Normalerweise lässt Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán kaum eine Gelegenheit aus, um über die «Bürokraten» bei der EU herzuziehen. Jetzt aber ist er froh, dass da in Brüssel jemand sitzt, den er anrufen kann.
Denn Orbán hat ein massives Problem: Nachdem er mit seiner umstrittenen «Friedensmission» bei Wladimir Putin nicht nur die EU-Partner, sondern auch die Ukraine verärgert hatte, hat Kiew entschieden, dem prorussischen Treiben in Budapest nicht mehr länger tatenlos zuzuschauen.
Konkret: Die Ukraine dreht Ungarn den Hahn zu und leitet seit einigen Tagen kein Öl des russischen Konzerns Lukoil mehr via die «Druschba»-Pipeline nach Ungarn weiter. Die von der Ukraine verhängten Sanktionen sind zwar bereits seit Juni in Kraft. Offenbar werden sie aber erst jetzt richtig angewendet.
Für Ungarn wird es nun brenzlig. Auch zwei Jahre nach Kriegsbeginn hängt das Land stark am russischen Öl-Tropf. Über 70 Prozent seines Öls kommt via die Ukraine aus Russland. Davon stammt die Hälfte von Lukoil. Ohne diese Importe drohen die Energiepreise in die Höhe zu schiessen. Es könnte sogar zu Stromausfällen und Benzin-Engpässen kommen.
Dementsprechend alarmiert ist man in Budapest. Anfang Woche schickte die ungarische Regierung zusammen mit der Slowakei, die vom Öl-Stopp ebenfalls betroffen ist, einen Brief an die EU-Kommission und forderte sie zum Eingreifen auf. Die ukrainischen Massnahmen seien «inakzeptabel» und würden die Energieversorgung Ungarns fundamental bedrohen, so Aussenminister Péter Szijjártó. Und das von einem Land, das in die EU strebe.
In Brüssel, wo sich der Betrieb Ende der Woche in die Sommerpause verabschiedet, scheint man es jedoch nicht besonders eilig zu haben. Man werde den Inhalt des Briefes analysieren und dann über weitere Schritte entscheiden, teilte ein EU-Sprecher mit.
Eigentlich hat die EU längst ein Embargo auf russisches Pipeline-Öl verhängt. Für einige Länder ohne Meerzugang wie Ungarn, die Slowakei oder Tschechien wurden aber Ausnahmen geschaffen. Die Bedingung dafür war, dass sich die Staaten in Zwischenzeit um alternative Versorgungswege bemühen. Das hat Ungarn nicht getan. Im Gegenteil: Ungarn hat seine Öl-Importe über die Druschba-Pipeline um mehr als die Hälfte gesteigert.
Allein im vergangenen April kaufte Ungarn russisches Rohöl im Wert von 250 Millionen Euro. Und auch beim Gas hat Ungarn entgegen dem Stopp in der EU neue Verträge mit Russland abgeschlossen und die Import-Menge erhöht.
Auf der anderen Seite blockiert Ungarn immer wieder EU-Anstrengungen, um die Ukraine mit Hilfsgeldern und Waffen zu unterstützen. Seit über einem Jahr zum Beispiel einen 6,5 Milliarden Euro schweren Unterstützungsfonds, aus dem die EU ihren Mitgliedstaaten Geld für Waffenlieferungen an Kiew zurückerstattet. Solange das Öl-Problem nicht gelöst sei, könne man es «vergessen», dass Ungarn seine Blockade des Hilfs-Fonds aufgebe, sagte Aussenminister Sziijarto am Montag.
Bei einem Treffen europäischer Staats- und Regierungschefs vergangene Woche in Grossbritannien warnte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj derweil in einer auf Orbán gemünzten Attacke vor dem Verrat an Europas Einigkeit. Selenskyj: «Wenn jemand Reisen in die Hauptstadt des Kriegs machen will, um zu reden und vielleicht irgendwas auf Kosten der Ukraine zu versprechen, warum sollten wir so eine Person beachten?»
Ungarns Russland-freundlicher Kurs ist für die EU zusätzlich ein Problem, da das Land gegenwärtig die rotierende Ratspräsidentschaft innehat und während sechs Monaten Europas Agenda mitbestimmt. Eigentlich wäre Ungarn in dieser Zeit dazu angehalten, als unparteiischer Makler im Gesamtinteresse zu handeln und sich mit eigenen Vorstössen zurückzuhalten. Viktor Orbán jedoch verhält sich genau umgekehrt und nutzt die Ratspräsidentschaft, um sich als selbst ernannter «Friedens-Aktivist» zusätzlich Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Mehrere EU-Länder haben nun entschieden, von Ungarn organisierte informelle Veranstaltungen in Budapest zu boykottieren. Ein für August angesetztes Aussenministertreffen wurde nach Brüssel verlegt. Laut EU-Chefdiplomat Josep Borrell haben am Montag viele EU-Staaten in einer Sitzung Ungarn für dessen Mangel an loyaler Zusammenarbeit kritisiert, zu der es laut EU-Verträgen verpflichtet wäre.
Meinetwegen dürfen die zuständigen EU-Beamten, welche dieses Schreiben (leider wohl oder übel) bearbeiten müssen, Ihre Sommerferien gerne um 2-3 Monate verlängern…
Und hoffentlich merken nun auch einige Fan-Buddies in Ungarn und der Slowakei, in welche unsägliche Abhängigkeiten sie durch ihre Superstrategen geführt wurden und werden…