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Voice of Europe: Sahra Wagenknecht und ihr Kanal zum Russland

epa12516399 Sahra Wagenknecht Alliance (BSW) co-chairwoman Sahra Wagenknecht looks on during a press conference on the formation of the party’s executive committee in Berlin, Germany, 10 November 2025 ...
BSW-Parteigründerin Sahra Wagenknecht: Lange wurden ihrer Partei Verbindungen zum Kreml nachgesagt. Nun liegen t-online erstmals konkrete Hinweise vor.Bild: keystone

Sahra Wagenknechts Kanal zu Russland und dem Kreml

Das BSW könnte in den Sog der «Voice of Europe»-Affäre geraten: Europaabgeordnete pflegen Kontakte zu Strippenziehern des russischen Schmiergeldnetzwerks.
22.11.2025, 22:4522.11.2025, 22:45
Jonas Mueller-Töwe, Lars Wienand / t-online
Ein Artikel von
t-online

Lange wurde über Russlandverbindungen des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) spekuliert, nun liegen erstmals konkrete Hinweise auf eine Kooperation vor: Die BSW-Europaabgeordneten Michael von der Schulenburg und Ruth Firmenich haben im Mai eine Strippenzieherin des russischen Einflussnetzwerks «Voice of Europe» in Moskau getroffen. Zumindest von der Schulenburg besuchte anschliessend mit ihr auch eine Ballettvorführung im Bolschoi-Theater. Das belegen Fotos, die t-online vorliegen.

Firmenich gilt als langjährige Vertraute der Parteigründerin Sahra Wagenknecht und arbeitet im Europaparlament eng mit von der Schulenburg zusammen. Laut Recherchen von t-online war es nicht das erste Mal, dass das Netzwerk den Kontakt zur Partei suchte. Von der Schulenburg reagierte auf Anfrage von t-online nicht. Firmenich kündigte kurz vor Veröffentlichung eine Stellungnahme an. Der Parteivorstand wiegelt ab.

Medwedtschuks Mittelsmann

Hinter dem «Voice of Europe»-Netzwerk steht europäischen Sicherheitsbehörden zufolge der putintreue Oligarch Viktor Medwedtschuk, der über das Medium Schmiergelder an europäische Politiker gezahlt haben soll. Zentraler Organisator der Machenschaften war der Ukrainer Oleg Voloshin, der für Medwetdschuk auch die Fäden der «Brics-Europe»-Konferenz im russischen Sotschi zieht. Die Veranstaltung bringt derzeit vor allem AfD-Abgeordnete in die Schlagzeilen.

Oleg Voloshin (2.v.r.) bei der Konferenz in Sotschi: Für Medwedtschuk organisiert er seit vielen Jahren die Lobbyarbeit in Europa – mutmasslich auch mit Schmiergeldern.
Oleg Voloshin (2.v.r.) bei der Konferenz in Sotschi: Für Medwedtschuk organisiert er seit vielen Jahren die Lobbyarbeit in Europa – mutmasslich auch mit Schmiergeldern.Bild: Facebook: Rada Laikova

Seit 2022 steht er unter US-Sanktionen, seit 2025 unter EU-Sanktionen. Er ist mittlerweile in Grossbritannien angeklagt, einen geständigen britischen EU-Abgeordneten für Medwedtschuk bestochen zu haben. Der Pole Dariusz Niedzwiecki, der bei der Lobbyarbeit half, ist in Polen wegen Spionage für russische Geheimdienste angeklagt. Beide bestreiten die Vorwürfe. Weitere Ermittlungen laufen in mehreren EU-Staaten, auch in Deutschland.

Gruppenfoto in Moskau

Mit der BSW-Reisegruppe nach Moskau posierte im Mai eine Frau, die zentral in Voloshins Arbeit für Medwedtschuk in Europa eingebunden ist: Voloshins Ehefrau Nadia Sass, die in Belarus bis vor wenigen Monaten eine Propaganda-Talkshow im staatlichen Fernsehen moderierte. In ihrem Telegram-Kanal schrieb sie zum Foto, das Treffen sei ihr «eine grosse Ehre und Freude gewesen». Schulenburg und weitere Mitreisende, die an staatlichen Feierlichkeiten zum Tag des Sieges teilnahmen und dafür auf Einladung nach Russland gereist waren, trugen im Moment der Aufnahme anscheinend noch Tüten mit Gastgeschenken bei sich.

