert Mai 2022
Wenn sich jemand aus der EU für den Patriarchen Kirill einsetzen sollte, dann wäre dies das orthodoxe Griechenland. Dem ist aber nicht so.

Somit stellt sich die Frage: was ist das Motiv von Machtpolitiker Orban, sich plötzlich für einen Kirchenführer einzusetzen, der zur ungarischen Gesellschaft gar keinen Bezug hat?
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Callao
02.06.2022 06:27registriert April 2020
Nach diesem Krieg müssen Institutionen wie EU, NATO, etc. rigoros über die Bücher gehen. Es kann nicht sein, dass Einzelne aufgrund dubioser Partikularinteressen ganze Gruppen aufhalten können.
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