Mit einer Kugel im Kopf im Swimmingpool treibend und einer Pistole sowie leeren Patronenhülsen am Beckenrand – so wurde der russische Wirtschaftskapitän Juri Woronow (61) kürzlich auf dem Anwesen seiner St. Petersburger Villa gefunden. Das berichtete das britische Boulevardmedium «Daily Mail». Woronow, Multimillionär und Chef des Unternehmens Astra Shipping, das Geschäftsverbindungen zum russischen Grosskonzern Gazprom hatte, ist nicht der erste russische Topmanager, der seit Jahresbeginn unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen ist.
Seit Januar 2022 häufen sich rätselhafte Todesfälle russischer Schwerreicher. Auffällig: Fast alle Toten haben, direkt oder indirekt, Verbindungen zu grossen, russischen Energiekonzernen. Drei von ihnen wurden gar in derselben Wohngegend nahe St. Petersburg gefunden. Als erster in der Liste der Topmanager segnete Leonid Shulman das Zeitliche. Der 60-jährige Gazprom-Kader wurde im Januar tot im Badezimmer eines Landhauses nahe St. Petersburg gefunden. Laut Polizei war es ein Selbstmord.
Einen Tag nach Kriegsbeginn in der Ukraine dann wurde Alexander Tyulyakov (61), der stellvertretende Generaldirektor von Gazprom, erhängt in der Garage einer Hütte, ebenfalls nahe St. Petersburg, gefunden. Auch neben seiner Leiche fand die russische Polizei eine Notiz, die auf einen Suizid hindeutete. Im April wurde der ehemalige Vizepräsident der Gazprombank, Vladislav Avaev (51), zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter tot in seiner Moskauer Luxuswohnung gefunden.
SIX Russian businessmen die 'by suicide' within three months https://t.co/2x2cOjgyVq
— Daily Mail Online (@MailOnline) April 30, 2022
Die Wohnung war von innen verschlossen und in Avaevs Händen wurde eine Pistole gefunden, was die Ermittler dazu veranlasste, die Theorie zu untersuchen, dass Avaev seine Frau und seine 13-jährige Tochter erschossen hatte, bevor er sich selbst richtete. Die Gazprombank befindet sich in Privatbesitz und ist die drittgrösste Bank in Russland.
Noch ein Beispiel gefällig? Im April wurde Sergey Protosenya, ehemaliger Topmanager des Gazprom-Konkurrenten Novatek, erhängt im Garten einer gemieteten Villa im spanischen Ferienort Lloret de Mar gefunden. Die Frau und Tochter des 55-jährigen Millionärs fand die katalanische Polizei mit Stichwunden an ihren Körpern in ihren Betten.
Die russische Zeitung «Kommersant» berichtete zudem über den Tod des Milliardärs Wassili Melnikov in seiner Luxuswohnung in der Stadt Nischni Nowgorod. Melnikov, der Berichten zufolge für die medizinische Firma MedStom arbeitete, seine Frau und die beiden Söhne waren alle an Stichwunden gestorben und die Tatwaffen wurden am Tatort gefunden. Laut den Ermittlern soll Melnikov die Familienmitglieder getötet haben, ehe er sich selbst richtete.
Mindestens neun schwerreiche Russen sind seit Januar um solch mysteriöse Umstände gestorben. Wie bei vielen der Genannten kamen die russischen Ermittler beim jüngsten Fall um den im Pool aufgefundenen Juri Woronow zum Schluss, dass es sich um einen Selbstmord handeln müsse. Die mysteriösen Todesfälle lassen Raum für allerlei Spekulationen. So mutmassten zahlreiche Experten und Medien, dass die «Selbstmordwelle» fingiert sei. Es wurde spekuliert, der Kreml habe bei den Todesfällen «nachgeholfen».
Tatsächlich erinnern die Fälle an die spektakulären Mordanschläge auf Kremlkritiker in der Vergangenheit. Etwa an Alexej Nawalny, der vergiftet wurde, oder der ehemalige Geheimdienstler Sergej Skripal sind nur die bekanntesten Beispiele. Aber: Keiner der 2022 ums Leben gekommenen, russischen Topmanager, war für kritische Äusserungen bekannt. Andererseits erschien auch keiner von ihnen auf einer der internationalen Sanktionslisten.
In einem Bericht der polnischen Denkfabrik «Warschau-Institut» heisst es, dass zumindest an den Tatorten in Russland, innert kürzester Zeit nicht nur die russische Polizei, sondern auch der Sicherheitsdienst von Gazprom Untersuchungen aufgenommen habe. «Möglicherweise», heisst es in dem Bericht, «versuchen jetzt einige Leute, Spuren von Betrug in staatlichen Unternehmen zu vertuschen».
Ein schwedischer Wirtschaftswissenschaftler äusserte in der «New York Post» zudem die Vermutung, wonach zumindest die Todesfälle der ehemaligen Gazprom-Managern in einem Zusammenhang stünden. Eine russische Quelle habe ihm bestätigt, dass Listen des Kremls mit zu liquidierenden Personen existierten. «Putin finanziert einen Grossteil seiner Geschäfte über Gazprom und die Gazprombank. Und die Führungskräfte, die dort arbeiten, wissen alles über diese geheime Finanzierung.» So könne auch die Finanzierung der Invasion der Ukraine durch die Gazprombank sichergestellt worden sein.
Im Fall des ehemaligen Vizepräsidenten der Gazprombank Avaev äusserte Igor Wolobujew, der früher ebenfalls für die Bank gearbeitet hatte, die These, «dass mein Kollege vielleicht zu viel wusste und deswegen eine Gefahr darstellte».
Beweise für diese These gibt es allerdings nicht. Ein Zusammenhang zwischen den Todesfällen lässt sich nur vermuten. Die Frau des verstorbenen Juri Woronow soll der Polizei erklärt haben, dass ihr Mann vor der Abreise im Streit mit seinen Geschäftspartnern gewesen sei. Sie sagte den Ermittlern, dass ihr Mann geglaubt habe, er sei von «unehrenhaften» Geschäftspartnern um «viel Geld» gebracht worden.
Es könnte sich also um einen Kleinkrieg im russischen Energiesektor handeln, worauf auch zahlreiche Experten spekulieren, da die toten Topmanager keine Oligarchen mit einem grossen politischen Einfluss waren, sondern reiche Männer mit niedrigem Dienstgrad. Diese Annahme würde die polizeiliche These von Suiziden jedoch ebenfalls unglaubwürdig machen, an welche die Verwandten und Bekannten der Toten ohnehin nicht glauben, sofern sie noch am Leben sind. (bzbasel.ch)
Verfolgt den Weg vom Geld und man hat Gewissheit.