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Ukraine-Russland: Sasha Skochilenko droht Haft – wegen Preisschildern

Wie diese Preisschilder eine russische Aktivistin in den Knast brachten

Eine russische Künstlerin sitzt wegen Anti-Kriegs-Flugblättern in Haft. Sie waren als Preisschilder getarnt in russischen Supermärkten aufgetaucht.
14.04.2022, 15:5014.04.2022, 16:02
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Aufgrund der rigorosen Zensur und der strammen Kremltreue der Staatsmedien, haben viele Menschen in Russland ein verzerrtes Bild von der «militärischen Spezialoperation in der Ukraine», wie der Ukraine-Krieg in Russland gelabelt wird.

Darum haben sich Aktivisten in St. Petersburg eine besondere Protestaktion einfallen lassen, um ihre Landsleute über die Realität in der kriegsgebeutelten Ukraine aufzuklären: Sie ersetzten Preisschilder in Läden mit Anti-Kriegs-Flugblättern. Die Aktivistin Sasha Skochilenko wurde deswegen in Untersuchungshaft genommen. Ihr drohen bis zu zehn Jahren Gefängnis.

Eine Chronologie der bisherigen Ereignisse:

Der farbenfrohe Protest

Die Russin Sasha Skochilenko ist gegen den Krieg in der Ukraine. Und sie hat keine Hemmungen, dies laut kundzutun: Ihre Social-Media-Kanäle sind bunt und voller Anti-Kriegsnachrichten und Kritik an der Regierung.

So schrieb sie zum Beispiel auf Instagram:

«Das Schlimmste ist, dass einige unserer Landsleute den Wert des menschlichen Lebens wirklich nicht verstehen. Die unterstützen Gewalt und sehen darin einen Wert. Sie versuchen, uns die Vorstellung aufzudrängen, dass es unwürdig, beschämend oder falsch ist, zum Frieden aufzurufen, und dass man dafür bestraft wird.»

Um sich friedlich gegen den Krieg aufzulehnen, organisierte Skochilenko unter andere einen «Peace-Jam», um Musik gegen den Krieg zu machen sowie Banner gegen den Krieg zu malen:

«Sasha war nie eine politische Aktivistin», sagte der Journalist und enge Freund Skochilenko, Arseniy Vesnin, gegenüber dem russischen, kremlkritischen Newsportal Mediazona.

Und weiter:

«Sie lebt ein normales Leben (...) Der Krieg hat uns alle sehr beeindruckt und natürlich auch Sasha als kreative Person. Auf all das versuchte sie durch Musik eine Antwort zu geben.»

Die Preisschild-Flugblätter

Am 31. März 2022 ersetzen Skochilenko und einige Mitstreiter in Geschäften in St. Petersburg Preisschilder an den Regalen durch kleine Flugblätter, die gegen den Krieg in der Ukraine protestieren. Dabei sahen die kleinen Flugblätter auf den ersten Blick aus wie Preisschilder.

Das Ziel der Aktion: Russen auf die verzweifelte Situation von Ukrainern aufmerksam machen. So steht zum Beispiel auf einem der Flugblätter: «Russische Truppen hinderten 14 Lastwagen, die mit humanitärer Hilfe beladen waren, an der Einfahrt in die Region Cherson. Die Zivilbevölkerung braucht aber Nahrung und Wasser» oder «Die russische Armee hat eine Schule in Mariupol zerbombt. Ungefähr 400 Menschen versteckten sich darin vor den Bomben».

Die Idee, Preisschilder in Geschäften mit Informationen über den Krieg in der Ukraine zu ersetzen, soll im Telegrammkanal des Feministischen Antikriegswiderstands (FAS) entstanden sein. Der FAS schreibt: «Die Behörden haben uns lange Zeit nicht als politische Bewegung wahrgenommen, und deshalb waren wir zeitweise weniger von Repression betroffen als andere.» Doch man rufe alle Feministinnen des Landes dazu auf, sich weiterhin aktiv gegen den Krieg in der Ukraine aufzulehnen.

Auf Telegramm erklärten die Aktivistinnen, warum sie für ihre Aktion auf das ungewöhnliche Medium Preisschilder zurückgegriffen haben:

«Indem wir etwas Alltägliches wie Preisschilder durch etwas Fremdartiges und Ungewöhnliches ersetzen, zeigen wir, dass es keine einzige Ecke unseres Landes gibt, die vom Krieg nicht betroffen wären (...) Bei stetig steigenden Preisen werden die Schilder noch mehr Aufmerksamkeit erregen als sonst.»
Screenshot Telegramm femagainstwar
Screenshot Telegramm femagainstwar.Bild: Telegramm femagainstwar

Die Verhaftung

Am 11. April 2022 wird Skochilenko wegen Verdachts auf Verbreitung von «Fake News» über die russische Armee festgenommen. Die Umstände der Verhaftung seien «ziemlich seltsam» gewesen, wie Vesnin Mediazona erklärte.

An Morgen habe eine Freundin der Künstlerin eine Nachricht an Skochilenko geschrieben, dass Vertreter des Untersuchungsausschusses eine Leiche suchten und darum das Haus der Freundin durchsuchen würden, erklärte Vesnin. Skochilenko sei daraufhin zum Haus ihrer Freundin geeilt, wo Sicherheitskräfte bereits auf sie gewartet hätten. Vesnin glaubt, dass die Geschichte mit der Leiche bloss ein Vorwand gewesen sei, um die Kriegsgegnerin an einen bestimmten Ort zu locken und sie verhaften zu können.

Zuerst sei er davon ausgegangen, dass die Inhaftierung der Musikerin mit dem «Peace-Jam» zusammenhängen könnte, wie Vesnin Mediazona erklärte. Es stellte sich aber heraus, dass er sich irrte: Skochilenko wurde wegen der Fake-Preisschilder festgenommen.

Dmitry Gerasimow, der Anwalt Skochilenkos, sagte gegenüber Mediazona, dass die Künstlerin nicht leugne, Antikriegspreisschilder im Supermarkt angebracht zu haben. Allerdings sei sie davon überzeugt, dass die Informationen auf den Preisschildern keineswegs falsch seien.

Gegenüber der russischen Zeitung «Paper» erklärte Gerasimow, dass die Untersuchung eingeleitet worden sei, weil einer der Kunden die Polizei kontaktiert habe. Daraufhin habe man Skochilenko auf einer Überwachungskamera identifizieren können.

Die Untersuchungshaft

Am 13. April 2022 wird bekannt, dass Skochilenko in Untersuchungshaft kommt, wie die russische Zeitung Paper vermeldet. Dort wartet sie nun auf ihren Prozess. Vermuteter Straftatbestand: Aufgrund von politischem Hass vorsätzlich «Fake News» über die russische Armee verbreitet zu haben.

Mehrere Politiker sprachen sich mitlerweile gegen die Inhaftierung Skochilenko aus. Laut Gerasimow werden die Verhandlungen auf Wunsch des Ermittlers hinter verschlossenen Türen abgehalten werden.

Bei einer Verurteilung drohen Sasha Skochilenkobis zu 10 Jahren Haft.

(yam)

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19 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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TanookiStormtrooper
14.04.2022 16:30registriert August 2015
Und die Schwurbler, die sich hier vor kurzem noch in einer Diktatur wähnten, huldigen nun Putin. 🤷‍♂️
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Kommissar Rizzo
14.04.2022 16:43registriert Mai 2021
Wieder eine mutige Frau. Bravo!
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Gnuh
14.04.2022 17:27registriert März 2021
Mutig. Respect.
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