Zweifelhafte Gesellschaft: Die BSW-Abgeordneten Firmenich (l.) und von der Schulenburg (3.v.r.) mit Medwedtschuks Mitstreiterin Nadia Sass (M.) und Alexander von Bismarck (2.v.r.).
Zweifelhafte Gesellschaft: Die BSW-Abgeordneten Firmenich (l.) und von der Schulenburg (3.v.r.) mit Medwedtschuks Mitstreiterin Nadia Sass (M.) und Alexander von Bismarck (2.v.r.).Bild: Telegram: Nadia Sass

Auf Anfrage von t-online sagte der designierte Parteivorsitzende Fabio de Masi, der auch Sprecher der BSW-Delegation im Europaparlament ist, von der Schulenburg sei ein erfahrener ehemaliger UN-Diplomat. «Ich kontrolliere daher selbstverständlich nicht im Detail, wen er trifft.» Es handelte sich aber offenbar nicht um einen zufälligen Schnappschuss.

Strategische Einflussnahme

Medwedtschuks Bewegung «Eine andere Ukraine», die darauf hinarbeitet, das ukrainische Staatsgebiet Russland einzugliedern, nutzte ein Video des BSW-Ausflugs nach Moskau am 9. Mai für eine Mitteilung. Voloshin selbst verbreitete am 10. Mai auf Telegram ein Handyfoto von der Schulenburgs im Gespräch mit einem Duma-Abgeordneten. Er widmete ihm über mehrere Tage weitere Beiträge, in denen er immer wieder auf den Vorfahren des BSW-Politikers einging: den Diplomaten Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg, der als deutscher Botschafter die Sowjetunion vor einem Angriff Nazideutschlands gewarnt hatte.

Von der Schulenburg in der Duma: Das Foto davon verbreitete am selben Tage Medwedtschuks Mittelsmann Voloshin.
Von der Schulenburg in der Duma: Das Foto davon verbreitete am selben Tage Medwedtschuks Mittelsmann Voloshin.Bild: Telegram / Oleg Voloshin

Bereits Monate zuvor hatte Voloshin einen Beitrag verfasst, in dem er die adelige Abstammung von der Schulenburgs und des pro-russischen Aktivisten Alexander von Bismarcks thematisierte und ihr strategischen Nutzen zuordnete: «Man sollte die Möglichkeiten, die europäische Politik über die entsprechenden Kreise zu beeinflussen, nicht unterschätzen», schrieb Voloshin. «In naher Zukunft werden Menschen aus diesem Umfeld eine wichtige Rolle beim Aufbau neuer Brücken nach Europa spielen.»

Ein «unvergesslicher Abend»

In einem öffentlich nicht einsehbaren Instagram-Beitrag am 11. Mai, einen Tag nach Abreise der BSW-Gruppe, schwärmte Voloshins Ehefrau schliesslich von einem «unvergesslichen Abend» mit von der Schulenburg und von Bismarck. Sie fügte ein gemeinsames Bild mit beiden im Bolschoi-Theater hinzu, das t-online vom britischen Medium «The Nerve» zur Verfügung gestellt wurde. Dort hatten sie am Vorabend eine Vorführung des Stücks «Shurale» besucht, die auch auf Firmenichs offiziellem Reiseprogramm stand.

Im Bolschoi-Theater: Der Europaabgeordnete Michael von der Schulenburg mit Sass und Alexander von Bismarck.
Im Bolschoi-Theater: Der Europaabgeordnete Michael von der Schulenburg mit Sass und Alexander von Bismarck.Bild: Instagra, / Nadia Sass

Sass ist dabei in Medwedtschuks Europa-Netzwerk keine Randfigur: Gemeinsam mit ihrem bestechungsverdächtigen Mann und dem spionageverdächtigen Niedzwiecki organisierte sie Trips für EU-Parlamentarier in die Ukraine. Dafür hatte sie eigens eine Stiftung in Brüssel ins Leben gerufen. Später bahnte sie als vermeintliche Journalistin Kontakte zu den Politikern an, die bei «Voice of Europe» auftraten.

