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Russland-Ukraine: Die russische Frontlinie verlagert sich

Die russische Frontlinie verlagert sich – doch: «Der Krieg ist noch lange nicht vorbei»

Die russische Armee hat sich aus dem Grossraum Kiew zurückgezogen. Wohin die Truppen sind und was als Nächstes passieren könnte – ein Überblick über die Lage in der Ukraine.
04.04.2022, 19:0704.04.2022, 19:39
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Auch am 40. Kriegstag in der Ukraine haben die russischen Streitkräfte die wichtigsten Ziele, die sie sich für ihren Krieg gesetzt haben, noch nicht erreicht. Im Gegenteil: Seit dem 31. März ziehen sich russische Truppen aus dem Grossraum Kiew nach Belarus, Russland und in den Donbas zurück.

Trotzdem: «Der Krieg ist noch lange nicht vorbei und könnte sich noch zugunsten Russlands wenden, wenn das russische Militär eine erfolgreiche Operation in der Ostukraine durchführen kann», analysieren Frederick W. Kagan, George Barros und Karolina Hird von der US-Denkfabrik «Institute for the Study of War» (ISW).

Eine Visualisierung des Rückzuges, Stand 3. April, liefert ebenfalls das ISW:

@TheStudyofWar
Bild: Screenshot Twitter @TheStudyofWar

Die Situation in Kiew und im Norden

Die Ukraine hat die Schlacht um Kiew gewonnen – zumindest vorläufig: Die russischen Streitkräfte haben ihren Rückzug abgeschlossen. Ein Grossteil der russischen Truppe soll sich nun östlich des Dnepr befinden, weitere Einheiten in Belarus und Westrussland schreiben Kagan, Barros und Hird.

Der Rückzug sei teilweise ungeordnet verlaufen, weshalb einige russische Truppen zurückgeblieben sind. Die ukrainische Regierung bezeichnet diese Soldaten und Truppeneinheiten als «verlorene Orks». Der Leiter der regionalen Militärverwaltung von Kiew, Alexander Pavlyuk, kündigte an, dass der Oblast Kiew nun von diesen Zurückgelassenen «geräumt» werden soll.

Franz-Stefan Gady vom «The International Institute for Strategic Studies» (IISS) hingegen schreibt am 04. April, dass wohl doch keine russischen Soldaten oder Truppeneinheiten zurückgelassen worden seien.

Die unkoordinierte Hast des russischen Rückzugs könnte darauf hindeuten, dass zumindest einige der Einheiten, die sich jetzt in Belarus und Westrussland befinden, vorübergehend kampfunfähig sind.

Dennoch relativieren Kagan, Barros und Hird im Hinblick auf die Situation im Donbass und ein mögliches Ende des Krieges: «Der ukrainische Sieg in der Schlacht um Kiew ist wichtig, aber nicht entscheidend.»

Die Situation im Süden

Die russischen Streitkräfte haben in den letzten Tagen ihre Offensivoperationen im Süden fortgesetzt: Der ukrainische Generalstab meldete am 3. April, dass russische Truppen um die Rückeroberung von Cherson kämpften, nachdem die ukrainischen Streitkräfte Mitte März die Kontrolle über die Stadt zurückgewonnen hatten.

Aus Odessa wurden ebenfalls vereinzelte Kampfhandlungen gemeldet.

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Die Situation in Mariupol und Charkiw

Weiterhin unter Beschuss ist Charkiw. Der ukrainische Generalstab meldete am 2. April, dass die Intensität der Bombardierungen allerdings etwas nachgelassen habe.

Über die Vorgänge in Mariupol liegen nur wenige Informationen vor, was wahrscheinlich auf den Verlust bzw. die Unterbrechung der Kommunikation mit der Hafenstadt zurückzuführen ist. Russische Medien berichteten am 2. April von Kämpfen in der Stadt.

Kagan, Barros und Hird vermuten, dass Russland die endgültige Einnahme der Stadt wahrscheinlich zu Propagandazwecken nutzen werde. Dass dies noch nicht stattgefunden hat, könne darauf hindeuten, dass die Einnahme noch nicht abgeschlossen sei.

Mariupol liegt im Süden der Oblast Donezk – allerdings noch nicht im Gebiet, das von den Separatisten der selbsternannten Volksrepublik Donezk (DNR) kontrolliert wird. Für die nächsten Tage prognostizieren Kagan, Barros und Hird, dass die russischen Streitkräfte wahrscheinlich Mariupol sichern werden und danach versuchen könnten, nordwestlich der Stadt neue Offensivoperationen zu starten, um ihren Anspruch zu stärken, die ganze Oblast Donezk der DNR einzuverleiben.

Die Situation in den selbsternannten Volksrepubliken im Donbas

Die derzeitige russische Besatzungslinie in der Süd- und Ostukraine stellt einen erheblichen Zugewinn an russisch kontrolliertem Gebiet seit Beginn des Krieges dar.

Dem ukrainischen Generalstab zufolge griffen russische Einheiten ukrainische Stellungen an verschiedenen Orten im Gebiet Donezk an, erzielten aber nur wenige Erfolge. Berichte in sozialen Medien lassen schwere Kämpfe in Donezk in den letzten Tagen vermuten.

Der ukrainische Gouverneur des Gebiets Luhansk behauptete am 3. April, dass die Bürgermeister der Städte Rubischne, Milowe, Stanytsia Luhanska und Markiwka mit der selbsternannten Volksrepublik Luhnansk (LNR) zusammenarbeiten würden. Beamte der LNR behaupteten zudem, ukrainischen Streitkräfte hätten die Stadt Rubischne stark beschädigt. Beide Aussagen sind aktuell nicht unabhängig überprüfbar.

Aus dem Bericht des ukrainischen Generalstabs vom 2. April geht hervor, dass die russischen Streitkräfte Rubischne noch nicht gesichert habe.

(yam)

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31 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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El Vals del Obrero
04.04.2022 19:34registriert Mai 2016
Vorbei ist es sicher nicht. Aber es scheint doch den (vielleicht trügerischen) Anschein zu erwecken, dass die Russen oder genauer Putin eine Eroberung des ganzen Landes vielleicht als nicht mehr realistisch anschauen.
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neoliberaler Raubtierkapitalist
04.04.2022 19:20registriert Februar 2018
Eine gewonnene Schlacht ist noch lange kein gewonnener Krieg. Die Russen werden kompakter angreifen und weniger verwundbar sein. Auf der anderen Seite konnten sich die Ukrainer organisieren und der Krieg wird weitergehen.
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Cpt. Jeppesen
04.04.2022 20:15registriert Juni 2018
Die Russen haben sich aus dem Norden zurückgezogen, dafür haben sie die Stadt Izyum eingenommen. Izyum ist ein strategisch wichtiger Verkehrsknotenpunkt im Osten der Ukraine. Gelegen an einer Flussschlaufe ist es der Brückenkopf auf dem Weg nach Dnipro, was das vermutete Ziel der russischen Armee ist. Russland würde die Ukraine gerne zwei zuteilen, entlang der Dnjeper, von Nord nach Süd.
Minimal Ziel ist rechts der Linie von Kharkiv nach Mariupol plus die Küste ab Kherson entlang der Azov-See unter russische Kontrolle zu bekommen.
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