Das Treffen war von bangen Erwartungen begleitet. Wie würde sich Annalena Baerbock, eine 41-Jährige mit wenig politischer und diplomatischer Erfahrung, beim Treffen mit Sergej Lawrow in Moskau behaupten? Der russische Aussenminister ist mit 71 Jahren nicht nur wesentlich älter. Er ist auch berüchtigt für seine bärbeissigen Auftritte.
Den EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell, eigentlich ein alter Hase, hat er vor einem Jahr regelrecht vorgeführt. Würde er mit Baerbock ähnlich umspringen? Immerhin sind die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland derzeit ziemlich frostig. Und der russische Truppenaufmarsch im Grenzgebiet zur Ukraine trägt nicht zur Entspannung bei.
Es gebe keine Alternative zu einem guten Verhältnis zwischen Moskau und Berlin, sagte Lawrow zu Beginn des Treffens am Dienstag. Russland wünsche sich konstruktivere Beziehungen zu Deutschland – auf Augenhöhe und unter Berücksichtigung der jeweiligen Interessen, meinte der Chefdiplomat mit Blick auf eine Vielzahl an Konfliktthemen.
Als er mit Baerbock am frühen Nachmittag Ortszeit schliesslich vor die Medien trat, geschah dies mit einer Verspätung von mehr als 90 Minuten. Offenbar hatten sie die «Überzeit» konstruktiv genutzt. Der russische Haudegen jedenfalls gab sich handzahm. Zwar wiederholte er die bekannten Vorwürfe an NATO, USA und das ukrainische «Regime».
Gleichzeitig aber sandte Sergej Lawrow auch versöhnliche Signale aus, indem er sich zum Minsker Abkommen (das eine Autonomie für die Separatistengebiete im Donbass vorsieht) sowie zum Normandie-Format mit Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine bekannte. In letzter Zeit hatte Moskau in erster Linie den Kontakt zu den USA gesucht.
Von einer Entspannung im Ukraine-Konflikt aber ist man weit entfernt. Die Kriegsgefahr ist nicht gebannt. Es sei schwer, die russische Truppenkonzentration «nicht als Drohung zu verstehen», betonte Annalena Baerbock vor den Medien. Insgesamt hat sie die erste grosse Bewährungsprobe in ihrer etwas mehr als einmonatigen Amtszeit bestanden.
Allerdings durfte der alte Fuchs Sergej Lawrow seine junge Amtskollegin nicht «allzu sehr» düpieren, ohne gleichzeitig Bundeskanzler Olaf Scholz zu verstimmen, so der «Spiegel». Man setze im Kreml darauf, dass Scholz langfristig für einen eher milden Kurs gegenüber Russland sorgen werde. Das dürfte auch im Interesse seiner Partei sein, der SPD.
Sie ist die «Seniorpartnerin» in der Ampelregierung. Zum Ukraine-Konflikt waren in den letzten Tagen Wortmeldungen zu vernehmen, die an die Appeasement-Politik des britischen Premierministers Neville Chamberlain gegenüber Adolf Hitler erinnerten. Der «Spiegel» diagnostizierte «viel Realitätsverweigerung in Bezug auf Russland» in der Kanzlerpartei.
So liess Fraktionschef Rolf Mützenich Verständnis für russische Bedrohungsgefühle erkennen, obwohl diese eigentlich in umgekehrter Richtung vorhanden sind. Und Generalsekretär Kevin Kühnert mahnte, man dürfe potenzielle internationale Konflikte «nicht herbeireden», als ob Russlands Drohgebärden gegenüber der Ukraine imaginiert wären.
Weite Teile der SPD seien «im Umgang mit Moskau in einer Nostalgie gefangen, die man eigentlich eher von der Linkspartei kennt», kritisierte der «Spiegel». Dabei geht es auch um die umstrittene Pipeline Nord Stream II. Sie gilt als mögliches Sanktionsinstrument im Falle einer russischen Invasion in der Ukraine. Davon will die SPD jedoch nichts wissen.
Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz, der nicht als Russland-«Versteher» gilt, bezeichnete Nord Stream II als «privatwirtschaftliches Projekt». Dabei ist die Gaspipeline, für die der letzte SPD-Kanzler Gerhard Schröder intensiv lobbyiert hatte, eine hochgradig politische Angelegenheit. Der grüne Koalitionspartner hatte sie stets abgelehnt.
Das macht es für Annalena Baerbock nicht einfacher. Die Grünen-Politikerin will die deutsche Aussenpolitik nach dem knallharten Pragmatismus der Merkel-Jahre vermehrt an moralischen Werten wie den Menschenrechten ausrichten. Die SPD hingegen setzt weiter auf eine an Wirtschaftsinteressen orientierte Realpolitik, auch im Umgang mit China.
Im Ukraine-Konflikt blieb der Aussenministerin deshalb kaum eine andere Option, als ein Zeichen zu setzen, indem sie vor ihrem Moskau-Besuch am Montag zuerst nach Kiew reiste. Viel mehr als Worte konnte Baerbock der ukrainischen Regierung jedoch nicht bieten, schon gar nicht die erhofften Waffenlieferungen. Diplomatie sei «der einzig gangbare Weg», sagte sie.
Allerdings fragt sich, wie viel Einfluss die russische Diplomatie in diesem Konflikt (noch) hat. Westliche Beobachter waren irritiert über die Auftritte der russischen Delegation in den Gesprächen von letzter Woche mit den USA in Genf, im NATO-Russland-Rat und bei der OSZE. Sie wiederholte praktisch nur die aus westlicher Sicht unerfüllbaren Forderungen.
Sergej Lawrow gab sich nach dem Treffen mit Baerbock konzilianter. Dennoch glauben Kritiker, dass der russische Sicherheitsapparat in Sachen Ukraine das Sagen hat. Am Ende aber bestimmt Präsident Wladimir Putin. Die entscheidende Frage wird sein: Kann er das Säbelrasseln ohne Gesichtsverlust beenden? Vielleicht weiss Putin es selbst noch nicht.
Weder sie, noch Lawrow vertreten ihre eigenen Interessen, sondern sind im Auftrag ihrer Regierungen unterwegs.