Propaganda-Show in Belarus

Viele davon tauchten vorher und nachher in ihrer eigenen Talkshow im belarussischen Staatsfernsehen auf, wie t-online berichtete. Auch von der Schulenburg war im März 2025 zu einer ihrer Sendungen per Videoanruf zugeschaltet, also bereits zwei Monate vor dem gemeinsamen Foto in Moskau. In derselben Folge führte Sass auch zum wiederholten Mal ein Interview mit dem bayerischen AfD-Landtagsabgeordneten Ulrich Singer.

So ergibt sich eine weitere Parallele: Sowohl Singer als auch von der Schulenburg waren im November 2024 zur Vorjahresveranstaltung der Konferenzreihe ins russische Sotschi eingeladen, deren diesjährige Wiederauflage AfD-Politiker durch ein ursprünglich vorgesehenes, erneutes Treffen mit Putins Scharfmacher Dmitri Medwedew in die Schlagzeilen brachte.

Die Konferenz in Sotschi

Schulenburg reiste damals nicht an, liess aber vom Podium aus ein Grußwort verlesen, wie t-online berichtete. Überbringer der Nachricht war Alexander von Bismarck. Auch für die diesjährige Konferenz gingen BSW-Europaabgeordneten laut Informationen von t-online Einladungen zu. Bereits 2024 berichtete t-online über die Rolle von Sass und Voloshin bei der Konferenz.

Der Aktivist Alexander von Bismarck in Sotschi, 2024: Er überbrachte ein Grusswort von der Schulenburgs und reiste mit ihm nach Moskau.
Der Aktivist Alexander von Bismarck in Sotschi, 2024: Er überbrachte ein Grusswort von der Schulenburgs und reiste mit ihm nach Moskau.

Denn anders als von der Schulenburg, der die Einladung nach Sotschi 2024 ausschlug, reiste der AfD-Politiker Singer damals mit dem AfD-Bundestagsabgeordneten Rainer Rothfuß zur Konferenz und traf Medwedew. Beide bestätigten t-online, es seien Sass und Voloshin gewesen, die sie dorthin gelotst hätten. Reise- und Hotelkosten habe die veranstaltende Stiftung übernommen.

Ehepaar organisierte Einladungen

Maximilian Krah, ebenfalls AfD, räumte ein, er sei eigens für ein – wie er sagt «privates» – Abendessen mit dem Ehepaar nach Sotschi gejettet. Seine Verbindungen zum Netzwerk von Medwedtschuk, der während seines Trips ebenfalls in Sotschi weilte, waren über Jahre eng. Von Sass liegen t-online Fotos auf beiden Konferenzen vor.

Sotschi-Konferenz 2025: Nadia Sass (2.v.r.) auf einem Gruppenbild mit bulgarischen Abgeordneten aus der ESN-Fraktion der AfD.
Sotschi-Konferenz 2025: Nadia Sass (2.v.r.) auf einem Gruppenbild mit bulgarischen Abgeordneten aus der ESN-Fraktion der AfD.Bild: Facebook / Rada Laikova

Da passt es ins Bild, dass der «Spiegel» jüngst unter Berufung auf interne Kreml-Dokumente berichtete, Voloshin sei Hauptorganisator und Finanzier der Konferenz, die vordergründig von der russlandnahen Stiftung «Brics International Forum» veranstaltet wird. Dafür spricht, dass Medwedtschuk 2025 wieder selbst vor Ort war und seine Bewegung sich in einer Pressemitteilung erstmals damit rühmte, die Veranstaltung mitorganisiert zu haben.

Medwedtschuk zieht die Fäden

Voloshin selbst schrieb auf Telegram: «Die von den Aktivisten der Bewegung 'Eine andere Ukraine' konzipierte und geschaffene Plattform hat ihre Wirksamkeit und Tragfähigkeit unter Beweis gestellt.» Beim Medwedew-Treffen trat er an der Seite des Putin-Vertrauten auf. Sowohl er als auch seine Frau posierten mit angereisten Abgeordneten für Fotos.

