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In Russland wurde gewählt – nur gemerkt hat es niemand

In Russland wurde gewählt – nur gemerkt hat es niemand

Praktisch im Verborgenen hat Russland seine Gouverneure, Lokalparlamente, Stadträte gewählt. Über einen Prozess, den das Regime längst hingerichtet hat.
10.09.2024, 04:3610.09.2024, 04:36
Inna Hartwich, Moskau / ch media
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«Die Wahl verlief reibungslos und störungsfrei», so bilanziert der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin die dreitägige Wahl des Moskauer Stadtparlaments. Er hätte auch sagen können, die Wahl sei völlig unbemerkt verlaufen. So unauffällig, als hätte es gar keine Wahl gegeben.

epa11593068 A man casts his ballot to elect the new Kursk regional governor during the single election day, at a mobile polling station in Kursk, Russia, 08 September 2024. Four candidates are running ...
Ein Mann gibt in der von der Ukraine angegriffenen Region Kursk seine Stimme in eine mobile Urne ab.Bild: keystone

Denn an sich gab es auch keine Wahl in Russland. Es wurden zwar quer durchs Land – oft mit mehr als 80, manchmal sogar 90 Prozent – neue Gouverneure bestimmt, die letztlich nur ihre vorherige Stellung weiterführen dürfen, es wurden Lokalabgeordnete bestätigt oder neu auf die Posten gesetzt und auch Stadträte ins Amt befördert oder in diesem Amt belassen, eine wirkliche Auswahl aber haben die Menschen seit Jahren nicht. Diese Abstimmung jedoch zeigte, wie der politische Prozess einer Wahl praktisch vor den Augen der Wähler hingerichtet wird.

Seit vergangenem Freitag gaben die Menschen ihre Stimmen ab. Meist online. Um im Wahllokal abzustimmen, mussten sie sich – auch das meist online – anmelden. So sassen manche Wahlleiter in den Wahllokalen tagelang nur herum, aber es kam niemand, um sein Kreuz auf einem Zettel zu machen.

In Moskau waren 44 Plätze des städtischen Parlaments zu besetzen. Sicher drin sind der Sohn eines kremlloyalen Sängers, die Direktorin des Theaters der russischen Armee, eine mehrmalige Weltmeisterin und Europameisterin im Eiskunstlauf. Kandidaten, die der Staatsmacht genehm sind. Unbequeme Kandidaten hatten gar nicht erst die Chance, überhaupt zur Wahl zugelassen zu werden.

Selbst über die Wahl zu reden, ist verboten

Seit Mai darf kein sogenannter «ausländischer Agent» bei Wahlen teilnehmen. Die so Gebrandmarkten dürfen nicht einmal über die Wahl reden, auch keine Kandidaten unterstützen, sonst bekommen auch diese ein Problem mit der Staatsmacht. Wollen oppositionell Gesinnte sich zur Wahl registrieren lassen, laufen sie Gefahr, auf der Liste der «Agenten» zu landen. Damit wird ihr Leben bürokratisch erschwert, politisch sowieso.

Sie sind letztlich geächtet im Land, müssen vor sich überall warnen. Tun sie das nicht, riskieren sie Strafen, auch Haft. Die Regionalwahl war nun die erste, bei der diese Neuerung angewendet wurde. Sie zeigte ihre Wirkung. Kein auch nur annähernd kritisch eingestellter Mensch durfte antreten.

Vor fünf Jahren noch waren in Moskau Zehntausende Menschen, Samstag für Samstag, auf die Strassen der Hauptstadt gezogen, um ihren Unmut loszuwerden. Sie hatten die Wahl der Moskauer Stadtduma, dieser Institution, die kaum politisches Gewicht hat, zu ihrem Ventil für den Kampf gegen systematische politische Repressionen im Land gemacht.

Vorbei die Zeiten. Heute geht kaum einer auf die Strasse. Nur noch vereinzelt stehen unfassbar Mutige mit ihren Plakaten bei Einzelmahnwachen in den Zentren ihrer Städte. Sie fordern meist Freiheit für politische Gefangene und riskieren, selbst zu solchen zu werden. Der Staat duldet keinen Protest. Er duldet keine Kritik, keine Opposition.

Hinter jeglicher kritischer Haltung sieht das System Putin ausländischen Einfluss. Keiner darf im Land ein politisches Subjekt sein. Der Staat redet den Menschen ein, er wisse, was für diese gut sei. Die meisten fügen sich und machen – wenn verlangt – ihr Kreuz dort, wo der Chef das Kreuz zu machen befohlen hatte. Sie wollen keinen Ärger.

Das Wahlgesetz stellt derweil jedes beliebige Ergebnis sicher, die Gesellschaft kann es gar nicht kontrollieren, sie darf es auch nicht. Die repressiven Gesetze machen es unmöglich. Möglich wird dadurch ein Staat, deren Regierungspartei nach einer fast schon still verlaufenen Wahl sagen kann:

«Wir haben die Mehrheit. Unsere Macht ist legitimiert.»

(aargauerzeitung.ch)

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14 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Unicron
10.09.2024 06:55registriert November 2016
Das ist genau das System auf welches Trump oder die AfD hin arbeiten. Leute wie Orban haben es schon grösstenteils umgesetzt.
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skandalf
10.09.2024 07:13registriert November 2021
So sind sie, die xi-jong Putins dieser Welt.
Solcher Leute Verlust wäre ein Gewinn für alle anderen.
Also bitte genau zielen beim wiedereintritt der iss 😀
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