Oleg Voloshin (l.), Dmitiri Medwedew (2.v.l.) mit einem bulgarischen Abgeordneten: Zog das Netzwerk auch die Fäden der Moskau-Reise?
Oleg Voloshin (l.), Dmitiri Medwedew (2.v.l.) mit einem bulgarischen Abgeordneten: Zog das Netzwerk auch die Fäden der Moskau-Reise?Quelle: Telegram

Durch die zentrale Rolle des Ehepaars für die Konferenzreihe würde sich erklären, dass die Gäste in Sotschi oft bekannte Gesichter sind: Viele der europäischen Politiker waren zuvor Interviewpartner von «Voice of Europe» und Sass' Propagandashow in Belarus. Das gilt auch für den serbischen Abgeordneten Dragan Stanojevic, der Teil von Medwedtschuks Bewegung «Eine andere Ukraine» ist und ihn in Sotschi 2024 sogar persönlich traf.

Auch er durfte im Mai 2025 mit den BSW-Abgeordneten und Sass fürs gemeinsame Foto posieren. Gemeinsam hatten sie einen Termin mit Wjatscheslaw Wolodin, dem Duma-Vorsitzenden und engen Putin-Vertrauten, der bereits die Todesstrafe für alle ukrainischen Kriegsgefangenen forderte. Am selben Tag verbreitete Voloshin das Foto von der Schulenburgs in der Duma.

Koordiniert mit dem Kreml

Zog der Oligarch Medwedtschuk also über das Ehepaar Sass-Voloshin auch die Fäden für die Reise der BSW-Abgeordneten nach Moskau? Augenscheinlich handelt es sich zumindest um eng mit dem Kreml koordinierte Bemühungen. Zwar trugen die Politiker laut ihren schriftlichen Erklärungen gegenüber dem Europaparlament ihre Kosten selbst. Offiziell eingeladen waren sie aber von der sogenannten «Russian Peace Foundation».

Die Stiftung reicht laut dem russischen Investigativportal «The Insider» regelmäßig persönliche Daten ihrer Gäste, inklusive ihrer Passdokumente, an den russischen Militärgeheimdienst GRU weiter. Geleitet wird sie von Leonid Sluzki, dem Vorsitzenden des Duma-Ausschusses für internationale Angelegenheiten. Anfang Oktober 2025 schaltete er sich mit mehreren Europaabgeordneten per Videoschalte zusammen, die anschliessend nach Sotschi reisten – unter ihnen laut Informationen von t-online Hans Neuhoff von der AfD und der BSW-Abgeordnete Jan-Peter Warnke, dem ebenfalls eine Einladung nach Sotschi zuging.

Einer der ersten Termine dort für Neuhoff und weitere Gäste aus Europa: ein Treffen mit Sluzki. Das Treffen mit Medwedew, an dem auch Voloshin teilnahm, musste für die AfD ausfallen. Die Parteispitze hatte es dem Bundestagsabgeordneten Rainer Rothfuss untersagt. Er blieb gleich ganz in Deutschland, ebenso wie die BSW-Abgeordneten.

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Die beliebtesten Kommentare
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stronghelga
22.11.2025 23:26registriert März 2021
Dieses „der Westen ist böse, Russland fühlt sich bedroht“-Erzählmuster ist in der DDR Teil der Sozialisierung gewesen.
Bei Wagenknecht kommt erschwerend dazu, dass sie dieses Weltbild weiter pflegt. Sie wirkt wie jemand, der intellektuell durchaus fit ist, sich aber emotional immer noch in der geopolitischen Welt von 1985 befindet. Das mischt sich dann mit ihrem übertriebenen Hang zur Selbstinszenierung - die „einzige, die gegen den Mainstream denkt“.

Stets fühlt es sich dabei an, als ob sie nicht merkt, wie sie sich damit zur perfekten Projektionsfläche für russische Interessen macht.
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Lausannois86
22.11.2025 23:48registriert November 2018
wer hätte gedacht, dass Links-aussen wie Rechts-aussen den gleichen moralischen Kompass haben (rhetorische Frage). Wir in den westlichen Demokratien müssen unbedingt einen Weg finden, wie wir mit solchen Sachen umgehen. Da muss das Strafmass viel höher sein und zudem muss durchgegriffen werden. Korrupte Politiker gibt es überall und für genug Geld geben so viele gerne nach! Wobei die Leute bei BSW und AfR das auch für sehr wenig machen meines Eindrucks nach.
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raab23@gmail.com
22.11.2025 23:41registriert Mai 2022
Sarah putinknecht, was sonst? 1989 tratt sie noch der sed bei, als "protest". Sie kritisierte die sed hätte mehr härte und stalinismus anwenden sollen im Herbst/Winter 1989.
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